Chronik Chronik: Erstmals 1148 unter dem Namen Bilrieth

Die Strickerinnen von Billroda solle ich nicht vergessen, hatte man mir mit auf den Weg gegeben. Wenn alle beisammen sind, sind es 14 Frauen, die sich wöchentlich einmal treffen, um für Herbst- und Weihnachtsmärkte hübsche Strick- und Häkelarbeiten, aber auch manche Bastelei anzufertigen. Nun ist Urlaubszeit und Rosemarie Bethe, stellvertretende Bürgermeisterin und Gemeinderatsmitglied, war sich nicht sicher, ob denn außer der Reihe die Handarbeitsfrauen zusammenkommen würden. Doch dann kamen sie zum vereinbarten Treffpunkt am langen Tisch vor dem Feuerwehrhaus mit Strick- und Häkelnadeln, Wollknäuel in den Körben und all den flauschigen Dingen, die sie gerade in Arbeit haben. Mit dabei auch die „Chefin“ des Ganzen, Angelika Töpe, ohne die es die Gruppen gar nicht geben würde und die sie nun schon seit 17 Jahren betreut. Eine lustige Runde. Und wenn man was über das Dorf erfahren will, dann hier.
Billroda, das Dorf so dicht an der Thüringer Grenze, dass es für manchen schon im Freistaat zu liegen scheint, ist ein freundliches Dorf, durch das die Lossa fließt, umgeben von sanften Hügelketten der Finne, Waldgebieten, mit blumengeschmückten Häusern, ehemaligen Gehöften, neuen Einfamilienhäusern und einer Bungalowsiedlung mit Wochenend- und Ferienbewohnern aus Sachsen-Anhalt und Thüringen.
Auffallend sind die zahlreichen Handwerker und Gewerbetreibenden im Ort. In der Antikscheune sammelt und verkauft Mario Köhler nicht nur Antiquitäten, er restauriert auch alte Möbel und – was selten ist – er flechtet die Stühle aller Zeiten neu, die Thonetstühle, Biedermeier- und Jugendstilstühle. Wie flink ihm das von der Hand geht, konnten die Besucher zur jüngsten Peter-Pauls-Messe zum Naumburger Kirschfest sehen. Der einstige Werkzeugmacher hat umgeschult und für sein Gewerbe eine Möbeltischlerausbildung abgeschlossen. Seit zwölf Jahren betreibt er das Gewerbe. Nicht nur in Billroda, sondern auch in Naumburg auf dem Lindenring 13, einem Laden, der Dienstag, Mittwoch und Donnerstag geöffnet ist. In Billroda wohnt der 49-Jährige seit 2000 mit seiner Ehefrau Evelin, einer Billrodaerin.
Eberhard Bethe treffe ich auf seinem Grundstück beim Beladen seines Werkstattwagens. Seine Kunden sind an weit entfernten Standorten. Bethe betreibt eine Tankreinigung. Sein Nachbar gegenüber, Andreas Sperk, ist Elektroinstallateur mit Kunden in beiden Bundesländern. Eine Firma für Heizungsbau führt Lothar Beyer, Karl-Heinz Thiele einen Agro-Chemie-Service, eine Autolackiererei Hans-Georg Siede. Auch in den Räumen des ehemaligen Dorfkonsums ist Handel eingezogen. Susann Beyer verkauft gebrauchte Kinderbekleidung und Getränke, Kosmetik, Postkarten und Briefmarken.
Die Landwirtschaft hat in Billroda ihren Platz. Das sieht man schon an den grasenden Kühen vor dem Dorf. Volkmar Ilm und Sohn Matthias führen einen bäuerlichen Familienbetrieb wie er im Buche steht. Mit Tradition. 1919 wechselte ein Urahn von Steigra nach Billroda und begründete die Bauernwirtschaft. Die ging auch in die nachfolgenden Generationen über, unterbrochen nur durch die Kollektivierung der Landwirtschaft in der DDR. „Doch nach der Wende wollten wir wieder als selbstständige Bauern wirtschaften“, hatte Volkmar Ilm im Einverständnis mit seinem Vater entschieden. Dazu schulte der heute 49-Jährige vom Kesselbauer zum Landwirt um. Landwirtschaft ist auch für Sohn Matthias keine Frage. Der 24-Jährige ist in der Meisterlehre. Vater und Sohn bewirtschaften 200 Hektar Land, auf dem Weizen, Gerste und Raps wachsen. 20 Hektar Grünland liefern die Futterbasis für 40 Mutterkühe.
Nicht alle Häuser im Ort sind bewohnt, einige stehen zum Verkauf. Wie ein Geisterhaus fällt ein großes Gebäude gleich am Ortseingang auf. „1912 wurde die Einweihung würdig begangen mit Kapelle, Ehrenjungfrauen und dem Pflanzen einer Eiche“, lese ich dazu in der Chronik. Lang, lang ist es her und führt in eine kurze Goldgräberzeit in Billroda. Gold, das war hier das Kalisalz, das von der Gewerkschaft Bernsdorf zu Billroda von 1911 bis 1921 in den Schächten Bernsdorf und Burggraf in bis zu über 500 Meter Tiefe abgebaut wurde. Viele Menschen kamen in die Gegend, fanden Arbeit, gründeten Familien. Da genügte auch der alte Dorfsaal am Gemeindebackhaus nicht mehr. Kaligewerkschaften, Verarbeitungsfabrik und die Gemeinde finanzierten die prächtige Gaststätte mit großem Saal, Bühne, mehreren Vereinszimmern und einer großen Gaststätte, das Modernste, was es damals auf dem Lande gab. Alte Einwohner erinnern sich noch an die Faschingsveranstaltungen, Kirmestänze, Bälle-, Vereins- und Theaterveranstaltungen, an Männerchor und Jugendtanz. Doch das alles kam nicht über die Zeiten. Hatten schon ab Mitte des vorigen Jahrhunderts häufig wechselnde Gastwirte nicht für Beständigkeit gesorgt, so war eine Umgestaltung nach der politischen Wende von ganz kurzer Dauer. Heute dämmert der einstige Stolz der Gemeinde dem Verfall entgegen.
„Gefeiert wird aber weiterhin im Dorf“, sagt Gemeindevertreterin Bethe. Dafür sorge jetzt der Feuerwehrverein Billroda-Tauhardt. Wie erst jüngst zum sommerlichen Dorffest mit Blasmusik, Billerscher Sommerbowle und viel hausgebackenem Kuchen.
Ja und schließlich: „Was läuft sonst noch in Billroda?“ Natürlich der Finne-Lauf. Seit 1980 organisiert die SG Billroda und Vorgängerin BSG „Traktor“ das Ereignis im Laufsport weit über die Region hinaus. Eine gute Adresse ist das für aktive Läufer, Freunde des Laufsports, Schulen, Kinder und Familien. Die Strecke führt über zwei, fünf sowie 25 Kilometer durch den Rastenberger Forst. Für Wanderer und Kleinkinder gibt es spezielle Angebote. Darüber hinaus finden Läufertreffs zu allen Jahreszeiten statt für Fortgeschrittene und solche, die in den Laufsport einsteigen wollen. Laufen und Wandern – um mal ein bekanntes Volkslied abzuwandeln – ist der Billrodaer Lust.


