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Andrang fast wie am Dom

Von HANS-DIETER SPECK 29.08.2010, 08:31

Mitunter wurden lustige Verse darüber gemacht und die Wirte über Generationen am Stammtisch gefrotzelt - sie würden ihre Gäste rupfen, so wie eine Henne, bis sie nackt sei. Wie auch immer, Gasthaus und Brauereigebäude sind Mittelpunkt der kleinen Siedlung, wie sonst das Rathaus. Auf alten Landkarten wird die Henne von Flurgrenzen arg bedrängt: Großjena, Eulau, Schellsitz, Pödelist. Die Flurstücke tragen putzige Namen: "Der Lehm", "Tanzboden" und "Glocke". 1867 haben preußische Flurvermesser das alles korrekt aufs Messtischblatt gebracht. Eckard Kühnert, ein Schellsitzer, ist sich ganz sicher: "Die Henne war nie ein selbständiges Dorf. Sie hat immer zu Schellsitz gehört." Als Schellsitz Anfang der 1950er Jahre nach Naumburg eingemeindet wurde, gehörte die Henne dazu. Erst die DDR differenzierte: Sie machte kurzerhand aus Schellsitz und Henne zwei verschiedene Wohnbezirke der Nationalen Front. Ortsteil hin oder her - die Henne kann sich sehen lassen. Nirgends sonst wo im Burgenland hat sich Tourismus auf kleiner Fläche in den letzten Jahren so dicht etabliert, wie hier an der Henne. Die Brauerei, zuletzt einziger Doppelmalzbierproduzent im Bezirk Halle, blieb mit allen Gebäuden samt Gaststätte nach 1990 16 Jahre ungenutzt. Erst die Naumburger Grundstücks und Verwertungsgesellschaft riss alles aus dem Dornröschenschlaf, investierte, sanierte, baute und fand in Michael Schmidt einen fähigen Gastronomen, der alles wieder in Schwung brachte: Die Gaststätte mit 15 Hotelzimmern, einen Spiegelsaal, in einstiger Abfüll- und Lagerhalle eingerichtet, ein Fahrradhotel mit 29 Zimmern und ein kleines Museum mit 40 historischen Zweirädern und den Biergarten unter schattigen Bäumen.

In dem alten, bauhistorisch äußerst interessanten Pferdestall, hat der aus Thüringen stammende Wolfgang Schneider Wohnhaus und Werkstatt eingerichtet. Denkmalgerecht. "Ich habe viel mit Lehm und anderen natürlichen Baustoffen gearbeitet". Ganz früher standen hier die Treidelpferde der Schiffer, die mit der Fähre übergesetzt wurden, später dann die Brauereipferde, zu DDR-Zeiten wurde das Gebäude als Werkstatt und Garage genutzt. Heute wohnt Schneider mit Ehefrau und zwei Kindern in dem schön gewordenen Haus. "Allerdings ist noch viel zu tun", weiß der neue Eigentümer.

Wenige Schritte weiter, an der Saale, hat Andreas Kirsch 2002 ein 1856 errichtetes Gutshaus von der Familie Hoffmann gekauft. Dazu gehörten auch Verarbeitungsräume in denen erst Hoffmann und später der volkseigene Betrieb Ogis Apfelmost produzierten. "Eigentlich hatte ich vor, einen kleinen Weinausschank zu eröffnen und selbst Wein zu keltern", erinnert sich Kirsch. Doch nach umfangreicher Sanierung der Gebäude ist daraus mehr geworden. Die "Naumburger Wein- und Sektmanufaktur", wie das Weingut jetzt heißt, bewirtschaftet derzeit 14 Hektar Rebfläche, im nächsten Jahr werden das 23 Hektar sein, da das Weingut Weischütz dazu gepachtet wurde. Von Hoffmann erfuhr Kirsch auch, dass bereits 1824 von der Familie Bürger hier eine Sektkellerei betrieben wurde, eine der ersten in Deutschland. Das interessierte und inspirierte ihn.

Mit seinem erfahrenem Kellermeister Hartmut Duchrow informierte er sich im Westen Deutschlands, der Kellermeister besuchte noch einen Speziallehrgang, und bald darauf gab es auch wieder Sekt an der Henne. Heute stehen die im Flaschengärverfahren hergestellten, handgerüttelten Premium-Sekte, vierzehn verschiedene Sorten, bei Kennern hoch im Kurs und holen ebenso wie die Weine mit den Schwerpunkten Weiß-, Grau-, Spätburgunder und Riesling Preise und Anerkennung. Die Naumburger Wein- und Sektmanufaktur beschäftigt inzwischen 15 Arbeitskräfte, hat mit Michael Schröder einen Jungkellermeister und mit Matthias Herrmann einen Winzer ausgebildet.

Die Manufaktur wirkt wie ein Magnet. "Allein durch die 900 Jahre alten, weitläufig in den Berg reichenden Kelleranlagen führten wir im vergangenen Jahr 15 000 Menschen. Das hätte mir mal einer vor acht Jahren sagen sollen", staunt Kirsch noch immer.

Im Tourismus an der Henne sucht auch Marcus Gaudigs ein wirtschaftliches Standbein. Der Naumburger, der in Jena lebt, baute im "Kuckucksheim" einen kleinen Kanuverleih auf und bietet Touren auf Saale und Unstrut an. Von der ersten Saison mit seinem "Saalestrand-Kanu" ist er sehr angetan. Die war erfolgreich und macht dem 32-jährigen Betriebswirtschaftler Mut zum Weitermachen. Etwas Neues hat auch der Schellsitzer Eckard Kühnert begonnen, als er nach der Wende die elterlichen Felder zurück bekam.

Aus dem langjährigen Dachklempner ("1994 habe ich noch die Turmhaube von St. Wenzel mit Kupfer eingedeckt") wurde ein Bauer. Seit 2000 hauptberuflich. Mit seiner großen Scheune mit Photovoltaikanlage auf den Dächern hat Kühnert, der naturnahen Ackerbau (Getreide, Kartoffeln, Obst und Gemüse) und Viehzucht (Rinder) betreibt, auf der Henne einen wirtschaftlichen Standort. Mutter Brigitte Kühnert wohnt auf der "Glocke", die zu Teilen zur Henne gehört. Mit 77 Jahren ist sie noch aktiv in der Landwirtschaft tätig und fährt noch einmal in der Woche mit frischen Eiern, Gemüse und Obst auf den Weißenfelser Wochenmarkt. Und wer im Gasthaus "Zur Henne" speist - die Kartoffeln kommen von Kühnerts Acker.