Corona eindämmen Corona-Eindämmung: Psychiatriechefin erklärt, warum Isolation gerade notwendig ist

Merseburg - Zum Schutz gegen Covid-19 sollen die Menschen möglichst zu Hause bleiben, soziale Kontakte vermeiden. Erkrankte und Verdachtsfälle stehen unter Quarantäne. Doch was bedeutet dies für das soziale Wesen Mensch und wie kann man mit der aktuellen Situation auch humoristisch umgehen? Robert Briest sprach darüber mit Bettina Wilms, Chefärztin der psychiatrischen Klinik des Basedow-Klinikums.
Eine Radiomoderatorin sagte kürzlich: „Auf soziale Kontakte zu verzichten, tut doch keinem weh.“ Stimmt das?
Bettina Wilms: Natürlich tut es nicht weh im Sinne sofort einsetzender Schmerzen, aber es gibt manche Menschen, die darunter leiden, wenn sie keine sozialen Kontakte haben. Das ist individuell sehr unterschiedlich, hat etwa mit der Lebensgeschichte zu tun.
Woran liegt dieses Leiden?
Es kann sein, dass etwa jemand nicht in der Lage ist, ihm wichtige Dinge über das Telefon oder andere Medien zu äußern. So gibt es zunehmend junge Menschen, die sich nicht mehr trauen zu telefonieren. Sie können nur Textnachrichten oder Emojis verschicken. Damit kann man sich aber nicht so differenziert ausdrücken.
Außerdem lesen wir Sprache nicht nur über Schrift und Ton, sondern auch über Mimik und Haltung. Sie sagen uns, was denkt der Gegenüber über uns. Das Nonverbale entfällt am Telefon, das bringt soziale Verunsicherung.
Das wichtigste in Krisensituationen ist, soziale Bindungen zu anderen Menschen herzustellen. Früher ging das auch über Briefe. Wir sind es aber nicht mehr gewohnt, Tage auf eine Antwort zu warten. Einer frischverliebten Kollegin, die sich sorgte, wie sie nun Kontakt halten soll, habe ich empfohlen Liebesbriefe zu schreiben. Aber es stellte sich raus, dass sie gar kein Briefpapier mehr zu Hause hat.
Nach welcher Zeit wird das Fehlen oder der Mangel sozialer Kontakte zum Problem?
Das ist individuell sehr unterschiedlich. Wenn sie erkrankungsbedingt zwei Wochen keine oder kaum Kontakte haben, wird das die meisten Personen nicht stark beeinflussen. Wenn jemand aber ohnehin schon wenig Kontakt hat, wird es schwierig. Nehmen Sie etwa einen 80-Jährigen, der sonst vor allem mit gleichaltrigen Nachbarn Kontakt hat, die alle nicht mit modernen Medien bewandert sind, der hat deutlich mehr Schwierigkeiten.
Welche gesundheitlichen Folgen kann das haben?
Depressionen sind ein Punkt. Es sind in solchen Situationen aber auch Menschen mit Suchterkrankungen gefährdeter und Menschen mit Beziehungsstörungen. Es ist eine Herausforderung zu sagen: „Lassen Sie das mit den sozialen Kontakten!“ Nötig ist es aktuell dennoch.
Einsamkeit gilt als Gesundheitsrisiko, nicht nur psychisch, sondern auch für den Körper. Welche Wirkung hat sie auf das gerade jetzt ja gefragte Immunsystem?
Psychoimmunologische Hinweise gibt es seit langem. Kleine Kinder, die keinen Kontakt zu Menschen haben, verkümmern im wahrsten Sinne des Wortes. . Sie kennen sicherlich das Beispiel Kasper Hauser. Psychoimmunologische Ursache-Wirkungs-Beziehungen sind allerdings sehr komplex.
Deswegen ist es schwer einen Zusammenhang à la „Das führt in drei Wochen dazu“ herzustellen. Das ist individuell sehr unterschiedlich. Manche Leute strukturieren ihren Tag auch über Serien. Die leiden mehr darunter, wenn man ihnen Fernseher oder Netflix wegnimmt als unter dem Wegfall realer sozialer Kontakte.
Nach Katastrophen oder Anschlägen ist meist zu beobachten, das Menschen in Gruppen zusammenkommen, den Kontakt zu anderen suchen. Was bedeutet es, dass dies in der aktuellen Krise nicht möglich ist?
Wir wissen, dass sich Krisen und dazu gehören ja auch Katastrophen mit sozialer Unterstützung besser bewältigen lassen. Dies ist jetzt in der Tat schwierig. Deswegen sind zum Beispiel die Aktionen von den Italienern, die auf ihren Balkonen singen, ziemlich schlau.
Die Coronakrise versetzt viele in Stress oder gar Angst. Was kann der Einzelne dagegen unternehmen?
Ruhe bewahren ist ganz wichtig, sich nicht von der Katastrophisierung insbesondere in sozialen Medien anstecken lassen. Wichtig ist, sich bewusst zu machen, dass die meisten Menschen selbst bei Ansteckung nicht lebensgefährlich erkranken werden. Dass aber das, was wir derzeit machen, zu viele Schwererkrankte in kurzer Zeit verhindern soll.
Inwieweit müssen Verantwortliche aus Politik und Medizin zur Beruhigung beitragen?
Als Führungskraft oder Führungsfigur bin ich verpflichtet, zu schauen, wie weit Warnungen vor sozialen Kontakten richtig sind und wo man warnen muss, dass nicht katastrophisiert wird. Richtig ist etwa, dass wir darauf achten, dass wir genug Plätze im Krankenhaus haben. Dafür ist auch wichtig, dass Menschen mit bereits bekannten Erkrankungen alles dafür tun, dass ihr Zustand nicht schlimmer wird.
Hamsterkäufe sind dagegen absurd. Das sind Momente, wo man sagen muss: „Fahrt mal runter. Wir werden diese Zeit überleben.“ Das Problem sind Menschen, die Unsicherheiten weitergeben an Menschen, die über wenig eigenes Sicherheitsgefühl verfügen. Jeder sollte bitte dafür sorgen, dass keine Panik entsteht.
Humor ist ein beliebtes Druckventil. Im Netz gibt es allerdings unterschiedliche Ansichten, ob Witze über Corona legitim sind. Sind sie?
Bernhard Shaw hat mal gesagt: „Das Leben hört nicht auf komisch zu sein, wenn wir sterben. So wenig wie es aufhört ernst zu sein, wenn wir lachen.“ Direkt über Corona würde ich keine Witze machen, weil ich nicht weiß, auf wen die treffen.
Wenn es zum Beispiel Angehörige von immunsupprimierten Menschen sind, ist das schwierig. Aber die Epiphänomene, wie etwa die Hamsterkäufe oder was die Leute mit ihrer plötzlich entstehenden freien Zeit anfangen, damit kann man sich humoristisch beschäftigen. Man kann auch gucken, wie man diese Entschleunigung liebevoll begrüßen kann. (mz)