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Dorfreport Dorfreport: Tal der Sommertürchen

Von Hans-Dieter Speck 01.12.2015, 08:44
Hoch über der Stadt Ranis erhebt sich die gleichnamige Burg.
Hoch über der Stadt Ranis erhebt sich die gleichnamige Burg. Führ

Im Saale-Orla-Kreis, am Südrand der Orlasenke, zwischen den Zechsteinriffbergen im Norden und den waldreichen Ausläufern des Thüringer Schiefergebirges im Süden, befindet sich das thüringische Städtchen Ranis. Relativ schnell erreicht ist dieser Ort in einer anmutigen Region über die A9, Abfahrt Triptis. Oberhalb der Stadt erhebt sich auf einem Felsrücken eine der bedeutendsten mittelalterlichen Befestigungsanlagen Mitteldeutschlands, die Burg Ranis. Die landschaftsbeherrschende Anlage setzt sich aus einer Hauptburg mit einem runden Bergfried und zwei weiträumigen Vorburgen zusammen. Zwei Abschnittsgräben durchschneiden den steil vom Osten her ansteigenden Bergrücken. Ihre Wurzel hat die mittelalterliche Burganlage im 11. Jahrhundert und ist in einigen Teilen aus dem 13./14. Jahrhundert erhalten.

Naumburger Dienstadlige

Das heutige Erscheinungsbild wird allerdings durch die im 16./17. Jahrhundert ausgeführten Umbauten bestimmt, als sich die Burg in ein repräsentatives Schloss wandelte. 1571 hatten die Herren von Breitenbauch (ab 1906 Breitenbuch), ein altes mitteldeutsches Adelsgeschlecht, die Burg Ranis erworben. Der wohl älteste nachgewiesene Vorfahre aus diesem Adelsgeschlecht, Conradus de Breitenbach, wurde in einer 1154 in Naumburg ausgestellten Urkunde des Markgrafen Konrad I. von Meißen, des Stammvaters der Wettiner und des sächsischen Königshauses, als Zeuge genannt. Weitere Adlige aus diesem Geschlecht werden später als bischöfliche Naumburger Ministerialen bezeichnet. 1287 wird ein Hermann de Bretinbuch als befehlender Burgherr der Neuenburg und als Herr zu Balgstädt urkundlich aufgeführt.

Der unter den damals neuen Besitzern errichtete südliche Renaissanceflügel aus dem frühen 17. Jahrhundert mit seinen für diese Zeit typischen Zwerchgiebeln dominiert heute die Schlossansicht zur Stadtseite. Im 19. Jahrhundert wurden die Innenräume dieses Gebäudeteils historisierend ausgestattet. Bis zum Verkauf der mächtigen Burganlage im Jahre 1942 an das Deutsche Rote Kreuz blieb Burg Ranis im Besitz derer von Breitenbuch. Nach dem Krieg wurde das bereits 1926 durch den Burgbesitzer begründete Museum wiedereröffnet sowie ein FDGB-Urlauberheim mit einer Burggaststätte in der weitläufigen Anlage eingerichtet. Seit 1994 gehört die Burg Ranis zur Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten.

Altsteinzeitliche Kultur

Im städtischen Museum wird unter anderem die Geschichte der mittelalterliche Burg dargestellt. Einzigartig ist eine Ausstellung zur Erdbebenkunde mit Seismographen und zahlreichen geophysikalischen Geräten. Bei einem Burgrundgang können die Höfe der Inneren Vorburg und der Kernburg, die Terrasse am Würzgärtchen sowie der Hungerturm mit seinem tiefen Verließ und die Burgküche besichtigt werden.

Von der Vorburg zur Stadt hinab führt der Weg auch zur sagenumwobenen Ilsenhöhle, eine der bekanntesten Höhlen Deutschlands. Die beiden heute noch erhaltenen bis zu zwanzig Meter tiefen Felsspalten zählen zu den bedeutendsten Fundplätzen altsteinzeitlicher Kultur in Europa. Ursprünglich waren die Spalten Teil eines mit einem großen Felsdach überwölbten wesentlich größeren Raumes. Dieses Höhlendach war wohl während der letzten Eiszeit eingestürzt. Das heutige Erscheinungsbild der Ilsenhöhle entstand allerdings erst durch die zwischen 1932 und 1938 durchgeführten archäologischen Grabungen, welche unter der Leitung der damaligen Landesanstalt für Vorgeschichte in Halle standen. Bei den archäologischen Untersuchungen wurden elf unterschiedliche Fundschichten aufgenommen, die eine Zeit von etwa 120 000 Jahren repräsentieren.

Besonders interessant waren dabei die archäologischen Funde einer Schicht mit aufwendig bearbeiteten Feuersteingeräten in einer blattähnlichen Form. Die Fundstücke dieser heute wissenschaftlich als „Blattspitzen“ bezeichneten Gruppe gehören gewissermaßen zu den Meisterstücken altsteinzeitlicher Feuersteinbearbeitung und sind etwa 40000 Jahre alt. Die Altsteinzeit, fachsprachlich Paläolithikum, war die erste und längste Periode der Urgeschichte in Europa und Asien. Sie prägte im entscheidenden Maße die Menschheitswerdung. Nach dem Verlassen der Höhle durch die Jäger und Sammler vor etwa 30 000 Jahren suchten Hyänen die Höhle auf und hinterließen ihre typischen Nahrungsabfälle. Die von ihnen abgenagten und abgeleckten Röhrenknochen wurden durch ihre Form und Oberfläche in der Archäologie lange Zeit als Resultat menschlicher Tätigkeit angesehen. Der Name Ilsenhöhle steht allerdings für eine sagenhafte Ilse (Ilsa), die sich einst bei unterirdischen Wesen, den Heimchen, in der Höhle verdingt hatte und wegen ihres Drangs zur Oberwelt von einem Riesen mit einem Bann belegt wurde. Eine goldene Schafherde hütend, sollen ihre Klopfzeichen mit goldenen Hirtenstab manchmal noch in der darüber befindlichen Burg zu hören sein. Erst wenn alle Kirchenglocken im Lande still stehen, könne der Bann gelöst werden.

Die steinzeitlichen Jäger hätten sich heute sicherlich über die zahlreichen Wisente gefreut, welche zwischen 2008 und 2011 in unmittelbarer Umgebung von Ranis angesiedelt wurden. Mitten im Naturerlebnispark Brandenstein können die mächtigen Tiere ganztägig und kostenfrei beobachtet werden, die von der Arbeitsgruppe „Artenschutz Thüringen“ betreut sind.

Benannt nach dem ehemaligen Vorbesitzern, den Herren von Brandenstein, steht in Sichtweite zur Burg Ranis und nahe dem Wisentgehege das Schloss Brandenstein. Die ursprüngliche Burganlage war im Dreißigjährigen Krieg nahezu vollständig durch kroatische Truppen zerstört worden und wurde um 1700 als Schlossanlage unter Christoph Adam von Breitenbauch neu gebaut. 2010 erwarb eine Familie aus Thüringen das Schloss und saniert seit dieser Zeit schrittweise das Barockgebäude.

Im Keller von Schloss Brandenstein befindet sich ein Schlosscafé mit einer schönen Terrasse. Erst seit kurzer Zeit hat sich dieses Café auf vegan lebende Gäste spezialisiert. Ein interessantes Experiment inmitten der thüringischen Provinz. Wenn man einem bekannten Gesicht im Schloss begegnet, ist es Fabian, der Sohn der mit Antiquitätenhandel befassten Schlossbesitzerfamilie, ein junger Mann, der regelmäßig in der Sendereihe des ZDF „Bares für Rares“ auftritt. In einer Verwaltungsgemeinschaft ist Ranis mit dem benachbarten Ziegenrück verbunden. Das an der Saale gelegene Städtchen zählt heute mit 677 Einwohnern (2014) zu den fünf kleinsten Städten in Deutschland. Das landschaftlich überaus schön gelegene Ziegenrück liegt genau zwischen den beiden großen Saaletalsperren. Die Bleiloch- und die Hohenwartetalsperre mit ihren Ausgleichsbecken bei Burgk und Eichicht an der oberen Saale halten vor allem das Frühjahrsschmelzwasser zurück, das in früheren Zeiten den Fluss in einen reißenden Strom verwandelte und folgenschwere Überschwemmungen verursachte. Unter Aufgabe einiger Dörfer, Mühlen und Gehöfte waren zwischen 1926 und 1942 diese Talsperren gebaut worden. Die zu den größten Talsperren Europas zählenden Anlagen sind Teil einer achtzig Kilometer langen, fünffach gestuften Saalekaskade und damit das größte zusammenhängende Staugebiet Deutschlands. Der Stausee der Bleilochtalsperre neben Ziegenrück ist mit seinem Fassungsvermögen sogar der größte Stausee in Deutschland. Eingebettet in dichte Fichtenwälder, bilden die beiden auch wassersportlich genutzten Stauseen mit jeweils 28 Kilometern Länge eine im vergangenen Jahrhundert völlig neu gestaltete Landschaft. Das „Thüringer Meer“ inmitten eines weitläufigen Naturschutzgebietes bietet viele Sehenswürdigkeiten.

Älteste an der oberen Saale

Ein großes Modell dieses Talsperrensystems an der oberen Saale ist im Wasserkraftmuseum Ziegenrück aufgestellt. Es ist das einzige Wasserkraftmuseum in Deutschland und befindet sich in der Fernmühle, der ältesten Wassermühle an der oberen Saale. Diese wurde bereits 1258 im Zusammenhang mit der Saaleflößerei erstmals schriftlich erwähnt, als die Grafen von Orlamünde Abt und Konvent des Klosters Pforte bei Naumburg die abgabenfreie Überfahrt der Flöße über die in ihrer Grafschaft befindlichen Wehre einräumten. Im Laufe der Jahrhunderte wurde die Fernmühle als Mahl-, Schneide-, Öl- und Lohmühle betrieben. 1897 ging die Wassermühle in den Besitz des Eigentümers der Ziegenrücker Holzstoff- und Pappenfabrik über. Dieser ließ die Mühle zum ersten laufwasserbetriebenen Elektrizitätswerk an der oberen Saale umbauen und begann 1901 für seine Fabrik mit der Gewinnung von Strom aus Wasserkraft. 1965 wurde die Elektrizitätsgewinnung in der inzwischen veralteten Anlage der Fernmühle eingestellt und die einzigartige technische Ausstattung in ein Museum umgewandelt.

Noch heute wird mit einer im Jahr 1900 gebauten Francis-Schachtturbine ganz umweltfreundlich Strom im Museum erzeugt. Eine technische Sammlung verdeutlicht die Geschichte der Wasserkraftnutzung und wurde auch aus anderen, heute aufgegebenen Wassermühlen und Kleinkraftwerken zusammengetragen. Neben der historischen Technik präsentiert das Museum eine einzigartige Glühlampensammlung und bietet Wechselausstellungen. Beliebt sind die an festgesetzten Zeiten stattfindenden Vorführungen zur Funktionsweise der Turbinen und der Wirkung von Starkstromblitzen. In einem Metallkäfig zucken dann zur Freude der Besucher die Blitze mit etwa 500000 Volt auch nach dem Takt eines gewünschten Musiktitels.

Flößerei behördlich verboten

Die umweltfreundliche Energiegewinnung mit Wasserkraft, später verbunden mit dem Bau der Talsperren an der oberen Saale, brachte allerdings auch ein anderes umweltfreundliches System zum Erliegen. Die Saaleflößerei mit Langholzstämmen aus Franken und Ostthüringen, von der einst auch Camburg, Bad Kösen, Naumburg oder Weißenfels profitierten, wurde 1938 behördlich verboten und kam 1941 völlig zum Erliegen. Noch 1937 zeigte aber ein touristisches Werbefaltblatt einen Blick auf die Saaleflößer und warb auch für die Winterzeit: „Märchenhaft aber ist der Anblick Ziegenrücks, wenn der Winter seine weißen Flocken über Tal und Höhen schüttete. .... Deshalb zögere nicht ... komm nach Ziegenrück !!!“

Am Sonntag, 17. April: Sonntagsausflug mit dem Naumburger Tageblatt/MZ nach Ranis und Ziegenrück. Anmeldung in der Geschäftsstelle Naumburg, Salzstraße 8.