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Dorfreport Dorfreport: Läufer und Strickerinnen

Von hans-dieter speck 03.08.2015, 09:06
Innenhof der Oberburg, heute Gymnasium
Innenhof der Oberburg, heute Gymnasium Führ Lizenz

#Es sind nunmehr exakt 200 Jahre vergangen, als wichtige Teile vom heutigen Bundesland Sachsen-Anhalt aus dem Jahrhunderte währenden Besitz der Wettiner in preußische Hände gelangte, darunter auch der Großteil vom heutigen Burgenlandkreis. Mit dem Pressburger Vertrag am 18. Mai 1815 und schließlich mit der Schlussakte des Wiener Kongresses am 9. Juni 1815 hatte das Königreich Sachen unter der Herrschaft der Wettiner nahezu zwei Drittel seines Territoriums und etwa die Hälfte seiner Bevölkerung verloren. Das mächtige Adelsgeschlecht der Wettiner, welches zu den ältesten Häusern des europäischen Hochadels zählt, erlebte vor zweihundert Jahren einen Tiefpunkt in seiner Geschichte.

Mit den 1918 erfolgten Abdankungen des sächsischen Königs aus der albertinischen Linie der Wettiner in Dresden und verschiedener Landesherren thüringischer Kleinstaaten aus der ernestinischen Linie der Wettiner, endete die über 800 jährige Herrschaft der Wettiner über Teile von Deutschland. Noch heute regieren immerhin zwei Vertreter mit Wurzeln im Haus Wettin in europäischen Ländern, darunter die älteste amtierende Monarchin der Welt, Elisabeth II. von Großbritannien und Nordirland.

Großbritannien und Belgien

Elisabeths Ururgroßmutter, Königin Victoria, hatte 1840 ihren Cousin, Albert von Sachsen-Coburg und Gotha aus einer ernestinischen Nebenlinie der Wettiner geheiratet und damit den dynastischen Namen Sachsen-Coburg und Gotha in Großbritannien übernommen. Dieser Geschlechtername hatte bis zum I. Weltkrieg Bestand und wurde, da mit antideutschem Ressentiment besetzt, in Windsor gewandelt. Der andere amtierende Monarch mit wettinischen Wurzeln ist Philippe, König der Belgier. Das Staatsoberhaupt von Belgien stammt ebenfalls aus dem Haus von Sachsen-Coburg und Gotha.

Beide Monarchen müssten heute in das Herz von Sachsen-Anhalt reisen, um auf die Wurzeln ihrer Familiengeschichte zu stoßen. Das recht unscheinbare Städtchen Wettin nahe Halle mit seiner malerisch über der Saale gelegenen Burganlage wäre das Ziel der Reise. Die heute bis in das 20. Jahrhundert hinein mehrfach massiv umgeformte Burganlage ist Stammsitz der Familie, die sich seit dem 11. Jahrhundert nach ihrer Stammburg benennt.

Wahrscheinlich war die Burg unter Thimo von Wettin in den Besitz der Familie gelangt. Dessen zweitgeborener Sohn, Konrad von Wettin (1098-1157), wurde schließlich der Begründer des wettinischen Territorialstaates. 1123 konnte Konrad von Wettin (Konrad der Große) sich der Mark Meißen bemächtigen, ein Kerngebiet des heutigen Landes Sachsen. Später folgten die Herrschaftsgebiete des Pleißnerlandes um Zwickau, das Osterland nahe Leipzig sowie das umfangreiche ludowingische Erbe in Thüringen. Konrad der Große gilt als der Stammvater des sächsischen Königshauses und findet sich heute an der Spitze des berühmten Fürstenzuges an der Außenseite des Dresdner Schlosses.

Namensgebung im 15. Jahrhundert

Das heutige Sachsen kam erst im 15. Jahrhundert zu seinem Namen, dem des alten (niedersächsischen) Stammesherzogtums. Nach der Entmachtung Heinrich des Löwen hatte nur noch das den Askaniern übergebe Ostfalen den Namen „Herzogtum Sachsen“ bewahrt. Es wurde 1260 in Sachsen-Lauenburg und in Sachsen-Wittenberg geteilt. Durch die „Goldene Bulle“ (1356) erlangte Sachsen-Wittenberg unter der Herrschaft der Askanier die Kurwürde, das Recht, den König zu wählen. Die Askanier starben 1422 aus und den nachfolgenden wettinischen Markgrafen wurden vom Kaiser Herzogstitel, Kurwürde und damit der Name verliehen. In der Leipziger Teilung 1485 erfolgte die Trennung des wettinischen Hauses in eine ernestinische und in eine albertinische Linie. Letztere behielt die Mark Meißen.

Ernestiner erhalten Kurwürde

Vorerst erhielten die Ernestiner die Kurwürde, die sie allerdings nach dem Schmalkaldischen Krieg 1547 an die Albertiner nebst dem Herzogtum Sachsen-Wittenberg abtreten mussten. Die Macht der ernestinische Linie mit ihren zahlreichen Nebenlinien blieb damit endgültig auf Thüringen beschränkt, während für das Kurfürstentum Sachsen der Aufstieg begann. Die Aufhebung der bereits unter sächsischen Einfluss stehenden Hochstifte von Merseburg (1561), Meißen (1581) und Naumburg (1564) durch die Reformation rundeten das kurfürstlich - sächsische Territorium ebenso ab, wie die Erwerbung des sächsischen Vogtlandes. Aus der Linie der Albertiner gingen später auch Könige hervor. Der populärste Vertreter dieser Wettiner wurde August der Starke, Kurfürst von Sachsen und König von Polen.

Die Stammburg der Wettiner erlebte eine überaus wechselvolle Geschichte. 1290 war sie an das Erzbistum Magdeburg gelangt, welches die Burg an verschiedene Adlige verpachtete. 1427 ließ der Stadthauptmann von Halle die Burg zerstören. 1680 wurde die Region um Wettin der Preußischen Krone überschrieben und 1804 erwarb Prinz Louis Ferdinand von Preußen die Burg. Nach dessen baldigen Tod verfiel die Anlage allerdings zunehmend. Ab 1925 versuchte der auf Saaleck bei Naumburg gegründete Sächsisch-Thüringische Geschichtsverein diesen Prozess zu stoppen, mit der Absicht, auf der Burg ein Museum zu gründen. Es sollte bei dem Versuch bleiben. In den 1930er Jahren entstand hier eine Gauparteischule der NSDAP mit eingreifenden, heute noch prägenden Umbauten. In der DDR wurde die Burg fortwährend als Schule genutzt, unter anderem wurde die einzige Schäferschule der DDR auf der Oberburg betrieben. Nach der politischen Wende 1989/90 gelangte die Burg Wettin an den Landkreis (heute Saalekreis), der hier seit 1991 ein Gymnasium mit einem erweiterten Kunstunterricht sowie ein Schülerwohnheim unterhält.

Das kleine Städtchen oberhalb der Saale ist schnell umrundet. Älteste Kirche der Stadt ist die St. Nikolaikirche. An deren Außenwand prangt eine Erinnerungstafel an den in Wettin geborenen Johann Ernst Glück (1654-1705 in Moskau), der nach Lateinschule in Altenburg, Studien in Wittenberg und Leipzig 1673 nach Livland zog, wo er als Pfarrer arbeitete. Glück gründete die ersten drei lettischen Schulen und übersetzte erstmals die Bibel in die lettische Sprache.

Im Nordischen Krieg in russische Gefangenschaft geraten, kam er 1702 mit seiner Familie und seiner angenommenen Ziehtochter Martha Skawronska nach Moskau. Letztere wurde Geliebte von Peter dem Großen, konvertierte zum orthodoxen Glauben und heiratete schließlich den russischen Zaren. Als Katharina I. wurde sie später russische Zarin, ebenso wie ihre Tochter aus der vorehelichen Beziehung zu Peter dem Großen, Elisabeth I.. Durch die Protektion seiner Ziehtochter am russischen Hofe erhielt der Wettiner Johann Ernst Glück den Auftrag, das erste Moskauer Gymnasium zu gründen und als Rektor zu leiten.

Auch die frühgotische Templerkapelle im Wettiner Ortsteil Mücheln am östlichen Saaleufer geht auf die Wettiner Grafen zurück und ist seit dem 14. Juni dieses Jahres wieder zugänglich. Erste Besucher, nur wenige Minuten vor der feierlichen Eröffnungsveranstaltung und nach langjähriger Sanierung, waren die Teilnehmer des Sonntagsausflugs vom Naumburger Tageblatt/Mitteldeutsche Zeitung. An der Restaurierung von einem der wenigen erhaltenen Bauten der Templer in Deutschland war die Bauhütte Naumburg im erheblichem Maße beteiligt.

Graf Dietrich I. von Wettin-Brehna hatte ein Gut vor Ort seinem gleichnamigen Sohn geschenkt. Dieser war Templerritter und übertrug wiederum dieses Gut dem Orden. Wohl um 1270 erfolgte der Bau der Kapelle, die vor allem mit ihren großartigen Steinmetzearbeiten und Resten der Innenbemalung heraussticht. Vor allem die Schlusssteine und Wandkonsolen mit ihrem naturalistischen Blattwerk lassen im besonderem Maße den Einfluss des Naumburger Doms erkennen. Nach der Auflösung des Templerordens 1312 durch Papst Clemens V. wechselte die Templerkapelle häufig ihren Besitzer und verfiel später zusehend. Angesetzte Giebel aus der Zeit der Spätrenaissance erinnern an Umbauarbeiten in jüngerer Zeit.

Nur wenige Kilometer entfernt von Wettin, in Richtung Halle, befindet sich die Stiftskirche auf dem Petersberg. Gebaut wurde sie auf einer die Landschaft weit überragenden Porphyrkuppe. Neben der Bedeutung als wertvolles Denkmal romanischer Baukunst, welches allerdings im 19. Jahrhundert in wesentlichen Teilen neu gebaut wurde, ist die ehemalige Augustinerherrenkirche vor allem als Grablege der frühen Wettiner bekannt. Die Gründung des Hausklosters der Wettiner geht auf eine 1124 erfolgte Stiftung des Grafen Dedo IV. von Wettin zurück, der dem Kloster auch eine wertvolle Kreuzreliquie schenkte.

Kloster als Familiengrablege

Sein Bruder Konrad (Konrad der I., der Große) Markgraf von Meißen und der Niederlausitz, bestimmte 1156 das Kloster ausdrücklich zur Familiengrablege. Zwischen 1146 und 1217 wurden elf Mitglieder des wettinischen Adelshauses aus vier Generationen in der Stiftskirche beigesetzt, darunter auch der Stammvater des sächsischen Königshauses, Konrad der Große mit seine Ehefrau Luitgard und seiner Schwester Mechthild. Als das Chorherrenstift im Zuge der Reformation um 1540 zur Auflösung kam, wurden zahlreiche Gebäude des Stifts als Wirtschaftsgebäude genutzt und das Langhaus der Kirche als Scheune eingerichtet.

Ein vernichtender Brand im Jahre 1565 zerstörte wesentliche Teile der Kirche und beschädigte weitere Gebäude auf dem Petersberg. 1567 ließ Kurfürst August von Sachsen über den Grabstätten seiner Vorfahren ein „Begräbnishaus“ bauen. Zu deren Ausstattung ließ er ein repräsentatives Kenotaph aufstellen, das von den Dresdner Bildhauern Hans und Christoph Walther gefertigt wurde. Auf dem ehemals freistehenden und jetzt in der Turmhalle der Kirche befindlichen Scheingrab aus der Renaissance sind zehn der elf in der Kirche beigesetzten Familienmitglieder aus dem Hause Wettin als Statuen gefertigt.

Goethe und Schinkel zeichneten

In das historische und künstlerische Bewusstsein rückten die Ruinen und Gebäude auf dem Petersberg wieder im Ausgang des 18. Jahrhunderts. Johann Wolfgang von Goethe weilte hier und zeichnete die Klausur- und Kirchenruine, wie das auch später Karl Friedrich Schinkel tat.

Die Preußen waren es schließlich, die sich des sächsischen Erbes annahmen, und die mächtige Stiftskirche bis 1857 wieder aufbauten. Die Konzeption für den Wiederaufbau lag in den Händen von Friedrich August Stüler und Ferdinand von Quast. Obwohl sich die Stiftskirche heute maßgeblich als Wiederaufbau aus dem 19. Jahrhundert präsentiert, wirkt mit dem Bau durchaus die Wucht und der große Geist wettinischer Geschichte.

Kreuzrippengewölbe in der Templerkapelle mit Schlussstein (Weinlaub).
Kreuzrippengewölbe in der Templerkapelle mit Schlussstein (Weinlaub).
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Blick vom Städtchen Wettin auf den Lauf der Saale
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