Saalekreis Saalekreis: Beim Neunerlei biegt sich der Tisch
SCHKOPAU/MZ. - "Wir haben Neunerlei gekocht, auch Wurst und Sauerkraut, meine Mutter hat sich abgeplagt, die gute alte Haut..." Das Gedicht kann Klaus Kallweit aus dem Effeff, zumindest den Anfang. Es gehört genau so zu seinen Kindheitserinnerungen wie das spezielle Menü, das in seiner Heimat, dem Erzgebirge, traditionell am Weihnachtsabend auf den Tisch kommt: das berühmte Neunerlei.
Klaus Kallweit, den es vor Jahrzehnten nach Schkopau verschlagen hat und der in der Gemeinde die Gaststätte "Kallweits kleine Vielfalt" führt, hat Stunden in der Küche verbracht, um uns Flachländern das Festessen zuzubereiten. Schließlich biegt sich fast der Tisch unter den Schüsseln, die der 57-Jährige füllt. Sauerkraut, Rostbratwurst, Linsen, Klöße, Rote Beete, Heringssalat, Semmel-Milch, Heidelbeerkompott und Gänsebraten werden von ihm kredenzt.
"Pünktlich 18 Uhr stand dieses Neunerlei Heiligabend bei uns auf dem Tisch. Die ungerade Zahl der einzelnen Speisen war die eine Sache. Doch auch die Zahl der Gedecke musste ungerade sein. Sonst gab es ein Unglück", erzählt er.
"Das Neunerlei ist aber nicht überall das gleiche", gibt der Wirt gleich zu bedenken. Es komme zum einen darauf an, aus welcher Region des Erzgebirges man stamme. "Mein Heimatort ist zum Beispiel Schlettau bei Annaberg." Zudem habe es in seiner Familie einige Abwandlungen bei den einzelnen Zutaten gegeben. "Mein Vater, der aus Ostpreußen stammte, mochte die Semmel-Milch nicht. Wir aßen auch Pfirsiche lieber als Heidelbeeren, wenn man sie bekam. Und weil das Neunerlei ein ganz schön üppiges Mahl ist, gab es bei uns die Linsen immer schon mittags", erzählt der Gastronom.
Der Wahl-Schkopauer weiß auch zu berichten, dass manche Erzgebirgler Schweinebraten der Gans vorziehen oder Sellerie statt der Roten Beete - die er übrigens immer noch Rote Rüben nennt - servieren. "Und ich habe mir ebenfalls kleine Veränderungen erlaubt", fügt er hinzu. So möge er Rostbratwurst am liebsten ohne Darm und bevorzuge süßliches Sauerkraut statt der üblichen Zubereitung mit Knoblauch und Kümmel.
Sei es wie es sei. An die ursprüngliche Bedeutung des Neunerlei glaubt Klaus Kallweit aber immer noch ganz fest: "Bratwurst steht für Kraft, Klöße für großes Geld, Sauerkraut macht lustig, Linsen bedeuten ausreichend Kleingeld, Rote Beete heißt rote Wangen und damit ein gesundes Aussehen, mit Hering übersteht man den Winter gut, die Semmel-Milch schützt vor Erkältung und vor Kopfschmerzen, Heidelbeeren bringen Glück und Segen - und der Gänsebraten ist für den Genuss da." Und für ein perfektes Neunerlei legt der Wirt und Caféhausbesitzer zusätzlich Brot und Kleingeld auf den Tisch. "Damit immer genügend zu essen im Haus ist und das Geld nie ausgeht." Dazu wird zuletzt ein Teelicht entzündet, "damit das Haus immer von Wärme erfüllt ist."
Der 57-Jährige hat sich fest vorgenommen, das ungewöhnliche Weihnachtsmahl auch im Saalekreis zu etablieren. "Ab 2011 wird man es auf meiner Speisekarte finden", verspricht der Koch. Und zwar nicht am 24. Dezember, sondern das ganze Jahr über.
Er selbst muss dieses Jahr übrigens auf das Neunerlei verzichten. Heiligabend verbringt er beim Sohn in Halle. Am ersten und zweiten Feiertag hingegen steht er in der Gaststätte wieder am Herd, um seine Gäste unter anderem mit Ente und Gans, Kroketten und Rotkraut zu verwöhnen.