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Morbus Hodgkin Morbus Hodgkin: Der Tod hat hier keinen Platz

Von Petra Wozny 04.08.2003, 13:27

Gröst/MZ. - "Ich will nicht therapiert werden. Lasst mir meine Haare", fordert die junge Frau. "Ich will meine Ruhe und nur noch sterben." Die Familie und Mediziner lassen ihr diese Ruhe nicht. Zum Glück. Heute sitzt die 26-Jährige munter am Tisch, scherzt lacht, geht wieder arbeiten, ist seit einem Jahr verheiratet - lebt.

Sie denkt zurück. "Die Behandlung vor zwei Jahren war richtig schlimm. Die Glatze ging ja noch, aber dass ich von der Größe 36 durch die Medikamente so fett wurde, dass mir nur noch die 46 passte, war schon furchtbar." Im Mai vergangenen Jahres bekommt sie die Bestätigung: Vollremission - das heißt in der Fachsprache, Jana Prassek gilt als geheilt. Vorbei, vergessen?

"Nein, nie. Jedesmal, wenn Blutuntersuchungen anstehen oder ich durch die Röhre muss, kommt die Panik." Darum auch sucht die Grösterin Gleichgesinnte, um sich auszusprechen, Halt zu finden, das Leid zu teilen. Sie ist entschlossen, eine Selbsthilfegruppe zu gründen, in der Morbus Hodgkin-, Non Hodgkin- und Leukämiekranke (so nennen sich die Krebsarten) zusammenkommen. Und sie findet diese krebskranken Menschen, die Gleiches wie sie durchgemacht haben und noch durchmachen.

Da meldet sich beispielsweise die 46-jährige Christina Schulze aus Großkayna. Seit sieben Jahren gilt sie als geheilt. "Aber die Seele leidet. Die Angst, wieder zu erkranken, ist einfach zu groß", sagt sie leise. Auch Grit Stützinger ruft bei Jana Prassek an, sucht Beistand. Die heute 29-Jährige erkrankte an diesem Krebs als ihr Baby gerade einmal ein Jahr alt war. "Auf Krebs wirst du nicht vorbereitet. Völlig unbeleckt musst du dich auf ihn einlassen", erzählt die Sozialarbeiterin aus Großkayna. Ihre Mutter pflegt die junge Frau, gibt ihr die Kraft, sorgt sich um das Enkelkind. Noch während der Behandlung ihrer schweren Krankheit plant sie: "Wenn ich je wieder gesund werde, lasse ich mich scheiden." Das tut sie, lebt jetzt glücklich in einer neuen Beziehung, geht wieder arbeiten. Eine starke Frau ist sie, dennoch sucht sie wie Jana Prassek, wie Christina Schulze Gleichgesinnte. "Nur die können verstehen, was in deinem Kopf ganz hinten los ist. Du weißt, was Leben wieder ist und du hast auch das Sterben gesehen."

Tino Albrecht zieht die Brauen hoch, er ahnt, was die Frau neben ihm damit meint. Er ist 16, hat Ferien nach der neunten Klasse. Und muss ins Krankenhaus. Tino hat Krebs. Ausgebrochen ist er, da war der Müchelner gerade zwölf. Dann galt er als geheilt. Jetzt kam der Rückschlag. Selbst die Ärztin habe bei der Übermittlung der Diagnose geweint. Die Behandlung beginnt in diesen Wochen von vorn.

"Als wir von Tinos Wiedererkrankung hörten, bekamen wir alle weiche Knie", sagt Jana Prassek, die mit seinen Eltern ins Krankenhaus ging. Das ist typisch für diese Selbsthilfegruppe. Man steht zueinander. Besucht sich auf Station oder auch mal so im Garten beim Grillen. "Wir laden Ärzte ein, Psychologen. Oder wir besuchen Pflegeeinrichtungen, kümmern uns, wo welche Gelder beantragt werden müssen. In unserem Staat sagt einem doch keiner was. Wenn du krank bist, wiegt Hilfe doppelt schwer", weiß Jana Prassek. "Wir lassen uns vom Krebs nicht das Leben diktieren", sagt Irmtraud Albrecht, die Mutter von Tino mit Entschlossenheit und stellvertretend für alle Angehörigen, die mit in der Selbsthilfegruppe integriert sind.

Alle haben Pläne. Grit Stützinger zum Beispiel. "Ich möchte auf der Hochzeit meiner Tochter tanzen", lacht sie fröhlich. Jana Prassek genießt das wieder gewonnene Leben. Kinder sind nicht spruchreif. Und Tino, um den jetzt alle bangen? "Der Abschluss der zehnten Klasse ist wichtig. Dann will ich Tischler werden. Und Fallschirmspringen."

Der Tod, so sagt die Selbsthilfegruppe, hat an ihrem Tisch keinen Platz.

Die Selbsthilfegruppe trifft sich jeden letzten Donnerstag im Monat 17 Uhr in der St. Barbara-Halle in Braunsbedra. Telefonische Kontakte über (034632) 23 639.