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Zscheiplitzer „Klosterbrüder“ erhalten den Wenzelspreis „Das klingt lapidar“ - ist es aber nicht

Der Wenzelspreis 2024 von Naumburger Tageblatt/MZ geht an die „Klosterbrüder“ für den Erhalt der Zscheiplitzer Kirche. Jährliche Auszeichnung für besonderes ehrenamtliches Engagement in der Saale-Unstrut-Region.

Von Harald Boltze Aktualisiert: 26.09.2024, 18:29
Ein Teil des 30-köpfigen Vereins. Dieser  bereichert traditionell auch den Umzug des Freyburger Winzerfestes.
Ein Teil des 30-köpfigen Vereins. Dieser bereichert traditionell auch den Umzug des Freyburger Winzerfestes. (Foto: Torsten Biel)

Zscheiplitz. - Landauf, landab gibt es Menschen, die sich engagieren. Oft werden mit riesiger Motivation neue Projekte angeschoben. Ein Verein wird gegründet, ein Name gefunden, ein Raum saniert, Flyer werden gedruckt und Kuchen gebacken. Nächtelange Arbeit, die in rauschenden Eröffnungsfeiern münden. Es gibt Lob und Anerkennung, ein Foto in der Zeitung. Und dann?

Dann warten die Mühen der Ebene. Dann müssen Böden gewischt und Hecken verschnitten werden, ohne dass dies gleich jemandem auffällt. Dann gilt es, die Motivationskurven der Mitstreiter von der anfänglichen „Wolke 7“ auf einer stetigen „Wolke 4“ zu halten. Wie schwierig das doch ist. Initiativen versanden und lösen sich auf. Unbemerkt! Denn dann gibt es weder bunte Flyer noch Einladungen an die Pressevertreter.

Schmuckstück oberhalb von Freyburg: die Klosterkirche Zscheiplitz
Schmuckstück oberhalb von Freyburg: die Klosterkirche Zscheiplitz
(Foto: Torsten Biel)

Wenn Naumburger Tageblatt/MZ am Sonnabend den Wenzelspreis 2024 übergibt, wird ihn ein Verein in Empfang nehmen, der mit ähnlicher Euphorie und Tatkraft begann. Und der es geschafft hat, nie auf „Wolke null“ abzurutschen, deren Vertreter jeden Tag, mal mehr, mal weniger, für ihr Projekt eintreten – und das seit 40 (!) Jahren.

Damals, im Jahr 1984, drohte dem Gebäude, das heute über dem Unstruttal glänzt und von dort gar nicht wegzudenken ist, der Abriss. Bereits 1976 wegen Baufälligkeit gesperrt, bot die Zscheiplitzer Kirche auf dem ehemaligen Gelände des Benediktinerinnenklosters einen jämmerlichen Anblick. Eingeschlagene Scheiben, geklaute Orgelpfeifen, eine ausgeraubte Gruft, dazu überall Schutt und immense Schäden, am Dach und an den Decken.

Bis zu 120 Besucher (samt Empore) haben in der sanierten Kirche Platz. Auch am Sonnabend, zu Konzert und Preisverleihung, wird sie sicher gut gefüllt sein.
Bis zu 120 Besucher (samt Empore) haben in der sanierten Kirche Platz. Auch am Sonnabend, zu Konzert und Preisverleihung, wird sie sicher gut gefüllt sein.
(Foto: Torsten Biel)

Das Interesse und die Mittel von Stadt und Kirche, diesen Zustand zu ändern? Kaum vorhanden. Doch ein Dutzend Leute, der „harte Kern“, wie Olaf Markwardt heute sagt, wehrte sich ab 1984 gegen den drohenden Abriss der Klosterkirche. Studenten, so Markwardt, der damals mit dabei war, seien es zumeist gewesen. Viele Auswärtige, deren Eltern in Zscheiplitz und Umgebung Wochenendgrundstücke hatten.

Alle mit Elan, die meisten mit handwerklichem Geschick, so legten sie los, zunächst als „Interessengemeinschaft“, also einer nicht staatlich gesteuerten und zu DDR-Zeiten ungewöhnlichen Bürgerinitiative, später dann als Verein unter dem Namen „Kloster Zscheiplitz - Klosterbrüder“.

Trauriger Verfall: Zustand der Kirche noch zu Beginn der 1980er-Jahre.
Trauriger Verfall: Zustand der Kirche noch zu Beginn der 1980er-Jahre.
(Foto: Torsten Biel)

Dass die Kirche eine Verwandlung von „abrissreif“ zu „aktuell keine baulichen Problemstellen“ hinter sich hat, war für die „Klosterbrüder“ natürlich ein steiniger Weg, auch wenn der Zeitstrahl des Erreichten (siehe rechts) anderes vermuten lässt. Im Dezember 1987 kam es nach Dacharbeiten zum Einsturz von Gebäudeteilen. Auch mangelte es an Material, es brauchte Improvisationstalent. Ein abenteuerlich anmutendes Gerüst wurde auf die Beine gestellt; der Arbeitsschutz war damals ein anderer. Was es aber auch zu DDR-Zeiten schon gab, war ein Denkmalschutz. „Und der guckte schon hin, was wir hier gemacht haben“, erinnert sich Olaf Markwardt.

Das  jüngste fertiggestellte Projekt: die Sanierung der Sakristei, die von den früheren Gutsbesitzern wohl zum Schlachten und Wäschewaschen genutzt wurde.
Das jüngste fertiggestellte Projekt: die Sanierung der Sakristei, die von den früheren Gutsbesitzern wohl zum Schlachten und Wäschewaschen genutzt wurde.
(Foto: Torsten Biel)

Er hat so einige Vereinsvorsitzende kommen und gehen gesehen, etwa Joachim Goetze, Wolf-Dieter Seidel oder Barbara Monse. Selbst hat Markwardt nun das Amt des Schatzmeisters abgeben können, an Anika Voit. „Sie macht das ganz wunderbar. Und da sie nicht mal einen Steinwurf von der Kirche entfernt wohnt, übernimmt sie viele Aufgaben, wie das tägliche Auf- und Zuschließen.“

Während der „harte Kern“ von 1984 durch Todesfälle, Krankheiten, kurzum: den Zahn der Zeit, zusammengeschmolzen ist, gehört Anika Voit zu einer jüngeren Generation, die nun auch aus Anwohnern von Zscheiplitz, Freyburg oder Balgstädt besteht.

In letztgenanntem Ort wohnt Christian Hollmann. Er ist seit 2022 Vorsitzender der „Klosterbrüder“. „Ich bin in Balgstädt aufgewachsen“, erzählt er. Und nach einer „langen beruflichen Reise durch die Republik“ und seiner Rückkehr nach Balgstädt, wo er als Ingenieur in der Fahrzeugindustrie maßgeblich im Homeoffice arbeiten kann, rückte die Klosterkirche in seinen Fokus. Das Bauen und Handwerkeln der ersten Vereins-Generation ist weitgehend abgeschlossen. Hollmanns Aufgabe, und die seiner Mitstreiter, sind nun die eingangs erwähnten Mühen der Ebene, also: alles in einem ordentlichen Zustand zu erhalten. Hollmann: „Es klingt lapidar, aber da sprechen wir auch von Unkrautjäten und dafür zu sorgen, dass die Kirche nicht leer steht. Sie ist ja kein Selbstzweck, sie soll ja leben“, sagt der 52-Jährige.

Eines der hochwertig sanierten Fenster in der Klosterkirche.
Eines der hochwertig sanierten Fenster in der Klosterkirche.
(Foto: Torsten Biel)

Von Mai bis Oktober ist die Kirche täglich von 10 bis 18 Uhr geöffnet. Für Touristen werden Führungen angeboten, die zuweilen gleich mal 60 Menschen umfassen. Buchlesungen organisiert der Verein und sechs bis sieben Konzerte im Jahr.

Die Kirche als Eigentümerin des Gotteshauses halte sich weitgehend aus dem Betrieb heraus, so Hollmann. Etwa zweimal im Jahr finden Gottesdienste statt; nur selten wird eine Hochzeit gefeiert, was verschenkt anmutet, eingedenk des schönen, locker 100 Besucher fassenden Gotteshauses, dem Weingut Pawis und dem Gasthaus Pretzsch quasi nebenan.

Doch mit „Erhalt + Kultur“ sind die „Klosterbrüder“-Vorhaben der Zukunft nicht vollständig benannt. Hollmann: „Wir haben vor, auch den Gemeinderaum zu renovieren.“ Dieser soll für Veranstaltungen wie beispielsweise Geburtstagsfeiern noch attraktiver werden. Durch die Vermietung fließt Geld in die Vereinskasse, das wiederum für weitere Projekte zur Verfügung steht. „Zusätzlich zu den Spenden, die wir dankenswerterweise immer wieder bekommen“, sagt Christian Hollmann.

Das bereits Erreichte und die Ziele der „Klosterbrüder“ machen es Tageblatt/MZ leicht, den Wenzelspreis, der seit 1994 jährlich von unserer Zeitung für besonderes ehrenamtliches Engagement verliehen wird, nach Zscheiplitz zu vergeben. Die Auszeichnung findet am Sonnabend im Rahmen eines um 16 Uhr beginnenden Konzerts mit Matthias Erben, Annett Boose und dem Salon-Trio Halle in der Klosterkirche statt. Eintrittskarten zu zehn Euro wird es vor Ort geben.

Chronik der Bauarbeiten: Mit eigener Hände Arbeit und dank immer wieder eingesammelter Spenden auch durch Fachfirmen bewegten die Klosterbrüder in Zscheiplitz sehr viel. Ein zeitlicher Abriss:

1985: Unmengen an Wildwuchs und Schutt aus dem Kirchenschiff beseitigt

1986: Notsicherung der Fenster, Reparaturen an Türen und Schlössern

1987: Abbau des Dachstuhls, Aufbau der Mauerkrone, Einzug einer neuen Decke, Organisation Dacheindeckung, Anfertigung und Einfügen der Dachgauben

1989: Organisation Gerüstbau für Turmhelmsanierung und -eindeckung sowie Vergoldung der Turmzierde (Kreuz), Holzschutz- und Dachklempnerarbeiten, Mithilfe beim Gerüstbau

1990: Fertigung von Dachkästen

1994: Mauerwerksverfestigungen, Sicherungen in Nonnenempore und Gruft, Anbringen der restaurierten Deckenbalken

1995 bis 1999: Begehbarmachung der Wege

2005 bis 2008: Unterstützung der Sanierungsarbeiten am 1870 errichteten Turm