Rembert Freiherr von Münchhausen im Gespräch Rembert Freiherr von Münchhausen im Gespräch: Die wahre Geschichte um den Lügenbaron

Vahlberg/Vitzenburg - Gäste empfängt Rembert Hubertus Freiherr von Münchhausen in der gläsernen Galerie seiner Gartenvilla auf dem Rittergut im niedersächsischen Groß Vahlberg, 14 Kilometer von Wolfenbüttel entfernt. Das Fachwerkhaus steht leicht erhöht, so bietet sich Richtung Norden ein weiter Blick über das Gut mit seinem wuchtigen Drei-Seiten-Hof bis hin zum Elm in der Ferne, der letzten nennenswerten Erhebung vor der Norddeutschen Tiefebene. Groß Vahlberg selbst schmiegt sich an den Fuß des kleinen Höhenzugs Asse, berühmt und berüchtigt durch ein still gelegtes Bergwerk, in dem Fässer mit radioaktivem Abfall lagern.
Die Asse sieht der Freiherr von seiner Galerie nicht, dafür aber einen malerischen Park mit alten Bäumen und kleinen geschwungenen Brücken. „Hier fühle ich mich zu Hause. Ich liebe die Ruhe“, sagt der 63-Jährige. Heimat bedeuten für die Familie von Münchhausen aber auch 530 Hektar Wald im Ziegelrodaer Forst oder das Schloss Vitzenburg (Saalekreis), das bis 1945 in Familienbesitz gewesen ist, bevor das Adelsgeschlecht entschädigungslos und vollständig durch die sowjetische Militäradministration enteignet wurde.
Großvater starb in Buchenwald
Rembert von Münchhausen, ein besonnener Mensch mit einer ruhigen Stimme, wird lauter. Dass in der sowjetischen Besatzungszone Grundstücksbesitzer ihr Eigentum behalten durften, wenn das Land eine Fläche von 100 Hektar nicht überschritt, alle anderen, die mehr besaßen, aber alles verloren haben und wie Kriminelle behandelt wurden, „ist eine große Ungerechtigkeit gewesen, die auch nach der Wiedervereinigung nicht getilgt wurde“. Eine Ungerechtigkeit, die Münchhausens Großvater, der ebenfalls Rembert hieß, mit dem Leben bezahlte: Er wurde aufgrund seiner adligen Abstammung nach Ende des Zweiten Weltkriegs im Konzentrationslager Buchenwald inhaftiert, das die Sowjets bis 1950 als Speziallager weiter betrieben hatten.
„Mein Großvater ist dort verhungert. Wie schlimm und grausam es in dem Lager war, wissen wir von einem Mithäftling, einem Schuhmacher, der seine Erinnerungen niedergeschrieben hat. Die Zeilen hat er in einem Büchlein mit Geschichten über den Lügenbaron Münchhausen versteckt, damit sie kein Spitzel findet“, erzählt der Freiherr. Jener Lügenbaron, Hieronymus von Münchhausen (1720 - 1797), dem die wundersamen Abenteuer wie der Ritt auf einer Kanonenkugel angedichtet worden sind, ist einer seiner Vorfahren.
Mutter stammte aus Vitzenburg
Der Stammbaum des mittlerweile weit verzweigten Adelsgeschlechts der Münchhausens lässt sich bis 1166 zurückverfolgen und ist seitdem auch lückenlos dokumentiert. Die väterliche Linie Remberts von Münchhausen hat ihre Wurzeln im Weserbergland und in Braunschweig. Schloss Vitzenburg wiederum mit seinem Waldbesitz und 2.000 Hektar Ackerland gehörte der Adelsfamilie von der Schulenburg. Durch die Heirat von Großvater Rembert mit Gräfin Auguste, der Besitzerin von Vitzenburg, ergibt sich die Verbindung zu den Münchhausens nach Niedersachsen. „Meine Mutter Annemarie, in Vitzenburg geboren und aufgewachsen, hatte meinen Vater Adelbert geheiratet“, erzählt der Freiherr. Hin und wieder wird er auf der Straße mit „Herr Baron“ angesprochen - am Stammsitz in Groß Vahlberg wie auch im Ziegelrodaer Forst.
Familie gilt als bodenständig
Doch darauf pocht er nicht, auf die richtige Aussprache des Familiennamens schon. Die Betonung liegt auf der ersten Silbe, das ist ihm wichtig. In ihrer Heimatgemeinde gelten die Münchhausens als bodenständig - auch und vor allem Ehefrau Verena, eine geborene von Hardenberg, die schon ehrenamtlich als stellvertretende Bürgermeisterin gearbeitet hat. Das Paar hat drei erwachsene Kinder. In Groß Vahlberg mit seinen 420 Einwohnern interessiert die Menschen die Schachtanlage Asse freilich wesentlich mehr als das Schicksal der Aristokratie. Hier steht vor fast jedem Haus eine gelbe Tonne mit dem Atomsymbol. Oder ein großes A, aus Holzlatten gezimmert. Es sind Zeichen des Protests.
Zwischen 1967 und 1978 wurde in dem Salzstock die Endlagerung radioaktiver Abfälle erprobt. 126.000 Fässer stehen in 750 Metern Tiefe. Die Region fürchtet die Kontamination durch den verstrahlten Müll; das Bergwerk ist nicht sicher. Der Bund hat sich zur Sanierung bekannt. Die Münchhausens kämpfen mit den Leuten um eine sichere Zukunft. Sie engagieren sich nach wie vor in der Kommunalpolitik und in der örtlichen Kirchengemeinde. Und sie pflegen ihr Erbe. 1776 hatte die Familie das Rittergut übernommen. Zunächst nutzte sie das Anwesen als Sommerresidenz. Den Winter verbrachte sie in Braunschweig. Im 19. Jahrhundert wurde Groß Vahlberg zum Stammsitz. „Und wenn die Familie zusammenkam, als die DDR noch existierte, dann wurde auch immer über Vitzenburg gesprochen. Und so wurde es auch nicht vergessen.“
Rückkehr nach dem Mauerfall
Nach 1990 kehrten die Vertriebenen zum Ziegelrodaer Forst zurück. Den alten Besitz, jetzt „volkseigene“ Ländereien im Eigentum der Bundesrepublik, durften die Enteigneten zu einem vergünstigten Preis erwerben - so sie es denn wollten. Die Münchhausens kauften so ihre 530 Hektar Wald zurück. Schloss Vitzenburg gehört jetzt einem Unternehmer aus Berlin, das Ackerland einem Agrarbetrieb, der nach der Wende aus dem Westen in den Osten kam. Zweimal pro Monat ist Rembert von Münchhausen in seinem Wald, gute zwei Autostunden von Vahlberg entfernt. Dann wohnt er im Schlosshotel Nebra. Zwar besitzt er in Vitzenburg auch ein ehemaliges, kleines Gasthaus direkt am Schloss. Doch um das Gebäude wird sich wohl Sohn Georg kümmern, der sich dort einen Weinberg gekauft hat.
Zu Hause auf dem Rittergut führt Rembert von Münchhausen einen landwirtschaftlichen Betrieb und setzt damit eine 250 Jahre alte Familientradition fort. Der passionierte Jäger ist im Ziegelrodaer Forst zudem Vorsitzender der Hegegemeinschaft Rotwild. „Ich will das Rotwild erhalten und bin kein Freund von radikalen Methoden wie den großen Jagden, bei denen 170 Jäger auf alles schießen, was sich bewegt“, sagt der 63-Jährige und verhehlt nicht, dass er vor allem mit den Vertretern aus dem Landesforst schon einige Dispute geführt hat. Die isolierte Hirschpopulation im Forst beschäftigte schon seinen Urgroßvater Werner, der Anfang des 20. Jahrhunderts junge Rothirsche aus den Karpaten in den Wald bringen ließ und dort auswilderte. Sie sollten sich mit dem heimischen Rotwild kreuzen und so robustere Tiere hervorbringen. Die Blutauffrischung funktionierte.
Die Geschichte mit der Lüge
Und was ist nun mit dem angeblichen Lügenbaron, der als Porzellanfigur in vielen Varianten im gläsernen Atelier auf dem Rittergut in Vitrinen steht? „Die Geschichten wurden ihm angehängt. Da bin ich mir sicher“, sagt der Freiherr. Vermutlich ging es im 18. Jahrhundert darum, der Familie von Münchhausen eins auszuwischen, die für einige Zeitgenossen zu viel politischen Einfluss hatte. „Also suchte man sich einen Münchhausen, der leichter angreifbar war.“ Hieronymus war Soldat in russischen Diensten und als guter Erzähler bekannt, das perfekte Ziel. Seine Berühmtheit verdankt er indes den Dichtern Rudolf Erich Raspe und Gottfried August Bürger, die die Geschichten unter das Volk brachten. „Der Baron hat vor Wut gekocht, konnte aber nichts dagegen tun“, sagt Nachkomme Rembert. Das Ärgernis von damals ist heute ein Geschenk, die Verfilmung mit Hans Albers in der Hauptrolle gilt als Klassiker. Dem Lügenbaron verdankt der Name Münchhausen die Bekanntheit und der Ziegelrodaer Forst einen Hauch von Glamour. (mz)

