Männertag - nur Sauftag? Männertag - nur Sauftag?: Interview mit Sexualforscher zum Thema Mann

Merseburg - Männertag, Herrentag. Christi Himmelfahrt – der Feiertag am Donnerstag hat viele Namen. Ihnen ist gemein: Im Mittelpunkt steht der Mann. Doch dessen Bild in der Gesellschaft wandelt sich, wie der Merseburger Sexualforscher Heinz-Jürgen Voß im Gespräch mit Robert Briest erklärt.
In Gruppen rumziehen, Bier saufen, grölen – kann der Mann am Männertag endlich so sein, wie er wirklich ist?
Voß: Der Herrentag hat diesen Charakter bekommen. Er stärkt ein gewisses verbindendes Element. Mit dem Tag sind aber auch mehr Straftaten verknüpft, die häufig unter Alkoholeinfluss begangen werden. Für die übrige Bevölkerung ist es daher ein schwieriger Tag. Leute, die sexistischen Sprüchen ausweichen wollen, gehen an diesem Tag eher nicht raus.
Aber zeichnet das Verhalten an diesem Tag ein realistisches Männerbild?
Voß: Nein. Es sind nur einige Männer in Gruppen unterwegs. Für andere ist das nichts, sie verbringen den Tag etwa mit der Familie. Aber es ist eine Zuschreibung, die wir lange Zeit für Männer hatten, dass sie sich nicht unter Kontrolle haben und aggressiv sind. Das ist aber nur noch ein Bild von Männlichkeit. In der Gesellschaft haben sich Männlichkeiten weiterentwickelt, sehr unterschiedliche Formen angenommen.
Natürlich gibt es bei Männern auch einen gewissen Teil, der sagt, er will sich am Herrentag mal ausleben. Aber das ist auch das Interessante: Das ist ein auf einen Tag begrenztes Ausbrechen aus einer Rolle. Am nächsten Tag leben sie wieder eine verantwortungsvolle Rolle, auf Arbeit, in der Familie. Wir treffen den Mann am Herrentag also nicht in seiner „Urform“ an, sondern einige Männer suchen vielleicht einfach Ausgelassenheit.
Sie verwenden den Plural. Was meinen Sie mit Männlichkeiten?
Voß: Die Lebensverhältnisse haben sich gewandelt. Es geht nicht mehr nur darum, dass Männer stark sein, „ihren Mann stehen“ und leistungsbereit sein müssen. Zunehmend spielt auch eine familiäre Orientierung eine Rolle. Es geht für Männer mittlerweile auch darum, schön zu sein. Klar definierte Körper und Muskeltraining sind in. Früher typisch weibliche Krankheiten wie Bulimie und Magersucht sehen wir, jetzt auch bei Männern. Und zunehmend ist es in der Gesellschaft akzeptiert, dass Männer unterschiedliche sexuelle Orientierung haben können.
Historisch galt ja das Bild vom „male breadwinner“, also vom Mann als Ernährer der Familie, das ja gerade im Westen noch lange Bestand hatte. Welche Rolle spielt der berufliche Erfolg heute im Selbstverständnis des Mannes?
Voß: In der BRD war es in der Tat so, dass bis 1977 der Ehemann die Erwerbsarbeit der Frau kündigen konnte, wenn sie „ihre Pflichten im Haushalt“ vernachlässigt. Im Osten und bei Jüngeren haben wir heute eine deutlich größere Erwerbsneigung bei Frauen. Das bedeutet, dass bei jüngeren Leuten die Aushandlung, wer was in Haushalt und Familie macht, erstmal relativ gleichberechtigt erfolgt. Der Berufseintritt bleibt aber weiterhin eine heftige Schranke, weil sich dort die Ungleichbehandlung der Geschlechter am Gehalt zeigt.
Wenn dann zum Beispiel ein Kind geboren wird, ist es lukrativer, wenn die Frau zu Hause bleibt. Auf diese Weise wird weiterhin die Erwerbsarbeit der Männer institutionell befördert. Zudem werden Männer sozial auf Leistungsbereitschaft und eine gewisse Durchsetzungsfähigkeit getrimmt. Sie sind sozialisiert, die Auseinandersetzung um Führungspositionen stärker anzunehmen.
Die #MeToo-Debatte, um sexuelle Übergriffe gegen Frauen, führte zuletzt zu Rücktritten und Karriereenden. von Prominenten. Wie relevant ist sie für das Alltagsverhältnis der Geschlechter?
Voß: Die Debatte kommt an. Nach Zahlen des Familienministeriums haben 30 Prozent der Frauen schon sexualisierte Übergriffe erlebt. Es ist nach wie vor quasi eine Selbstverständlichkeit, dass Frauen von angetrunkenen Männer getätschelt, also belästigt werden, wenn sie aufs Klo gehen. Wir brauchen eine Achtsamkeitskultur.
Die kommt derzeit nach und nach auf den Weg. #MeToo ist ein wichtiger Ausgangspunkt, um ein Verständnis für Grenzen zu erzeugen: Wo beginnt ein sexueller Übergriff? Wo und wie kann aber auch ganz positiv und gewollt Sexualität stattfinden? Das sollten wir vor lauter Achtsamkeit nicht hintenanstellen. Was ich an den aktuellen Debatten schwierig finde, ist, dass es oft nicht darum geht, dass sich an den Strukturen etwas ändert, sondern es immer öffentliche Hypes sind, bei denen punktuell jemand entlarvt wird – und dann ist das Thema wieder zu Ende.
Meist handelt es sich dabei um Prominente. Entfaltet die #MeToo-Debatte im Alltagsleben hier in der Region tatsächlich eine Wirkung?
Voß: Ja. Dass sich Betroffene offen äußern, regt Gespräche über Sexualität und sexualisierte Gewalt an, die wir dringend brauchen. Wenn über Verfehlungen von Prominenten, die ja teils auch Rollenvorbilder sind, gesprochen wird, kann man damit umgehen. Man sollte aber nicht nur verteufeln, sondern auch schauen, dass die Menschen an sich arbeiten, um ihre Verfehlungen abzustellen.
(mz)