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Suche nach Kindern aus DDR-Zeiten Suche nach Kindern aus DDR-Zeiten: Tote Babys in Gräbern von Fremden abgelegt?

Von Undine Freyberg 05.11.2019, 07:00
Heike Linke an dem Grab, in dem seit 34 Jahren ihre Tochter liegen soll
Heike Linke an dem Grab, in dem seit 34 Jahren ihre Tochter liegen soll Undine Freyberg

Merseburg - Seit Jahren versuchen Heike Linke und Ramona Berger Klarheit über das Schicksal ihrer Kinder zu bekommen. Beide Frauen hatten in den 1980er Jahren im damaligen Kreiskrankenhaus Merseburg Kinder entbunden, die nach der Geburt gestorben sein sollen.

Es war zwar nach Auskunft des Krankenhauses zu DDR-Zeiten üblich gewesen, dass Mütter ihre verstorbenen Kinder nicht noch einmal sehen durften. Sie durften sie auch nicht selbst beerdigen. Deshalb bleiben sowohl bei Heike Linke, die heute in der Nähe von Magdeburg lebt, als auch bei Ramona Berger, die nach Thüringen gezogen war, Zweifel, ob das alles so stimmt. Seit Jahren recherchieren sie deshalb und haben Kontakt zu den unterschiedlichsten Behörden aufgenommen, um endlich abschließend Klarheit zu bekommen.

Was Mütter bisher herausgefunden haben, ist erschreckend

Was sie bisher herausgefunden haben, ist erschreckend: Ihre Kinder sollen tatsächlich in Merseburg beerdigt worden sein. Allerdings haben sie nicht etwa ein eigenes Grab und einen Grabstein bekommen. „Mein Kind - ein Mädchen, war am 24. Mai 1985 zur Welt gekommen und soll dann verstorben sein“, erzählte Heike Linke der MZ. „Nach den Unterlagen, die wir gefunden haben, wurde sie dem Grab eines 84-jährigen Mannes beigelegt, der Anfang Juni verstorben war. Am 13. Juni soll meine Tochter mit ihm beigesetzt worden sein“, sagt die 54-Jährige, die das Grab immer mal wieder besucht.

Viele Wochen vor der Geburt hatte man ihr mitgeteilt, dass ihr Kind einen Wasserkopf haben würde. Kurz vor der Geburt sagte man ihr, dass sie ein totes Kind zur Welt bringen würde. „Dabei habe ich mein Kind bis zuletzt gespürt.“ Heike Linke, die mittlerweile die stellvertretende Vorsitzende der Interessengemeinschaft gestohlene Kinder der DDR ist, hat unter Vollnarkose entbunden, aber auf normalem Wege. „Das wäre bei einem Kind mit Wasserkopf gar nicht möglich gewesen“, ist sie überzeugt.

„Und laut Krankenakte hatte mein Kind einen Kopfumfang von 35 Zentimetern, also ganz normal.“

„Und laut Krankenakte hatte mein Kind einen Kopfumfang von 35 Zentimetern, also ganz normal.“ Der Vater ihres Kindes war ein Student der Sporthochschule Leipzig (DHfK), der sie sitzen lies, als er von der Schwangerschaft erfuhr. „Ich fuhr damals nach Leipzig und geriet dort an seinen Vorgesetzten. Er wollte meinen Personalausweis sehen und hat sich alles aufgeschrieben. Dann sagte er ,Wir kümmern uns um alles'.“

Auch Ramona Berger hat mittlerweile herausgefunden, wo ihr Sohn Christian, der am 1. Dezember 1982 geboren und am 2. Dezember 1982 verstorben ist, beigesetzt worden sein soll. Auch er liegt offenbar bei fremden Leuten im Grab. Und nicht nur das - ihr Sohn wurde dort offenbar gemeinsam mit einem weiteren kleinen Jungen - ebenfalls ein Christian - der Ende November geboren wurde und ebenfalls einen Tag später verstorben war, beigelegt. Das belegt ein Auszug aus dem Sterbebuch des Friedhofs.

Für Überführung, Beerdigung und Urkunden 22,20 Mark der DDR gezahlt

Die Rechnungen, die beide Mütter damals vom Bestatter bekamen, haben sie noch, und sie liegen auch der MZ vor. Heike Linke hatte damals für die Überführung, Beerdigung und Urkunden 22,20 Mark der DDR gezahlt. Ramona Berger zahlte „einschließlich Träger“ vier Mark weniger. Heike Linke hatte auch mit einem Bestatter von damals gesprochen. Er erklärte ihr, dass er nie die Körper toter Babys gesehen habe. Er habe lediglich etwas in Zellstoff Eingehülltes gesehen, was die Größe eines Babys hatte.

Zu DDR-Zeiten hatten beide Frauen keine Auskunft über den Verbleib ihrer Kinder bekommen, da auch die Familien, deren Angehörige gemeinsam mit den Babys beigesetzt wurden, davon nichts wussten. Ganz überzeugt davon, dass ihre Kinder wirklich in besagten Gräbern dort liegen, sind beide Frauen dennoch nicht. Vielleicht leben sie ja doch noch. Vielleicht sind sie ja auch Opfer der aus DDR-Zeiten bekannten Zwangsadoption geworden. Klarheit darüber würde Heike Linke zum Beispiel nur durch die Öffnung besagten Grabes bekommen, was allerdings, um die Totenruhe nicht zu stören, erst 2022 passieren könnte. (mz)

Auch Ramona Berger wurden Unterlagen übergeben, in denen steht, dass ihr Sohn in diesem Familiengrab fremder Leute liegt.
Auch Ramona Berger wurden Unterlagen übergeben, in denen steht, dass ihr Sohn in diesem Familiengrab fremder Leute liegt.
Undine Freyberg