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„Mich interessiert die Veränderung“ Künstlerin Kerstin Alexander liebt Mensch und Landschaft

Restlöcher vom Tagebau und Windräder zählen zu den Inspirationsquellen der Künstlerin Kerstin Alexander.

Von Jakob Milzner 19.09.2021, 14:03
Kerstin Alexander in ihrem Garten: ?Ich bin ein Freund des Regens geworden?, sagt die Künstlerin. ?Wenn man ein paar Jahre Trockenheit hinter sich hat, dann kriegen so Kleinigkeiten eine neue Schönheit, eine neue Wichtigkeit.?
Kerstin Alexander in ihrem Garten: ?Ich bin ein Freund des Regens geworden?, sagt die Künstlerin. ?Wenn man ein paar Jahre Trockenheit hinter sich hat, dann kriegen so Kleinigkeiten eine neue Schönheit, eine neue Wichtigkeit.? (Foto: Jakob Milzner)

Halle/Merseburg/MZ - Durch die geöffnete Gartentür strömt die frische Luft eines frühen Morgens im Regenwald in das Atelier von Kerstin Alexander. Langsam verflüchtigt sich der mittlerweile ganz dünne Nebel und erste Sonnenstrahlen erhellen den Raum. Wohin der Blick sich wendet: Überall stehen, liegen und kleben Leinwände, Werkzeuge, Farben und deren Reste herum. Auf einer Palette haben sich ganze Gebirgslandschaften aus getrockneter Öl- und Acrylfarbe gebildet. In ihren Geruch mischt sich der von frischem Kaffee. Ein Kuckuck ruft aus dem Garten herüber.

Die Natur, sie ist eines der wichtigsten Themen im Werk der halleschen Künstlerin, die auch als Dozentin für Grafikdesign und Illustration an der Hochschule Merseburg tätig ist. Die Natur und das, was die Menschen aus ihr machen: „Mich interessiert die Veränderung in der Landschaft“, sagt Alexander. „Das ist das, worum es mir eigentlich geht. Wir Menschen verändern die Natur, die Landschaft. Und mich interessiert dieses Spannungsfeld.“

Braunkohle und Kaolin

Ein Spannungsfeld, das sich in vielen ihrer Kunstwerke wiederfindet. So zeigen einige der großformatigen Bilder in ihrem Atelier Formen und Strukturen, die an jene erinnern, die durch den Abbau von natürlichen Ressourcen entstehen. Den Abbau von Braunkohle etwa, aber nicht nur. „Tagebau muss nicht nur Braunkohle sein“ erläutert die 1961 in Jena geborene Künstlerin. „Es können auch andere Dinge geschürft werden. Um Halle haben wir relativ viele Kaolin-Restlöcher, große, kleine, alte, neue. Das ist diese weiße Erde, die abgebaut wird, um Porzellan herzustellen.“

Ein großformatiges Gemälde der Hallenser Künstlerin
Ein großformatiges Gemälde der Hallenser Künstlerin
(Foto: Jakob Milzner)

Die ambivalenten Wirkungen der menschlichen Eingriffe in die Natur haben es Kerstin Alexander angetan. Überall entdeckt sie die teils subtilen, teils sich geradezu aufdrängenden Spuren des Menschen in der Landschaft. „Was macht Landwirtschaft mit der Erde“, fragt sie. „Das ist in Sachsen-Anhalt ein sehr bedenkliches Thema. Die Schläge sind riesengroß, wir haben kaum noch Vogelinseln darauf. Sowas interessiert mich, das treibt mich eigentlich mein ganzes Leben lang um.“

Narben und Erosion

Auch mit den Manifestationen der erneuerbaren Energien beschäftigt sich Alexander. „Es gibt zum Beispiel Riesenbilder zum Thema Windräder“, sagt sie. „Zum einen möchte ich, dass diese Energie kommt. Zum anderen setze ich mich damit auseinander, wie diese Windräder da doch die Silhouette zerkratzen. Nicht alles, was gut ist, fühlt sich gut an oder sieht gut aus.“

Wie Gebirgszüge erstrecken sich die getrockneten Farben auf einer hölzernen Oberfläche im Atelier der Malerin, die in Merseburg Grafikdesign unterrichtet.
Wie Gebirgszüge erstrecken sich die getrockneten Farben auf einer hölzernen Oberfläche im Atelier der Malerin, die in Merseburg Grafikdesign unterrichtet.
(Foto: Jakob Milzner)

Was zerkratzt, das hinterlässt in der Regel Narben. Auch davon redet die Künstlerin, die von 1981 bis 1986 Grafikdesign an der Burg Giebichenstein studierte. „Letztendlich sind das alles Narben, mit denen wir leben, an die wir uns eventuell gewöhnen“, sagt sie über die durch den Tagebau in der Region hinterlassenen Restlöcher. „Manche findet man auch schön, gerade diese Schichtungen, die entstehen, die durch die Erosion freigelegt werden. Aber Erosion an sich ist etwas sehr Bedenkliches.“

Nicht alle der Gemälde, für die sie vor allem mit Öl- und Acrylfarben arbeitet, zeigen unbelebte Motive wie Strukturen oder Landschaften. Auf einem jener, die in ihrem Atelier an den Wänden hängen, erkennt man Menschen, „vereinzelt auf ihren Decken“, beschreibt Alexander, „nicht direkt todunglücklich, aber eben isoliert.“ Dieses Bild habe sie während der Pandemie gemalt, erzählt die Künstlerin. Der Titel des Werks: „Das Leben wartet auf die Menschen“.

Figuren und Regen

„Während Corona habe ich meine Studenten vermisst“, sagt die Malerin. Obwohl diese Gruppe durch die Krankheit nicht so bedroht gewesen sei, habe sie in der Zeit geltender Beschränkungen doch sehr gelitten. „Da habe ich Menschen sehr gemocht. Da habe ich das Thema Figur aufgegriffen, weil mir der Mensch gefehlt hat. Aber sonst fehlt er mir nicht so sehr“, lacht Alexander.

Serien-Logo Merseburg
Serien-Logo Merseburg
(Foto: Katrin Sieler)

Wenn ihr die Menschen gerade nicht so sehr fehlen, findet sie Rückzugsorte in ihrem Atelier und dem langgezogenen Garten hinterm Haus. Auch dort erkennt sie Veränderungen in der Natur. „Ich bin ein Freund des Regens geworden“, sagt die Malerin. „Ich renne ständig raus und gucke in meinen kleinen Regenmesser. Wenn man ein paar Jahre Trockenheit hinter sich hat, dann kriegen so Kleinigkeiten eine neue Schönheit, eine neue Wichtigkeit. Und das erlebe ich ganz intensiv.“