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Bundestagswahl 2017 Bundestagswahl 2017: Resignation und Wähler-Frust in Merseburg-West

Von Robert Briest 21.09.2017, 10:00

Merseburg - „Die Politik muss mehr auf die Bedürfnisse der Deutschen eingehen. Andere kommen aus einem anderen Land und bekommen alles.“ Eine Frau in grauer Jacke liefert den Klischeesatz, den man bei oberflächlicher Betrachtung aus Merseburg-West erwarten könnte. Ein Stadtteil, den Linken-Kandidat Alexander Sorge im Wahlkampf als Brennpunkt bezeichnete. Experten bescheinigen dem Viertel einen hohen Anteil an Hartz-IV-Beziehern.

Als 2016 eine ehemalige Schule zur Asylunterkunft wurde, organisierten rechte Gruppen Proteste und bekamen dafür Beifall aus Teilen der Nachbarschaft.

Merseburg-West: Heimat der Wutbürger?

Merseburg-West, Heimat der Wutbürger? Zumindest bei der AfD scheint dieser Ruf verfangen zu haben. Massiv hat sie in der Lilienthal-Straße plakatiert - es sind die einzigen Plakate, die dort vor den langen Wohnblockreihen hängen. In der Nacht zum Montag steckte die AfD noch mal Wahlflyer in die Briefkästen. „Der fliegt nachher in den Müll.“ Auch dieser Satz stammt von der Frau in der grauen Jacke.

Nein, die Demonstrationen gegen die Asylunterkunft seien ihr nicht geheuer gewesen, begründet sie, und erntet dafür die Zustimmung ihrer Nachbarin. Die sagt, sie werde Sonntag wohl ihren Zettel abgeben. Lakonisch fügt sie hinzu: „Aber ob man geht oder nicht, es ändert nicht viel.“

Merseburger zur Bundestagswahl 2017: Arbeitsloser Kfz-Mechaniker ist resigniert

In Variationen kommt dieser Satz wenige Tage vor der Wahl von fast allen Gesprächspartnern in Merseburg-West. „Es ist solange nach der Wende nichts passiert. Das wird sich nicht ändern“, lautet die Version eines arbeitslosen Kfz-Mechanikers. Er sitzt in Jogginghose neben einem Nachbar auf einer Bank. Er lebe von Hartz-IV, erzählt er, um dann den Grund für seine Resignation zu nennen: „Die Schere zwischen Arm und Reich geht immer weiter auseinander. Nicht nur in Deutschland.“

Arbeitslosigkeit sei ja ein Grund, wegen dem sich die Flüchtlinge auf dem Weg gemacht hätten. Der Mann hält es für falsch, dass die Politik versucht, die Schlepper zu bekämpfen anstatt der Fluchtursachen. „Die Politik“ - auch auf diese Verallgemeinerung trifft man in den Gesprächen immer wieder. „Parteien interessieren mich nicht“, erklärt der Mann. Er traut ihnen auch keine wirklichen Veränderungen zu: „Die Politiker sind ja eigentlich nur Hoffnungsträger, für eine Hoffnung, die sie nicht erfüllen können.“ Sie könnten ein bisschen am System herumschrauben, aber am Ende würden die Konzerne entscheiden. Ob er zur Wahl geht, wisse er daher noch nicht.

Merseburger über Bundestagswahl 2017: Nutzung der dichtgemachten Schule als Asylunterkunft ist vielen sauer aufgestoßen

Felix Uhlig will den Gang zur Urne auf jeden Fall antreten. „Aber es ist für mich eine Option, die Stimme ungültig zu machen.“ Gemeinsam mit Kumpel und Freundin lädt der junge Mann gerade einen massiven Schrank aus einem Lieferwagen. Sie sind sich einig: Die Politik nimmt die Bürger zu wenig mit, erklärt ihre Entscheidungen nicht vernünftig.

Uhligs Umzugshelfer gibt ein Beispiel: Er sei in Merseburg-West zur Schule gegangen. Die wurde dann jedoch zugemacht, weil kein Geld da war. Als die Flüchtlinge kamen, sei aber plötzlich Geld dagewesen, um sie als Unterkunft herzurichten. „Das ist vielen aufgestoßen.“

„Wenn man die Leute vorher vernünftig informiert hätte, hätten sie es verstanden“, ist sich Uhlig sicher. Ohnehin sei beim Thema Flüchtlinge Vieles undurchdacht gelaufen.

Merseburger über Bundestagswahl 2017: Kritik an schlecht bezahlen Knochenjobs

Für ihn gibt es aber noch andere, für seine Wahlentscheidung vielleicht sogar wichtigere Themen: „Es gibt viele Jobs, die Knochenjobs sind, aber nicht wertgeschätzt werden.“ Pflegeberufe zum Beispiel, die würden zu schlecht bezahlt: „Denn was ist schon der Mindestlohn?“

Auch seine Nachbarn interessieren vor allem Antworten auf soziale Fragen. Bei der Frau in der grauen Jacke und ihrer Nachbarin ist es die Sicherung einer auskömmlichen Rente, für einen Rentner in beiger Weste sind es ausreichend günstige Wohnungen und der ehemalige Kfz-Mechaniker hätte gern mehr Jobs. Dem Aufschwung am Arbeitsmarkt glaubt er nicht. Die Arbeitslosenzahlen hält er für geschönt. (mz)