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Pflege von Angehörigen Pflege von Angehörigen: Welche schwere Arbeit zwei Frauen von Parkinsonkranken leisten

Von Robert Briest 06.09.2020, 06:00
Kontakte zu anderen, helfen ihnen beiden, sagt Karin Dell
Kontakte zu anderen, helfen ihnen beiden, sagt Karin Dell Katrin Sieler

Merseburg - Am frühen Morgen, wenn die meisten Menschen noch in ihren Betten liegen, ist Doris Böttcher schon mit dem Rad unterwegs. Das Ziel der Wallendorfer See. Schwimmen. Für die 75-jährige ein wichtiges Stück Freizeit am Tag. Denn wenn sie in ihr Haus in Merseburg zurückkehrt, beginnt für sie ein Ganztagsjob: die Pflege ihres Ehemannes.

Der leidet an Parkinson, wie etwa ein Prozent der Weltbevölkerung über 60 Jahre. Bei ihrem Mann wackle bisher nur die linke Hand, berichtet Böttcher. Dennoch ist ihre Aufgabenliste lang, wenn ihr Gatte morgens aufwacht. „Dann geht es los mit duschen, Toilettengang. Ich ziehe ihn an, setze ihn im Wohnzimmer auf einen Stuhl. Dann kommt der medizinische Dienst.“ Danach gehe ihr Mann manchmal in den Garten, um kleine Arbeiten zu verrichten oder er lese Zeitung.

„Ich koche jeden Mittag zu Punkt zwölf Essen“, berichtet die Seniorin. Zu ihrem Alltag gehören auch Arztbesuche, Einkaufen, Putzen. Wie viel Zeit sie für die Pflege aufwende, könne sie schwer schätzen.

Hilfe in der Gruppe

Doris Böttcher ist bei Weitem kein Einzelfall. Laut Zahlen des Statistischen Bundesamtes wurden Ende 2017 von den über 3,7 Millionen Pflegebedürftigen im Land 1,76 Millionen allein durch Angehörige betreut. Bei weiteren 820.000, die noch zu Hause lebten, übernahm ein ambulanter Pflegedienst die Aufgaben ganz oder teilweise. Weniger als ein Viertel der Betroffenen lebte im Heim, was zeigt, wie groß der Pflegekräftemangel wäre, wenn sich nicht viele Angehörige um ihre Verwandten kümmern würden.

Für Böttcher ist das selbstverständlich, schließlich hat sie ihren Mann bereits vor 57 Jahren kennengelernt. Vor sieben Jahren bestätigten Ärzte am Uniklinikum Magdeburg die Diagnose Parkinson. „Man lebt, wie es sein muss“, sagt die Merseburgerin. Ihr Mann müsse regelmäßig zu stationären Behandlungen. „Er hat die Krankheit mittlerweile angenommen.“

Selbsthilfegruppe des Paritätischen

Geholfen hat dabei auch die Selbsthilfegruppe des Paritätischen. Dort in der Sixtistraße treffen sich einmal im Monat Parkinsonkranke und ihre Angehörigen, tauschen sich über ihre Erfahrungen aus. Die Teilnehmerzahlen schwanken zwischen 10 und 15, berichtet Böttcher. „Es steigen welche aus, neue kommen hinzu.“

Zu den Neulingen zählte vor zwei Jahren auch Karin Dell. Sie hatte bis dahin mit ihrem an Parkinson erkrankten Mann Harry in Eisenach gewohnt. Doch weil es dort keine Selbsthilfegruppe gab, brachen sie die Zelte ab und zogen nach Merseburg. „In der Selbsthilfegruppe erlebt man verschiedene Stadien der Erkrankung - von leichten bis starken Fällen.“ Für die Betroffenen könne das durchaus eine Belastung sein. Ihren Mann habe es anfangs fertig gemacht, zu sehen, wie weit Parkinson gehen kann, erinnert sich Dell: „Ich habe ihm dann gesagt, streng dich an, dass sich diese Phase bei dir möglichst lange hinaus zögert.“

Ohnehin betonen Böttcher und Dell, dass die seelische Arbeit einen großen Anteil ausmache: „Unsere Hauptaufgabe als Angehörige ist es dem Pessimismus entgegen zu wirken. Dabei hilft die Selbsthilfegruppe“, erklärt die 79-jährige Neumerseburgerin. Das Problem der Krankheit sei, dass sie oft Männer betreffe, die vorher tatkräftig waren und nun vieles nicht mehr machen könnten. Das berge die Gefahr von Depressionen.

Helfen, nicht bevormunden

„Mein Mann weint jetzt viel, wenn er etwas Trauriges hört“, berichtet Böttcher. Sie müsse ihn dann trösten. „Er ist sehr ruhig geworden, beteiligt sich kaum an Gesprächen.“ Ähnliches schildert Dell: Es sei typisch, dass der Parkinsonpatient inaktiver wird, er sich zurückzieht, weil das Sprechen schlechter funktioniert. Dadurch fiel der Kontakt zu anderen schwer: „Da übernehmen wir Frauen. Aber wir müssen dabei aufpassen, dass wir nicht über das Ziel hinausschießen, sie nicht bevormunden, sondern unsere Männer auch fordern. Meiner muss beispielsweise Kartoffeln schälen.“

In den acht Jahren die Parkinson nun schon Teil des Familienlebens ist, hat die pflegende Ehefrau eine wichtige Erkenntnis gewonnen: Kontakte zu anderen helfen. „Wenn die Kinder da sind, ist das Krankheitsbild ein anderes. Deshalb ist es wichtig, in der Familie und im Freundeskreis Situation zu schaffen, in denen es Austausch, Kontakte gibt“, sagt Dell. Das hilft nicht nur den Erkrankten: „Auch wir selbst müssen ja gucken, dass wir leben.“ Und dass möglichst nicht nur im Morgengrauen. (mz)