Koranschule Koranschule: Muslime wollen Unterricht

Merseburg/Magdeburg - „Es will ja niemand, dass Ehrenamtliche, die niemand kennt, in Hinterzimmern irgendetwas lehren“, sagt Daniel Stahnke. Der SPD-Politiker ist Vorsitzender des Bildungsausschusses in Merseburg – und stellvertretender Chef des Zentralrats der Muslime in Sachsen-Anhalt. Als solcher fordert Stahnke die Einführung eines Islamunterrichts an den Schulen des Landes, vergleichbar mit bereits bestehenden Angeboten für Protestanten und Katholiken. Damit, so seine Argumentation, könne man für mehr Transparenz sorgen und für Prävention gegen Radikalisierung. „Den Radikalen wird das Feld genommen. Wenn der Unterricht an der Schule stattfindet, sind das staatliche Angestellte. Da weiß dann jeder, wer das ist. Und es gibt einen Lehrplan.“
Bisher ist ein Schulfach „Islam“ in Sachsen-Anhalt nur eine Idee. In der Realität unterrichten Ehrenamtler derzeit Kinder in den Räumen der Gemeinden, genauso wie Stahnke es beschreibt. Jeder nach seinem Gusto. In der Merseburger Gemeinde in der Dammstraße koordinieren Omar al-Mourabee und Akram al-Saka die Koranschule. „Wir machen Arabisch- und Koranunterricht“, berichtet al-Mourabee, der jüngere der beiden Syrer. Der Unterricht findet immer samstags und sonntags statt – jeweils etwa für zwei Stunden.
100 Kinder beim Unterricht
Der grobe Plan sei, dass es erst eine Stunde Unterricht in Arabisch und dann eine Stunde Koranschule gebe, sagt der 24-Jährige. In der Praxis entscheide aber jeder Lehrer selbst, was er macht. „Einen festen Lehrplan gibt es nicht.“ Auch keine Lehrbücher. Als Lektüre gibt es lediglich den Koran auf Arabisch. Das ist auch die Unterrichtssprache. Neben den beiden Koordinatoren gibt es in Merseburg noch zahlreiche weitere ehrenamtliche Lehrkräfte. Etwa 90 bis 100 Kinder zwischen sieben und 17 Jahren kämen zum Unterricht in die Moschee, schätzt al-Mourabee. Ein Lehrer kümmere sich jeweils um fünf bis sechs von ihnen.
Auch al-Mourabee würde sich für die Schüler künftig jedoch einen staatlichen Islamunterricht wünschen – auch aus Gründen der Akzeptanz. Viele Leute hätten Angst vor dem Islam, stellt der junge Mann fest. „So wie es jetzt ist, haben sie die Sorge, dass wir hier etwas Schlechtes machen, gegen den Staat, obwohl es nicht so ist. Wenn es ein offizielles Fach ist, weiß jeder was da gelehrt wird.“ Ihr Anliegen können der Zentralrat der Muslime und die Merseburger Gemeindemitglieder am Mittwoch direkt beim zuständigen Bildungsminister vortragen. Dann nämlich empfängt Marco Tullner (CDU) Vertreter der muslimischen Gemeinden im Land. Einen schnellen Erfolg in Sachen Islamunterricht dürfen seine Gäste dort aber wohl nicht erwarten, denn im Ministerium steht man dem Thema ablehnend gegenüber.
Die Voraussetzungen für die Einführung seien nicht gegeben, heißt es in Magdeburg: „Es fehlt derzeit bereits an einer Religionsgemeinschaft im Sinne des Grundgesetzes, welche die Einrichtung eines islamischen Religionsunterrichts als ordentliches Lehrfach in Sachsen-Anhalt beantragen könnte.“ Der Religionsunterricht werde in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt. Mithin hätten auch nur Religionsgemeinschaften Anspruch auf einen solchen Unterricht. Für alle anderen Konfessionen gebe es wie auch für die konfessionslosen Schüler den Ethikunterricht, lautet die Argumentation des Bildungsministeriums.
„Finde es heuchlerisch“
Nicht alle Bundesländer teilen diese (siehe Kasten). Teilweise gibt es dort schon seit Jahren Islamunterricht. Gegen den hat das Magdeburger Ministerium allerdings noch einen weiteren Punkt: Es sieht dafür schlicht keinen Bedarf. Stahnke schon: „Man sollte feststellen, dass Muslime in den letzten Jahren zu einer relativ großen Minderheit geworden sind – mit vielen Kindern.“ So kämen zur Koranschule in Halle-Neustadt etwa 250 bis 300 Schüler. „Ich finde es heuchlerisch, immer zu sagen, man will wissen, was gelehrt wird, dann aber nicht die Verantwortung für den Unterricht zu übernehmen, weil es politisch grade nicht gewollt ist“, moniert Stahnke. Er hofft derweil, dass sich aus dem Treffen am Mittwoch ein regelmäßiges Gesprächsformat mit dem Land entwickelt: „Damit uns der Staat nicht als Feind, sondern als Partner wahrnimmt.“
Eine Frage, viele Antworten
54 000 Kinder und Jugendlichenahmen laut Mediendienstes Migration im Vorjahr einen islamischen Religionsunterricht. Dabei läge die Nachfrage laut einer Untersuchung im Auftrag der Deutschen Islamkonferenz bei 650 000 Schüler in Deutschland.
Das Angebot variiert je nach Bundesland: In Bayern (als Modellprojekt) und Schleswig-Holstein gibt es etwa einen „islamkundlichen Unterricht“ ohne Beteiligung von Religionsgemeinschaften, in Hessen und Niedersachsen wird der Islamunterricht in Zusammenarbeit mit muslimischen Verbänden erteilt. In Berlin gibt es das Fach als freiwilligen Zusatzunterricht.
Modellprojekte gibt es in Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Saarland. Hamburg und Bremen haben einen Religionsunterricht für alle Religionen. Im Osten gibt es derzeit keine Angebote.
KOMMENTAR
Keine Angst vor Islam
Robert Briest fordert Religionsunterricht für alle – oder keinen.
Islamunterricht an Schulen des Landes? Der Aufschrei mindestens aus rechten Kreisen scheint bei diesem Vorschlag programmiert. Aber warum eigentlich? Dass so ein Unterricht kein effizientes Missionierungsinstrument darstellt, zeigt die abnehmende Zahl christlich Gläubiger. Dafür könnte aber in einem staatlichen Unterricht den muslimischen Kindern ein Wertegerüst vermittelt werden, das sie immun macht gegen radikale Islaminterpretationen. Letztlich wäre die Einführung auch eine Frage der Gleichberechtigung, denn neben der christlichen gibt es mittlerweile auch eine nicht unerhebliche muslimische Minderheit im Land. Das Gleichberechtigungsproblem ließe sich freilich auch lösen, in dem der Staat gänzlich auf konfessionsgebundenen Unterricht verzichtet. Das stünde einer aufgeklärten Gesellschaft sogar besser zu Gesicht. Den Autor erreichen Sie unter: ›› [email protected]
(mz)