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Truppführer der Kampfmittelbeseitigung Truppführer der Kampfmittelbeseitigung: Nach 100 Bomben ist Schluss

Von Dirk Skrzypczak 30.11.2016, 06:00
Am 9. Dezember entschärfte Jürgen Schmidt bei Trebnitz seine 100. Bombe. Ein schwieriges Unterfangen, da der Blindgänger im Treibsand absackte.
Am 9. Dezember entschärfte Jürgen Schmidt bei Trebnitz seine 100. Bombe. Ein schwieriges Unterfangen, da der Blindgänger im Treibsand absackte. Dirk Skrzypczak

Lubast/Merseburg - Jürgen Schmidt geht in das Nachbarzimmer und holt eine Zeitung aus dem Schrank. Es ist eine MZ vom 12. September 1997, damals wurden gedruckte Nachrichten noch in Schwarz-weiß verbreitet. „Mit der ersten Bombe ist es wie mit der ersten Liebe. Die vergisst man nicht“, sagt der 60-Jährige. Auf einem Acker bei Bad Dürrenberg hatte der Sprengmeister „seinen“ ersten Blindgänger unschädlich gemacht: eine fünf Zentner schwere amerikanische Fliegerbombe aus dem Zweiten Weltkrieg.

99 weitere Bomben sollten folgen, denen Schmidt ihren Schrecken nahm. Die letzte dieser tödlichen Vernichtungswaffen war am 9. Dezember 2015 auf einem Feld bei Trebnitz nahe Merseburg entdeckt worden. Nun hängt der Familienvater einen der gefährlichsten Jobs dieser Welt an den Nagel. Der erfahrene Truppführer im Kampfmittelbeseitigungsdienst des Landes geht am 1. Dezember in den Ruhestand.

Dübener Heide: Hier wohnt Schmidt seit seinem achten Lebensjahr

Wir treffen uns in Lubast, einem kleinen Ort mit gerade einmal 150 Einwohnern in der Dübener Heide. Hier wohnt Schmidt seit seinem achten Lebensjahr. „Die Ruhe und die Natur sind der Ausgleich für die nervliche Anspannung, die der Beruf nun einmal mit sich bringt“, erzählt er. Am Tor hängt ein Schild: Imkerei. Die Bienenvölker hatte Schmidt einst von seinem Großvater übernommen. Heute hat er zehn Völker, die durch die Heide schwirren und den Nektar aus den Blüten der Wiesen und des Waldes sammeln. Den Honig verkauft der Lubaster an seine Stammkundschaft. Manche tragen die Gläser gleich palettenweise weg. „Man wird nicht reich davon, aber es bleibt ein bisschen was hängen“, sagt Imker Schmidt - die Ernte 2016 ist fast schon vergriffen.

Es ist der Zufall, der den besonnenen und sympathischen Mann und die Hinterlassenschaften der Weltkriege und der sowjetischen Besatzer zusammenbringt. Schmidts Eltern führten in Lubast eine Ausflugsgaststätte. Der Sohn kellnerte. Zu den treuen Gästen gehörten Arbeiter des Munitionsbergungsdienstes der DDR, die mitten im Wald ihren Stützpunkt hatten - am sogenannten Ochsenkopf. „Sie haben Leute gesucht, und so habe ich am 2. Januar 1985 dort angefangen.“

Bomben-Schmidt wurde vom Handlanger zum Experten

Schmidt wurde vom Handlanger zum Experten, besuchte nach der politischen Wende die Sprengschule in Dresden und bekam 1997 das Gebiet des ehemaligen Bezirks Halle als verantwortlicher Sprengmeister übertragen. „Angst war nie im Spiel, aber Respekt. Jede Bombe ist anders, jeder Zünder kann tückisch sein. Und Sprengstoff verrottet nicht, er wird durch chemische Reaktionen eher noch sensibler“, sagt er.

Der Saalekreis wird zu seinem Haupteinsatzgebiet. Im Zweiten Weltkrieg wurden die Industrieanlagen in und um Leuna massiv von alliierten Fliegerverbänden angegriffen. Weit über 7.000 Granaten und über 170 Bomben wurden hier als Blindgänger seit 1990 gefunden und vernichtet. „Und es ist ein Trugschluss, zu glauben, dass wir das Schlimmste überstanden haben. Da kommt noch eine Menge auf uns drauf zu“, glaubt Schmidt. Nein, als Held, der die Welt rettet, habe er sich nie gefühlt - oder vielleicht nur ein bisschen.

„Jede Bombe, die wir entschärfen oder kontrolliert sprengen können, macht das Leben etwas sicherer.“ Der größte Blindgänger, mit dem er es zu tun hatte, war die zwei Tonnen schwere Luftmine im November 2004 bei Tragart. „Die ist so groß wie eine Litfaßsäule gewesen.“ Kreuzgefährlich sind die Sprengkörper mit Langzeitzünder. Eine kleine Erschütterung kann reichen, sie zur Explosion zu bringen. 2014 musste Schmidt eine dieser Bomben auf dem Sportplatz in Bad Dürrenberg sprengen.

Bomben-Schmidt: „Dann hoffst du, dass alles funktioniert.“

Was passiert eigentlich in den Minuten, wenn der Sperrradius steht und die Sprengmeister mit den Massenvernichtungswaffen alleine sind? „Dann hoffst du, dass alles funktioniert.“ Zünder drehte Schmidt mit der Zange aus den Bomben - die automatischen Fernentschärfungsgeräte waren nicht sein Ding. Und musste gesprengt werden, suchten er und seine Kollegen Deckung hinter Erdwällen oder Baumgruppen. „Wenn es dann kracht, hast du den Kopf unten. Ihr von der Presse habt aus der Ferne mehr gesehen als wir.“

Nun ist also Schluss mit den Adrenalinschüben. „Ich habe meinen Beruf geliebt und würde nie wieder etwas anderes machen wollen“, sagt Jürgen Schmidt. Und doch hat er das Angebot zum Vorruhestand angenommen. „Man muss sein Schicksal nicht herausfordern“. Und nun, was bleibt außer den Bienen? Das Angeln, die Familie und das Reisen. „Ich hatte genug Stress, da mache ich mir keine Sorgen.“ (mz)

Ohne Zünder ist die Bombe ein Stück Stahl mit Sprengstoff.
Ohne Zünder ist die Bombe ein Stück Stahl mit Sprengstoff.
Dirk Skrzypczak