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Nicht nur Beschäftigungstherapie

Von UNDINE FREYBERG 17.05.2009, 16:44

HORBURG/MZ. - Hunderte kamen am Samstag nach Horburg, um gemeinsam mit Behinderten, deren Verwandten und natürlich allen Mitarbeitern der Samariterherberge das Jahresfest zu feiern.

Wer sich über die Werkstätten informieren wollte, machte am besten eine der Führungen mit. So wie Waltraud und Rudolf Hortig. "Unser Sohn arbeitet seit kurzem hier. Er ist von Beruf Schlosser und jetzt hier als einer der Gruppenleiter tätig, deshalb wollten wir uns die Werkstätten mal ansehen", lächelte Waltraud Hortig. Dabei relativierte sich für manchen sehr schnell die Vorstellung, die er von einer Behindertenwerkstatt hatte.

"Wir machen hier nicht nur Beschäftigungstherapie", erklärt Birgit Lanz, die Leiterin der Produktion, freundlich aber bestimmt und zeigt den Besuchern die einzelnen Räume. Tischlerei, Montagebereich, Kreativwerkstatt oder die Wäscherei - hier sieht es - auch was die Maschinen anbelangt - nicht sehr viel anders aus, als in einem normalen Betrieb. "Wir bauen zum Beispiel Regale für eine Firma in Leipzig. Wir bekommen Lattenroste, die zweite Wahl sind, angeliefert und bringen sie wieder in Ordnung, und wir montieren Teile für eine Sanitärfirma in Eisenberg", erzählt sie. "Oft sogar unter großem Zeitdruck. Die Sanitärteile kommen manchmal an einem Tag und müssen am nächsten Tag schon wieder ausgeliefert werden."

Das sei auch eine große Aufgabe und Verantwortung für die Gruppenleiter, die die rund zehn- bis 18-köpfigen Gruppen betreuen. Denn wenn die fertigen Teile die Werkstatt verlassen, müssen sie so aussehen, dass es keine Beanstandungen gibt. "Sonst verlieren wir vielleicht den Auftrag", meinte Lanz. Gerade in einer Region mit großen Chemiebetrieben seien Montageaufträge nicht so leicht zu kriegen. Deshalb seien die Gruppenleiter nicht etwa Ergotherapeuten, sondern Fachleute aus Industrie und Wirtschaft, die den Behinderten ganz genau erklären und zeigen, was wie gemacht werden muss. Man versuche auch so viel wie möglich mehrfach Behinderte, die nicht für den Arbeitsprozess geeignet sind, in die Werkstattarbeit zu integrieren. "Denn sie fühlen sich in der Gemeinschaft sehr wohl, und es ist für Nichtbehinderte oft kaum zu glauben, wieviel Fröhlichkeit und gute Laune mancher jeden Tag versprüht."

Die Behinderten bekommen für ihre Arbeit ein Entgelt, das in Sachsen-Anhalt mindestens 73 Euro beträgt, in Horburg liegt es zwischen 110 und 160 Euro. Dieses Geld ist nicht für den Lebensunterhalt gedacht, denn dafür erhalten die Behinderten eine soziale Grundsicherung.

Wie in jedem anderen Betrieb auch, erhalten die Behinderten Urlaub - 30 Tage im Normalfall, Schwerbehinderte bekommen 35 Tage. "Und auch da muss es Abstimmungen geben, denn wir hatten zum Beispiel den Fall, dass plötzlich alle aus der Wäscherei im Dezember Urlaub nehmen wollten, und das geht natürlich nicht", erklärt Sozialpädagogin Ines Stübner, die seit 15 Jahren in der Samariterherberge arbeitet. "Manche Angehörige verstehen das zunächst nicht. Aber unsere Behinderten sind nun mal fest eingeplant und wir brauchen sie auch."

Oft kämen Firmen oder auch Vereine auf die Werkstätten zu und fragen: habt ihr nicht, oder könnt ihr nicht. "Und in den meisten Fällen können wir es möglich machen und das Gewünschte herstellen", erzählt Birgit Lanz. Die Auftragslage sei im Augenblick ganz gut. "Aber es dürfte natürlich gern etwas mehr sein", sagt sie und verabschiedet die Gäste nach der Führung wieder auf das Festgelände.

Im Festzelt singt gerade der Gospelchor Braunsbedra und in der Fotoecke hat Gruppenleiter Alf Abrahamczyk alle Hände voll zu tun. Der Landmaschinenmechanikermeister, der die Metallgruppe in der Werkstatt in Merseburg-Nord betreut, gehört zur Freiwilligen Feuerwehr seines Heimatortes Lippendorf in Sachsen. Extra fürs Jahresfest hat er ein großes Zielspritz-Spiel und einige echte Feuerwehr-Uniformen mitgebracht. "Das ist für einige unserer jungen Männer das Größte - einmal ein Feuerwehrmann sein", erzählt der 46-Jährige. "Heute können sie das zumindest für ein Foto mal sein."