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Wenn das Geld nicht reicht Wenn das Geld nicht reicht: Das Restaurant für Bedürftige - ein Praktikumsbericht

Von Undine Freyberg 08.06.2019, 06:00
Bei meinem Praktikum im Restaurant für Bedürftige helfe ich beim Servieren.
Bei meinem Praktikum im Restaurant für Bedürftige helfe ich beim Servieren. Katrin Sieler

Merseburg - Meine Schicht beginnt um 10 Uhr. Da ist ein Großteil der Arbeit schon getan - der Spargel und die Kartoffeln sind geschält, die Sauce Hollandaise vorbereitet und die Erdbeeren für das Joghurt-Dessert püriert. Küchenchef Thomas Linke hat bereits um 5 Uhr gemeinsam mit einer Helferin 100 Stullenpakete für Merseburger Grundschulen fertiggemacht.

Auch Kinder, die ohne Frühstück in die Schule kommen, sollen nicht hungern müssen. Kurz nach 6 Uhr kommt die Tresenmannschaft, gegen 7 Uhr ist die Küche morgens voll, Frühstück und Mittagessen werden vorbereitet.

„Möchten Sie noch frühstücken oder einen Kaffee?“

Das Team setzt sich an einen großen Tisch. „Möchten Sie noch frühstücken oder einen Kaffee?“, werde ich gefragt. Ich lehne dankend ab, ich habe doch noch gar nicht gearbeitet. Ich mache heute Praktikum im Restaurant für Bedürftige bei der Works gGmbH in der Siegfried-Berger-Straße in Merseburg. Das kleine „g“ steht für gemeinnützig. Hierher kommen Menschen, die jeden Cent zweimal umdrehen müssen und sich kein teures Essen leisten können. Ich bin gespannt, was mich erwartet.

Zehn Minuten fürs Frühstück, danach Zigarettenpause. Ich gehe zum Nichtrauchen mit raus. Dann geht es weiter in der Küche. Der Spargel, der heute nicht gebraucht wird, wird eingefroren, ebenso die Möhren. Klein schneiden, eintüten, ab in die Tiefkühltruhe.

„Wir haben nur das zur Verfügung, was wir gespendet bekommen“

„Hier, das könnten Sie bitte mal abtrocknen“, sagt eine Mitarbeiterin zu mir. „Und immer aus dem Geschirrtuch in den Besteckkasten rausputzen damit keine Fingerabdrücke draufbleiben“, erklärt mir Thomas Linke. Linke ist ein Künstler. Er muss sich für jeden Tag ein Essen einfallen lassen und darf dafür eigentlich nichts zusätzlich einkaufen. „Wir haben nur das zur Verfügung, was wir gespendet bekommen - es sei denn, es fehlt mal Öl oder Salz“, erklärt er.

Es gibt mehrere Supermärkte oder andere Einrichtungen in der Region, die Nahrungsmittel spenden. Ein Teil wird in der Lebensmittelvergabestelle in der Lindenstraße für kleines Geld an Bedürftige verkauft, der andere Teil geht ans Restaurant. Gerade kommt jemand rein und bringt einen Eimer voller Blumen, mehrere Sträuße in Folie verpackt. „Die muss ich erstmal aussortieren“, sagt eine andere Mitarbeiterin, die fröhlich und nicht auf den Mund gefallen ist. Ruckzuck nimmt sie die Sträuße auseinander, schmeißt die nicht mehr so guten Blumen weg und stellt neue Sträuße zusammen. Auch auf dem Tresen und den Tischen stehen Frühlingsgrüße, um die Tristesse zu vertreiben.

Jeder des fröhlichen Dutzends weiß ganz genau, was er zu tun hat

Ich frage, was ich tun kann. Doch die Arbeiten sind hier seit Ewigkeiten verteilt. Jeder des fröhlichen Dutzends weiß ganz genau, was er zu tun hat und gibt auch nicht gern etwas von der Arbeit ab. Also schau ich zu und unterhalte mich, denn es sind ja noch 30 Minuten, bis es gegen 11.15 Uhr losgeht.

Die meisten, die in der Küche arbeiten oder am Tresen, Kaffee und Tee zubereiten und Wasser ausschenken, sind schon lange arbeitslos. „Mit Unterbrechungen arbeite ich schon seit zehn Jahren hier“, lächelt mich eine ältere Dame an. Es mache ihr Spaß, sie komme unter Leute. Die Frau sieht in diesem Moment glücklich aus, obwohl es bestimmt nicht immer leicht ist mit Hartz IV und einem Ein-Euro-Job. Manche bekommen 1,50 Euro gezahlt.

„Für den Anfang immer zehn Gabeln und zehn Messer auf einen Tisch.“

„Teilen Sie doch mal das Besteck aus“, bittet mich eine Mitarbeiterin. „Für den Anfang immer zehn Gabeln und zehn Messer auf einen Tisch.“ Ich gehorche aufs Wort und bestückte die Plastikkörbchen.

50 Cent kostet ein Mittagessen - egal, ob es Schnitzel mit Kartoffeln und Gemüse ist oder wie heute grüner Spargel mit Hollandaise. „Heute gibt es kein Fleisch. Sobald das jemand mitbekommt, verbreitet sich das draußen wie ein Lauffeuer. Ich denke, dass heute nicht so viele zum Essen kommen“, meint Thomas Linke. „Gestern gab’s Boulette, da kamen über 80 Leute.“ Manchmal sind es sogar 120 Essen, die pro Tag rausgehen.

Für jedes Essen gibt’s einen Strich ins Buch, ebenso für die Getränke

Es geht los. Die Leute kommen und bestellen am Tresen. Manche setzen sich auch einfach wortlos an einen Tisch. Trotzdem weiß jeder vom Service, wer essen will und wer nicht, wer für 20 Cent noch ein großes Wasser will oder lieber für 40 Cent einen großen Kaffee. Für jedes Essen gibt’s einen Strich ins Buch, ebenso für die Getränke. Das Geld wandert in die Kasse. Ich geh’ in die Küche und helfe, Teller und die Tassen mit dem Nachtisch rauszutragen und wünsche jedem guten Appetit.

Manche von den Gästen, die ich bediene, kenne ich schon seit Jahren, sehe sie hin und wieder auf der Straße oder bei Veranstaltungen. Ich frage im Anschluss, ob es geschmeckt hat. Von allen kommt Lob für das Essen zurück. „Ich würde noch 100 Gramm Lachs nehmen“, ruft mir ein fröhlicher Mann zu. „Ich schick gleich mal jemanden mit der Angel los“, antworte ich lachend.

„Wer gar kein Geld mehr hat, kann sich im Sekretariat eine Essensmarke holen.“

Ein Mann kommt mit einer Plastikbox. Er nimmt noch Essen für seine kranke Nachbarin mit. Man kennt die Frau. Kein Problem. Wer hierher zum Essen kommt, hat einen Hausausweis, hat nachgewiesen, dass er zu wenig Geld hat, um auf diese Unterstützung verzichten zu können. Wer überraschend in eine Notlage gerät, weil es einen Todesfall in der Familie gibt, der Gerichtsvollzieher vor der Tür steht, er oder sie schwer erkrankt ist oder Opfer einer Straftat geworden ist, findet hier ebenfalls Hilfe.

Wenn es am Monatsanfang gerade Geld gegeben hat, sieht man manche hier nicht beim Essen, wird mir erzählt. Wenn am Ende des Geldes noch zu viel Monat übrig ist, können sich manche nicht mal mehr die 50 Cent für das Hauptgericht leisten. Manche bleiben dann weg. Ich frage mich, was sie dann essen. „Wer gar kein Geld mehr hat, kann sich im Sekretariat eine Essensmarke holen.“ Hier werde keiner weggeschickt, heißt es.

„Es gibts auch mal einen Spendenbeutel mit Brot und Aufstrich“

„Wenn das Wochenende vor der Tür steht und jemand gar nichts mehr hat, gibt’s auch mal einen Spendenbeutel mit Brot und Aufstrich“, erzählt Thomas Linke. Manche der Gäste hätten gesundheitliche Probleme. „Deshalb gibt es für manche manchmal ein kleineres Stück Fleisch, dafür mehr Gemüse.“ Darauf achte er. Er weiß, wer welche Problemchen hat, wo der Schuh drückt. Der Mann ist nicht nur Küchenchef, sondern auch Psychologe und Sozialpädagoge. Die anderen Mitarbeiter tauen langsam auf, erzählen mir private Dinge. Wir scherzen und räumen das schmutzige Geschirr ab und bringen es in die Küche. Wenige Minuten später ist es schon wieder strahlend sauber und meine Schicht gleich zu Ende.

Es ist heute offenbar tatsächlich sehr ruhig gewesen. Nur 35 Essen sind ins Buch eingetragen worden. Ich bin sicher, in den nächsten Tagen kommen wieder mehr Leute. (mz)

Ein Gericht, das in einem normalen Restaurant sehr teuer wäre.
Ein Gericht, das in einem normalen Restaurant sehr teuer wäre.
Undine Freyberg
Das Joghurtdessert kommt in Mitropa-Tassen.
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Undine Freyberg
Im Buch wird jedes verkaufte Essen und Getränk eingetragen.
Im Buch wird jedes verkaufte Essen und Getränk eingetragen.
Katrin Sieler