Immunsystem wegen Lockdown nicht trainiert Chefarzt der Kinderklinik besorgt: „Mehr als 50 Prozent der Kinder auf der Akutkinderstation leiden an einer Infektion mit RS-Viren“
Sachsen-Anhalts Kinderkliniken sind voll mit Patienten mit RS-Viren. Das alarmiert die Mediziner, denn die eigentliche Hochzeit des Virus beginnt jetzt erst.
Merseburg/MZ - Die Zahlen sind alarmierend. „Mehr als 50 Prozent unserer Akutkinderstation sind derzeit mit Kindern belegt, die an einer Infektion mit RS-Viren leiden“, erklärt Axel Schobeß, der Chefarzt der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin, am Merseburger Carl-von-Basedow-Klinikum. Das Respiratorische Syncytial-Virus (RS-Virus) trete normalerweise erst ab November auf.
Mehr als 50 Prozent der Kinder auf der Akutkinderstation im Basedowklinikum leiden an einer Infektion mit RS-Viren
„Aber in diesem Jahr haben die Kinder bereits seit dem Spätsommer mit Bronchitis oder Bronchiolitis zu kämpfen. Möglicherweise, weil das Immunsystem aufgrund des Lockdowns nicht so trainiert wurde wie sonst“, so Schobeß. Insgesamt registriere man zudem schwerere Verläufe der Krankheit. Das jüngste erkrankte Kind sei vier Wochen alt, die ältesten seien im Kitaalter.
Die Erkrankung befalle die unteren Atemwege von Säuglingen und kleinen Kindern und führe zu Atemnot. „Denn die Atemwege schwellen dabei an“, erklärt der Chefarzt. Fast alle Kinder bräuchten deshalb Sauerstoff. Ein Kind habe man sogar in die Uniklinik nach Halle überweisen müssen. Kinder mit RSV-Erkrankungen blieben normalerweise zwischen drei und sieben Tagen auf Station. Aufgrund der Fallzahlen und der hohen Auslastung müsste man die meisten jedoch bereits nach drei bis vier Tagen entlassen.
RSV-Saison schon früher als sonst begonnen
Das Gesundheitsamt des Saalekreises bestätigte, dass die RSV-Saison schon früher als sonst begonnen hat. Jedoch könne man eine tatsächliche Zunahme von RSV-Fällen aktuell nicht bestätigen und bewerten, da Infektionen mit RS-Viren keiner generellen Meldepflicht unterliegen. Lediglich in Sachsen ist der Erregernachweis meldepflichtig. Da jedoch in der laufenden Pandemie mehr Patienten einen Arzt aufsuchen und diese auch häufiger im Rahmen der Differenzialdiagnose Erregerdiagnostiken veranlassen, die zum Teil bei Laboren in Sachsen durchgeführt werden, erhalte das Amt vereinzelt Erregernachweise von RS-Viren.
Für das Jahr 2021 liegen laut Gesundheitsamt aktuell 117 Meldefälle vor (ein Fall im August, 34 im September, 82 im Oktober). 115 Fälle betreffen Kinder zwischen null und sechs Jahren und zwei Fälle Menschen im Alter von 22 Jahren. 106 der 115 Fälle seien Teile von insgesamt sieben Ausbruchsgeschehen in Kitas im Saalekreis. 2019 und 2020 erhielt das Gesundheitsamt keine Kenntnis von RSV-Fällen.