Kompetenzen fördern Kompetenzen fördern: Wie kann sexuelle Bildung ins Lehramtsstudium integriert werden?
Leipzig/Merseburg - Die Schule sollte eigentlich ein Schutzraum für Kinder und Jugendliche sein. Doch nach Einschätzung von Heinz-Jürgen Voß ist sie das bisher nicht. Dies erklärte der Merseburger Sexologe zumindest am Montag bei der Vorstellung einer gemeinsamen Studie mit der Uni Leipzig. Darin ging es um die Kompetenzen der Lehrer zum Thema sexuelle Bildung und sexualisierte Gewalt. Das Ergebnis: Die Pädagogen wollen, können aber nicht mehr zum Thema leisten, weil ihnen die Kompetenzen dafür fehlen.
Thema sexuelle Bildung in der Ausbildung spielt keine Rolle
In der Befragung, an der sich gut 2700 Lehrer und Lehramtsstudenten vorrangig aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Niedersachsen beteiligten, erklärten gut 90 Prozent, dass die Schule für die Vermittlung sexueller Bildung zuständig sei, deutlich mehr als 90 Prozent stimmten der Aussage zu, dass sich Lehrkräfte intensiv mit Themen wie der Prävention sexualisierter Gewalt auseinander setzen sollen.
Doch nur zwei von fünf Pädagogen würden sich in diesem Bereich selbst als kompetent bezeichnen. Das liegt vor allem daran, dass das Thema sexuelle Bildung in der Ausbildung keine Rolle spielt. Nur acht Prozent der Befragten haben entsprechende Angebote in ihrem Studium besucht. Auch bei Weiterbildungen mangele es an Angeboten zum Thema, konstatierten die Studienautoren.
Theaterpädagogische Angeboten und Fortbildung für Pädagogen
Ziel des Projekts war nicht nur, den Status quo zu ermitteln, sondern auch sexuelle Bildung ins Lehramtsstudium zu integrieren. Ein entsprechender Lehrplan soll ab dem kommenden Jahr in der Leipziger Lehrerausbildung getestet und parallel dazu evaluiert werden, damit er möglichst bald auch andernorts verwendet werden kann. An der halleschen Uni machen die Merseburger Sexualforscher laut Voß bisher nur punktuelle Angebote.
Es ist aber der erklärte Wille des Landes, das Thema auch hier dauerhaft in der Ausbildung zu verankern. Dies machte Heiko Hübner, Referent des Bildungsministeriums, am Montag deutlich. „Schutz vor sexueller Gewalt ist ein gesellschaftlicher Auftrag, Schulen müssen dazu ihren Beitrag leisten.“ Seit einem Jahr gehe man das Thema stärker an.
Seither habe es acht Fachtagungen gegeben, bei den Schulleiter sensibilisiert wurden, um in ihren Kollegien Auseinandersetzungen mit diesem Thema anzustoßen. Hübner sprach auch von Fortbildungsmodulen und theaterpädagogischen Angeboten, die Schulen nutzen könnten, um ihre Kompetenz zu stärken. Zudem sollten Schulen ein Schutzkonzept entwickeln.
Lehrer sollen in der Lage sein „im positiven Sinn“ über Thema Sexualität zu sprechen
Auch Voß betonte, wie wichtig solche Konzepte seien, die etwa festschreiben, was im Verdachtsfall sexualisierter Gewalt zu tun ist. Um diese zu verhindern, hält es der Forscher für wichtig, dass Lehrer in der Lage sind „im positiven Sinn“ über das Thema Sexualität zu sprechen, aber auch lernen, Anzeichen für sexualisierte Gewalt zu erkennen. Laut anderer Studien sitzt im Schnitt in jeder älteren Klasse mindestens ein Schüler, der damit Erfahrung gemacht hat. Voß lobte die aktuellen Bemühungen des Landes: „Sachsen-Anhalt ist eines der voranschreitenden Länder bei dem Thema.“
Akuten Handlungsbedarf sieht er allerdings jenseits der Schulen. „Die Beratungsstellen zu sexualisierter Gewalt sind überfordert.“ Derzeit gebe es vier im Land mit je ein oder zwei Mitarbeitern. Voß forderte vom Land hier dringend aufzustocken. Denn: Auch für Schulen empfiehlt er, wenn Fälle auftreten, erst Beratungsangebote zu kontaktieren und nicht zuerst die Polizei anzurufen. Denn letzteres würde eine Kette auslösen, bei der die Kinder in der Opferrolle feststeckten. (mz)