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Rettungsdienst im Saalekreis Rettungsdienst im Saalekreis: Wenn der Notruf bewusst missbraucht wird

Von Dirk Skrzypczak 17.01.2017, 08:11
Gerd Meißner (Zweiter von links) und Bernd-Michael Jahner arbeiten seit Jahrzehnten als Notärzte im Saalekreis.
Gerd Meißner (Zweiter von links) und Bernd-Michael Jahner arbeiten seit Jahrzehnten als Notärzte im Saalekreis. Peter Wölk

Merseburg - Es ist ein perfides Spiel, das ein Mann aus Merseburg derzeit mit der Leitstelle des Saalekreises treibt. Er wählt permanent den Notruf 112 und blockiert minutenlang die wichtige Leitung. Die Mitarbeiter in der Leitstelle, die Einsätze für den Rettungsdienst und die Feuerwehren im Südkreis koordinieren, werden von dem Anrufer zudem wüst beschimpft. Der massive Notrufmissbrauch hat für den Mann jetzt wohl Konsequenzen. Der Landkreis will Anzeige erstatten, um dem böswilligen Treiben ein Ende zu setzen.

„Derart krasse Vorfälle sind zum Glück selten. Allerdings stellt sich uns natürlich immer wieder die Frage, ob Menschen wirklich in Notlagen sind, wenn sie die 112 wählen“, sagt Markus Mennicke, Sachgebietsleiter für den Brandschutz in der Kreisverwaltung. Aber wo fängt Notrufmissbrauch an? Medizinisch sei das am Telefon für die Mitarbeiter der Leitstelle kaum zu beurteilen. Sie nutzen standardisierte Fragebögen, die am Computer ausgefüllt werden. Das PC-Programm macht dann einen Einsatzvorschlag. „Aber letztlich entscheidet der Mitarbeiter, der natürlich auf Nummer sicher gehen muss“, sagt Mennicke. Pro Tag werden in der Leitstelle durchschnittlich über 70 Notrufe angenommen.

Gerd Meißner: „Im Zweifel für den Angeklagten, das gilt natürlich auch im Rettungsdienst“

„Im Zweifel für den Angeklagten, das gilt natürlich auch im Rettungsdienst“, sagt Gerd Meißner, Ärztlicher Leiter für den Rettungsdienst im Saalekreis und seit Jahrzehnten selbst als Notarzt unterwegs. „Wenn die Einsätze im Nachhinein ausgewertet werden, dann wäre es in 80 Prozent der Fälle nicht notwendig gewesen, dass auch der Notarzt mit vor Ort ist“, meint der Professor. Natürlich gebe es jene Bürger, „die sich nicht in eine volle Arztpraxis setzen wollen, weil sie eine Erkältung haben“. Sie wählen den Notruf und wissen genau, wie sie die Symptome so verpacken müssen, damit es dramatisch klingt. „Luftnot und ein Stechen in der Brust sind die Klassiker“, weiß Meißner.

Das Problem beim Notrufmissbrauch: Sind Notärzte bei diesen Einsätzen gebunden, fehlen sie bei den wirklich schweren Fällen. Im südlichen Saalekreis schieben immer vier Notärzte Dienst. Zwei sind in Merseburg stationiert, einer in Querfurt. Hinzu kommt der leitende Notarzt. 24 Stunden sind die Ärzte jeweils verfügbar. Unterstützt werden sie von den Sanitätern und Rettungsassistenten aus den sieben Rettungswachen.

Oberarzt: „Wir jammern auf einem hohen Niveau“

„Wir jammern auf einem hohen Niveau, denn im europäischen Maßstab ist unser Rettungswesen nach wie vor Spitze“, sagt Bernd-Michael Jahner, Oberarzt für Anästhesie am Klinikum in Querfurt und stellvertretender Ärztlicher Leiter im Rettungsdienst des Kreises. Jahner fährt seit 25 Jahren Einsätze als Notarzt. Und er warnt vor Pauschalisierungen. „Wie die Leute mit dem Gesundheitswesen umgehen, ist ein Spiegel der Gesellschaft. Das Anspruchsdenken nimmt zu. Gleichzeitig wird den Menschen suggeriert, dass alles da ist, moderne Technik, Ärzte, und dass sie einen Anspruch haben, das auch nutzen zu können.“

Dann werde eben der Notruf gewählt, obwohl der dringende Hausbesuchsdienst, abgesichert zumeist durch niedergelassene Allgemeinmediziner, auch gereicht hätte. „Aber der ist eben nicht sofort da.“ Laut Rettungsdienstgesetz beträgt die Hilfsfrist für einen Rettungswagen zwölf sowie für Notärzte 20 Minuten - in 95 Prozent aller Notfälle müssen die Zeiten eingehalten werden, während es bei den übrigen fünf Prozent dann geringfügig länger dauern kann.

Oberarzt: Allerdings gibt es auch das andere Extrem

Allerdings gibt es auch das andere Extrem, erklärt Oberarzt Jahner. Das sind Patienten, denen es wirklich schlecht geht, die aber den Notruf nicht wählen, „weil sie niemandem zur Last fallen wollen“. Gerade auf ältere Menschen treffe das zu. „Es handelt sich um eine schwierige Materie, für die es kein Patentrezept gibt.“

Von Vorschlägen, die Bürger für Einsätze zahlen zu lassen, wenn kein Notfall vorliegt, hält er nichts: „Wer will entscheiden, was notwendig war oder nicht? Das würde doch einen Rechtsstreit nach dem anderen bedeuten“, sagt Jahner. Im Fall des aggressiven Merseburgers, der innerhalb einer Stunde bis zu 13 Mal den Notruf blockiert, liegt der Sachverhalt anders. Ihm drohen bei einer Verurteilung übrigens eine Geldstrafe oder Gefängnis bis zu einem Jahr. (mz)