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Erste Absolventen des Studiengangs Sexologie erzählen Erste Absolventen des Studiengangs Sexologie erzählen: "Alle bleiben angezogen"

Von Robert Briest 28.09.2019, 10:00
Ein Paar im Bett.
Ein Paar im Bett. tmn

Merseburg - Manchmal ist es ein Zeitungsartikel, der zu den richtigen Lebensentscheidungen führt. So las die heute 27-jährige Lisa Flamme vor gut vier Jahren, dass an der Hochschule Merseburg ein Master in Sexologie eingeführt wird, der erste seiner Art in Deutschland. Genau das Richtige, befand Flamme, die damals noch im Bachelor in Kultur- und Medienbildung steckte: „Ich dachte immer, Theater sei meine Welt, aber ich habe immer alles im Unterricht mit Sexualität, Paaren und Liebe verbunden.“

Heute zählt Flamme nicht nur zu den ersten zwölf Absolventen des Sexologiemasters, die dieser Tage ihr Abschlusszeugnis erhalten, sondern spricht schon seit einiger Zeit beruflich über Sexualität. „Als Kleinunternehmerin biete ich in Stuttgart Sexualberatung an. Es ist eine Kombination aus Gesprächen und Übungen“, erklärt die Schwäbin.

„Dem Menschen ein Gefühl für seinen Körper zu geben“

Übungen ist das Stichwort. Die Besonderheit des Sexologiemasters sei seine Körperorientiertheit, sagt der Studiengangsverantwortliche Hans-Jürgen Voß. Was das bedeutet erklärt, die wohl prominenteste Erstabsolventin Ann-Marlene Henning: „Alle bleiben angezogen, aber es geht darum, dem Menschen ein Gefühl für seinen Körper zu geben.“

Henning, die ursprünglich mal Neuropsychologie in Hamburg studierte, ist nicht erst über den Master zur Sexualberatung gekommen. Schon 2005 begann die heute 55-Jährige eine Ausbildung zur Paartherapeutin in Kopenhagen. Später moderierte sie für das ZDF die Dokumentarreihe „Make Love“ und verfasste neben dem gleichnamigen Druckwerk noch fünf weitere Bücher zum Thema Sexualität, bevor sie 2015 den berufsbegleitenden und daher in Blogseminaren abgehaltenen Master begann.

„Wie masturbieren Sie, wie ist Ihre Haltung?“

An ihrer Hauptarbeit als Paar- und Sexualtherapeutin habe der Studiengang nichts geändert, aber an ihrer Medienhandhabe. In ihrer Wahrnehmung rutscht der Körper in der Therapie stärker in den Fokus. „Sonst wird bei Problemen eher nach psychischen Hemmnissen wie Kindheitserfahrungen gefragt. Es fragt aber sonst niemand: Wie masturbieren Sie, wie ist Ihre Haltung?“, erklärt die Hamburgerin, die in ihrer Praxis mit dem programmatischen Namen „Doch noch“ mit einer breiten Palette von sexuellen Problemen konfrontiert ist.

„Die Leute haben Orgasmusprobleme, Schwierigkeiten beim Geschlechtsverkehr, Unlust und so weiter.“ Mit dem körperorientieren Ansatz könne man den Patienten da mit vergleichsweise simplen Methoden helfen. Dabei geht es etwa um Atemtechnik. Sauerstoff und Durchblutung, seien wichtig beim Sex, sagt Hennig. Auch die Einstellung zu den Genitalien spielt eine zentrale Rolle, wie die Absolventin in ihrer Masterarbeit mit Hilfe von Hunderten Befragten untersucht hat. Ihr Ergebnis: „Menschen mit einem positivem Selbstbild ihres Genitals schaffen es besser ihre Sexualität auszuleben. Die Zufriedenheit ist größer und sie haben weniger Schmerzen.“

„Er funktioniert in Gänze.“

Hennings Abschlussarbeit sei die einzige quantitative gewesen, berichtet Voß. Andere Absolventen hätten sich etwa mit Tanzchoreografien oder mit der Möglichkeit eines Onlinekurses für körperorientiertes Lernen befasst. Der Professor zeigte sich aber nicht nur mit den Abschlussarbeiten, sondern auch mit dem Studiengang an sich zufrieden, der der Hochschule nicht zuletzt auch überregional viel Aufmerksamkeit beschert hat. „Er funktioniert in Gänze.“

Immer im Jahreswechsel startet er in der Schweiz nahe Zürich und eben in Merseburg. Für den nächsten Merseburger Master, der im Frühjahr beginnt, gäbe es schon jetzt 30 Interessierte, bei nur 22, 23 Plätzen. Dabei ist der Master mit 20.000 Euro nicht ganz billig.

Master Angewandte Sexualwissenschaft

Beim kostenlosen konsekutiven Master Angewandte Sexualwissenschaft, der stärker wissenschaftlich und auf das Thema Prävention sexualisierter Gewalt konzentriert ist, kämen laut Voß 240 Bewerbungen auf 24 freie Plätze. Der Professor wünscht sich daher sogar Konkurrenz an anderen Hochschulen.

Man brauche gut ausgebildete Fachkräfte: „Eigentlich müsste jede Erziehungswissenschaft auch ein sexualwissenschaftliches Institut haben.“ Auch Lisa Flammes Wissensdurst ist nach ihrem Masterabschluss noch nicht gestillt. Sie will sich neben ihrer Selbstständigkeit nicht nur einen Job in einer Beratungsstelle etwa zu sexualisierte Gewalt, sondern auch eine Ausbildung zur Heilpraktikerin für Psychotherapie suchen. (mz)