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Dorfleben Dorfleben: Skat und Oldtimer

03.02.2014, 13:01
Bilder eines Dorfes: Nach thüringisch-fränkischem Ortsbild stehen die Giebel zur Straßenseite.
Bilder eines Dorfes: Nach thüringisch-fränkischem Ortsbild stehen die Giebel zur Straßenseite. Speck Lizenz

Possenhain ist eines der ansehnlichsten Dörfer im Kreise Naumburg. Schreitet man durch das Dorf, so bilden die selbstbewussten Giebel der Häuser der ebenso selbstbewussten Possenhainer Bauern ein malerisches Bild.“ Ein gewisser P. Otto aus Aachen schrieb das 1924 in einem frühen Vorgänger des „Burgenland-Journals“, der „Naumburger Heimat“, der monatlichen Beilage im „Naumburger Tageblatt“.

90 Jahre sind seit dem vergangen, und den Eindruck von damals könnte der Aachener auch heute noch vom Dorf gewinnen: Schmucke Gehöfte mit imposanten Hoftoren und die Giebel der Straßenseite zugewandt, nach gut thüringisch-fränkischer Dorfbauweise. Ja, und selbstbewusst sind die Possenhainer bis heute durch alle Zeiten geblieben. Auch nach der Eingemeindung zu Schönburg 1950. Erst jüngst bei der letzten Gebietsreform, als die Schönburger schon mal nach Naumburg schielten, bevorzugten sie eher die eingeschränkte Selbstständigkeit, die ihnen in einer Verbandsgemeinde noch blieb. Und auch den gemeinsamen Gemeindebürgermeister, viele Jahrzehnte eine Domäne der Schönburger, stellen sie seit 2008 aus ihren Reihen.

Neue Dächer und Straßenlampen

Eine Frischzellenkur erhielt der Ort im Programm der Dorferneuerung. Die Possenhainer und Schönburger gehörten zu den ersten im Burgenlandkreis, die die Förderungen nutzten. So wurden viele Gehöfte kräftig auf Vordermann gebracht, vor allem Dächer gedeckt und Fassaden erneuert. Die Klär-gruben verschwanden aus den Grundstücken und Abwasseranschlüsse wurden installiert. Teilweise kam auch neue Straßenbeleuchtung in das Dorf, und die meisten Versorgungskabel wurden unter die Erde verlegt. Im 9. Wettbewerb „Unser Dorf hat Zukunft“ belegte Possenhain mit Schönburg einen dritten Bundessiegerplatz, wurde Landes- und Kreissieger.

„Auch an dem nun wieder ausgeschriebenen Dorfwettbewerb wollen wir uns beteiligen“, sagt Friedrich Prüfer. Der 71-Jährige ist seit 2008 ehrenamtlicher Bürgermeister der Gemeinde Schönburg-Possenhain, die zur Verbandsgemeinde Wethautal gehört. Zuvor war er viele Jahre stellvertretender Bürgermeister. Als gebürtiger Possenhainer kennt er sich bestens im Dorf aus. Mit 435 Einwohnern ist der Ort mit Gewerbe gut bestückt. Zu nennen sind da vor allem die Gebäudetechnik Possenhain, Gerüstbau-Dachdeckerei Wiebicke, Wawrik Bau, Elektro-Ihle, Dachdeckerei Peters, Winkler und Garn - Abflussservice und Toilettenvermietung, Dachdeckerei Peters, die Maßschneiderei Veit sowie der kleine Lebensmittelmarkt von Doris Stützer.

Nur Bauern gibt es nicht mehr. Zumindest keine mehr, die von der Landwirtschaft leben. Zu DDR-Zeiten standen 1800 Milchkühe in den Stallungen der Milchviehanlage Possenhain. Heute sind die verfallenen Gebäude der Schandfleck des Dorfes. Vor Monaten, sagt Bürgermeister Prüfer sei das Gelände privat versteigert worden, den Besitzer kennt man nicht genau. Ein Solarpark soll auf dem vorher geräumten Gelände entstehen. Aber im Dorf glaubt keiner mehr so recht daran, dass sich da über kurz oder lang etwas tut. Tiere werden natürlich auf einem Dorf weiter gehalten. Auch beim Bürgermeister mümmeln einige Kaninchen auf dem Grundstück. Andere haben Gänse, Hühner, Enten, Schafe, und fünf Familien mästen noch Schlachtschweine. Und – heute schon eine Seltenheit – zwei nebenberuflich tätige Hausschlächter gibt es in Possenhain: Klaus Erhard und Werner Schiffner. Groß sind die Possenhainer in der Geflügelzucht, holen zahlreiche Preise ins Dorf und veranstalten regelmäßig Sonderschauen in ihrer Kulturbaracke. Da schauen wir mal bei Wilfried Bach herein und blicken ins pralle Vogelleben. In seinen Volieren tummeln sich langbeinige Verkehrtflügelkröpfer und temperamentvolle Elsterkröpfer. Mit denen ist Bach seit den 1960er Jahren auch regelmäßig auf dem Naumburger Taubenmarkt. Nebenan im Schlag hält Sohn Marko Bach schwergewichtige blaue Luchstauben mit weißer Binde. Vater Bach steht außerdem noch auf Exoten. 40 Kanarienvögel, rot und rotschwarz zwitschern in ihren Volieren. Auf den Vogelmärkten in Altenburg, Neugattersleben und Erfurt ist der Züchter gut bekannt.

Eine Schule hat Possenhain nicht mehr, wohl aber noch das Gebäude, das saniert, nun die Heimatstube aufgenommen hat. Unter Leitung von Frank Schulz sind hier viele geschichtsträchtige Dinge zu sehen, die eine der Heimatgeschichte und dem Brauchtum verpflichtete Interessengemeinschaft zusammengetragen hat. Im Bauernschuppen nebenan sind bäuerlich-landwirtschaftliche Geräte ausgestellt.

Sammlerstücke sogar im Auto

Eines der kuriosesten Museen weit und breit gibt es auch im Dorf: „Deutschlands kleinstes Froschmuseum“. An die 4000 Quaktiere aller Größe und Materialien, getöpfert, gehämmert, geschnitzt, gemalt, aus Plüsch und Seide, gestrickt und gehäkelt sind hier in einem kunterbunten Durcheinander zu sehen. Sie sitzen in Regalen, fläzen auf dem Sofa, sonnen sich in Liegestühlen und rudern auf kleinen Flößen. Sie kleben an Uhren, Aschenbechern, verzieren T-Shirts, Slips und Nudelpackungen. Die Frösche haben den 51-Jährigen Frank Kubicki schon längst aus seiner Hobbywerkstatt verdrängt und den Hof und andere Räume erobert. Selbst im Pkw des Heizungsmonteurs fahren 20 der grünen Gesellen mit ihm auf Arbeit. In mehr als 25-jähriger Sammeltätigkeit sei das alles über ihn gekommen, kommentiert der Possenhainer die Frosch-Invasion. „Dabei sammele ich gar nicht systematisch, das meiste bekomme ich geschenkt“.

50 Stoppelhopser im Dorf

Naja, vom Froschkönig ist es nicht weit zum „Stoppelhopser“. Was das nun wieder ist? Als Kleinkinder noch keine Kids waren, nannte man sie hierzulande Stoppelhopser. Und genau den Namen trägt der Kindergarten, der sich – oh, Wunder – noch in Possenhain halten konnte. 1961 als Erntekindergarten gegründet, werden hier um die 50 Kinder betreut; dazu aus der Grundschule, die noch in Prittitz ist, die Hortkinder. So gehört Possenhain zu den wenigen Orten im Kreis, in denen Kinder auch noch in Gruppen präsent sind. Verabschieden wir uns von Possenhain mit einem zünftigen Tropfen. Seit den 1990er Jahren ist der Weinbau wieder ins Dorf zurückgekehrt. Am Hutberg wurden 650 Stöcke Gutedel und Portugieser gepflanzt. Den hegen und pflegen nun die Mitglieder der Vereine gemeinsam mit der Gemeinde. Zu Jubiläen, Auszeichnungen und feierlichen Anlässen kann dann mit einem Glas echtem Hutberger aus Possenhain angestoßen werden.

Wilfried Bach und seine prächtigen Tauben.
Wilfried Bach und seine prächtigen Tauben.
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Lydia Meinhard zeigt Ausstellungsstücke in der Heimatstube.
Lydia Meinhard zeigt Ausstellungsstücke in der Heimatstube.
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Im Hort der „Stoppelhopser“ werden Hausaufgaben erledigt.
Im Hort der „Stoppelhopser“ werden Hausaufgaben erledigt.
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Bürgermeister Friedrich Prüfer ist auch Treckerfreund und hält seinen Lanz Bulldog von 1937 top in Schuss.
Bürgermeister Friedrich Prüfer ist auch Treckerfreund und hält seinen Lanz Bulldog von 1937 top in Schuss.
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