Ein Nachruf auf Walter Weiße „Er lehrte uns Demut und Liebe“
Am Montag ist der Freyburger Maler, Kunstpädagoge und Ehrenbürger der Stadt verstorben.
Freyburg - Den großartigen Künstler Walter Weiße hätte ich schon kennenlernen können, als ich 15 Jahre alt war. Da ging ich mit seiner Tochter Reglindis am Naumburger Domgymnasium, das damals „Erweiterte Oberschule“ hieß, vier Jahre lang in eine Klasse. Aber ich hatte damals keine Ahnung von Kunst. Und nach der Schule fuhren Reglindis und ich in verschiedene Richtungen auseinander, sie nach Freyburg, ich nach Schönburg. Das waren keine guten Voraussetzungen für den Beginn einer Freundschaft. Dabei mochten wir uns.
In Galerie Schweinebraden
Viele Jahrzehnte später, da war Reglindis bereits an einem persönlichen Unglück gestorben, besaß ich in Ost-Berlin einen Literarischen Salon und hatte viele Künstlerfreunde, deren Bilder dort hingen. In dieser Zeit hatte Walter Weiße eine Ausstellung in der Privatgalerie Jürgen Schweinebraden, in der wir uns erneut hätten begegnen können.
Die Galerie Schweinebraden war ein Geheimtipp, der mich für Walter Weißes Ausstellung zu spät erreichte. Die Privat-Galerie existierte von 1974 bis 1980 und zeigte rund 70 Ausstellungen: Mailart, Konzeptkunst, Performance, Fluxus, Video-Kunst, begleitet von Free-Jazz-Konzerten. Sie war ein wichtiger Impuls für die Entwicklung einer alternativen Kunstszene in der DDR. Dass Walter Weiße hier neben Künstlern wie A. R. Penck, Peter Graf, Eberhard Göschel und Oskar Manigk ausgestellt wurde, war eine große Anerkennung für ihn als modernen, unangepassten Künstler, der nichts mit dem offiziellen sozialistischen Realismus zu tun hat, sondern seinen eigenen besonderen Weg geht. Unterstützt wurde er auf diesem Weg durch die Freundschaft mit Achim Freyer, einem ebenso besonderen Künstler wie Walter Weiße. Sie hatten sich 1965 in Berlin kennengelernt, als Walter als Künstler aus Freyburg an der Unstrut vorgestellt wurde. Achim Freyer war begeistert. Er sei ja in Schulpforte zur Schule gegangen und kenne Freyburg. Viele Jahre lang trafen sie sich, malten gemeinsam in der Landschaft und waren eng befreundet bis zu Walters Tod.
Walter Weiße wurde 1923 in Freyburg geboren. Er studierte Kunstgeschichte und Pädagogik in Erfurt sowie an der Universität Leipzig und promovierte an der Humboldt-Universität. Als in seiner Dissertation bei dem Unterthema „Mauern als Elemente des Bauens“ der Satz „Mauern, Mauern, soweit das Auge reicht“ fiel und Assoziationen zur Berliner Mauer weckte, erstarrte das Publikum, das Licht ging aus, der Vortrag wurde unterbrochen. Nachdem geklärt wurde, dass es sich um Weinbergsmauern handelte, durfte er aber dann doch fortgesetzt werden. Walter Weiße arbeitete viele Jahre als Kunstpädagoge. Zuerst in Schleberoda, wo er seine Frau Hilde kennenlernte, dann in Freyburg und Gleina. Daneben zeichnete und malte er unentwegt.
Internationale Ausstellungen
Er hatte zahlreiche Ausstellungen und Ausstellungsbeteiligungen im In- und Ausland, in der Schweiz, England, Japan und Ägypten. Zum Beispiel war er 1984 neben Künstlern wie Roy Lichtenstein, Henry Moore und Georg Baselitz an der „Eight British International“ in Bradfort beteiligt, 1997 gestaltete er mit A.R. Penck (Dublin) und K. Toggenburger (St. Gallen) die viel beachtete Ausstellung „Chiffre Mensch“ in der Kunsthalle Erfurt. Genannt sei noch die Ausstellung „Artistenmetaphysik - Friedrich Nietzsche in der Kunst der Nachmoderne“, auf der Walter Weiße mit zwölf Arbeiten und dem Zyklus „Die Wüste wächst: weh dem der Wüsten birgt“ neben Künstlern wie Joseph Beuys und Gerhard Richter vertreten war.
Walter Weißes Arbeiten befinden sich in der Berliner Nationalgalerie, im Museum für Bildende Künste Leipzig, im Germanischen Museum Nürnberg, im Modern Graphic Museum Kairo und in privaten Sammlungen, so in meinem Literarischen Salon in Berlin. Walter Weiße erhielt für sein Lebenswerk 2004 das Bundesverdienstkreuz und ist Ehrenbürger seiner Heimatstadt Freyburg, wo auch sein Gesamtwerk im Archiv von Schloss Neuenburg fachgerecht katalogisiert und aufbewahrt wird.
Begegnung mit Achim Freyer
2006 nahm ich mit Achim Freyer und vielen Freunden an einem Künstlerprojekt in Georgien teil. Auf einer der Busfahrten saß ich zufällig neben Achim Freyer, den ich zuvor nur als Bühnenbildner und Opernregisseur kannte. Seine Inszenierung von Verdis Requiem an der Deutschen Oper Berlin war einfach großartig. Achim Freyer fragte mich nebenher, wer ich sei und woher ich käme. Als ich sagte, aus Naumburg, war er wie elektrisiert: „Kennst du dort den Künstler Walter Weiße?“ Ich sagte: „Ja, ich ging mit seiner Tochter Reglindis zur Schule.“ „Was, du kanntest Reglindis?“ Seit dieser Begegnung besuche ich oft das „Kunsthaus Achim Freyer“ in Berlin-Lichterfelde, ein hohes, großes Fachwerkhaus voller Kunst, in dem auch viele Arbeiten von Walter Weiße zu sehen sind.
Mit Hilde 70 Jahre verheiratet
Und ich besuchte seitdem bei jeder Reise in meine Heimat Walter Weiße und seine Frau Hilde in Freyburg. Der Verlust ihrer Tochter Reglindis war eine Wunde, die nie verheilte. Zu ihrem 60. Geburtstag gab es eine Ausstellung mit ihren Bildern in der Sommergalerie Schleberoda, auf der ich zur Eröffnung singen durfte. Ich begann mit den Worten: „Sehr geehrte Damen und Herrn, niemand kennt Reglindis so lange wie ich, selbst Ihr nicht, Walter und Hilde, denn ich stehe ihr seit gut 1.000 Jahren als Ekkehard im Naumburger Dom gegenüber.“ Am 10. Mai hat Walter Weiße mit 98 Jahren seine Hilde verlassen, mit der er 70 Jahre verheiratet war. Er wird in seinen Bildern weiterleben. Achim Freyer schrieb zum Tod seines besten Freundes: „Walter Weiße - er lehrte uns Demut und Liebe.“
Zum Autor: Ekkehard Maaß wurde 1951 in Naumburg geboren. Er wirkt als Sänger, Publizist und Übersetzer. Maaß lebt in Berlin, gründete den „Berliner Salon“ und leitet seit 1996 die von ihm gegründete Deutsch-Kaukasische Gesellschaft.