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Chronisten auf weitem Feld

Von GERD STÖCKEL 29.05.2011, 09:05

Und dass - in unterschiedlicher Weise - gleich mehrere Chronisten dieser Historie nachspüren, dürfte einmalig sein. Dienstältester der Geschichtsschreiber ist Manfred Lauterbach. Der frühere Kirchscheidunger Lehrer und nachmalige Schuldirektor in Burgscheidungen hat seit 1964 alles gesammelt, was über Kirchscheidungen auffindbar war, und aufgeschrieben, was sich ereignet hat. Die Sammlung füllt viele Mappen. In ihr sind die Feste der 70er und 80er Jahre mit böhmischen Blasmusikanten ebenso dokumentiert wie die Bautätigkeit in den 90ern unterm rührigen damaligen Bürgermeister Thomas Burggraf, mit der Kirchscheidungen zum Vorzeige-Ort für Dorferneuerung avancierte. Die Mappen aus DDR-Zeiten spiegeln die Sicht jener Jahre. Im Lichte heutiger Erfahrung ist auch das ein interessanter Aspekt. Nie hätte sich Lauterbach freilich damals träumen lassen, mit dem Chronisten der Kirchengemeinde einen so partnerschaftlichen Austausch zu pflegen, wie er es heute mit Martin Reschke tut. Der kirchliche Blick auf die Ortsgeschichte war damals nicht gefragt, selbst dort nicht, wo ein Dorf die Kirche im Namen führt. Martin Reschke, Sohn des früheren Kirchscheidunger Pfarrers, begann um 1990, sich mit der Geschichte von Dorf und Kirche zu befassen. Ein Freund aus Holland hatte der Gemeinde damals einen Kopierer überlassen, auf dem Reschke, die neue Freiheit nutzend, ein Kirchenblättchen produzierte. Da blieb am Ende immer Platz. So hatte er seine gebeten, aufzuschreiben, was sie aus Kirchscheidungens Geschichte weiß. "Da hatte ich dann vier DIN-A-4-Seiten in der Hand und jede Menge Fragen", schildert der Kirchscheidunger. Seit dem hat Reschke die Heimatgeschichte nicht mehr losgelassen, erscheint allmonatlich ein weiterer Abriss im Gemeindeblatt.

Manches, was der Hobbyhistoriker herausgefunden hat, ließ aufhorchen. So der Name Max am Ende. Der Sohn eines Kirchscheidunger Pfarrers, von dessen Familie zahlreiche Grabsteine auf dem Friedhof des Dorfes künden, verbrachte seine Kindheit im Unstruttal und gehörte Ende des 19. Jahrhunderts zu den Malern, die die Künstlerkolonie Worpswede gründeten. Im Gegensatz zu Bernhard Thiersch, dem Dichter des Preußenliedes, an den ein Denkmal im Dorf erinnert, und dessen Bruder Friedrich, einen Philologen, war der Maler hier vergessen. 2003 erinnerte im Kirchscheidunger Gotteshaus eine Ausstellung an den Künstler. Reschke, der sie organisiert hatte, holte damit Max am Ende heim in das Dorf, in dem dieser seine Kindheit verbracht hatte.

Kirchscheidungens dritter Chronist ist ein Naumburger. Rüdiger Bier, hatte ursprünglich nur eine Zeittafel zusammenstellen wollen für das Rittergut, das seine Eltern im Jahr 1995 erworben hatten. Das Vorhaben wuchs sich aus zu einer regionalen Adelsgeschichte, die später sogar mit einem Preis gewürdigt wurde. Am Ort des Bierschen Anwesens hatten einst die Knutonen ihren Sitz, ein streitlustiges Adelsgeschlecht, das sich mit dem Bischof in Bamberg angelegt hatte. 1294 wurde den Knutonen der Besitz auf Kirchscheidungen verbrieft, womit in den Annalen erstmals die heutige Ortsbezeichnung auftauchte und der Unterschied zu Burgscheidungen auch im Namen markiert war.

Muss man nun fürchten, dass dieser Name 700 Jahre später wieder verschwindet? Inzwischen nämlich ist Kirchscheidungen keine selbstständige Gemeinde mehr, sondern Ortsteil von Laucha. Und die Post hat hat wissen lassen, dass sie die Angabe Kirchscheidungen in der Adresse für verzichtbar hält? "Auch wenn die offizielle Anschrift nun Laucha lautet, bleiben wir Kirchscheidunger", bekundet Martin Reschke. So dürfte wohl auch in 25 Jahren wieder Dorfjubiläum gefeiert werden. Womöglich ein Anlass, die Videos hervorzuholen, mit denen Siegfried Hesse, der vierte auf der Chronistenbank, seit einigen Jahren die Feste in seinem Heimatdorf dokumentiert. Für Helfried Klier indes steht da fest: Die Kutte des Lullus muss sich in 25 Jahren ein anderer überstreifen.