Wer zahlt die Behandlung? Wer zahlt die Behandlung?: Chronisch Kranke im Dauerstreit mit Krankenkassen

Köthen - Wann genau es anfing, kann Gisela Plahl nicht sagen. Sie erinnert sich nur daran, dass 2010 die Beschwerden so schlimm wurden, dass sie zum Arzt ging. Sie hatte Schmerzen beim Wasserlassen, im Unterleib, auch im Rücken.
Nach ihrem Hausarzt suchte sie bei verschiedenen Urologen Hilfe. Die Mediziner testeten, ob sie eine Blasenentzündung hatte, manchmal wurden Bakterien in Urinproben entdeckt, manchmal nicht. Antibiotika wurden verschrieben, doch die Beschwerden waren immer noch da. „Irgendwann bin ich gar nicht mehr zum Arzt gegangen, weil ich dachte, es kann mir sowieso keiner helfen“, erinnert sich die Köthenerin.
Keine einfache Blasenentzündung: Interstitielle Zystis
So gingen die Jahre dahin. „2016 schließlich habe ich es einfach nicht mehr ausgehalten.“ Sie wurde schließlich in der Uniklinik Halle untersucht. Dort dann stellte man die Diagnose: Was Gisela Plahl über Jahre gequält hatte, waren keine einfachen Blasenentzündungen, sondern eine Interstitielle Zystis - ein chronisches Blasenschmerzensyndrom.
„Dagegen helfen Antibiotika nicht. Die Blasenwand entzündet sich dabei immer wieder“, weiß Plahl inzwischen. Ursache kann eine Autoimmunerkrankung sein. Es wird auch vermutet, dass Patienten, die zuvor immer wieder Blasenentzündungen hatten, anfälliger sind.
Kampf gegen die chronische Krankheit schwierig
Nun also wusste Gisela Plahl immerhin, was mit ihr los ist. Doch wie kann man die chronische Krankheit bekämpfen? Das, so sollte sich zeigen, ist eine schwierige Angelegenheit, in der es nicht nur um die Frage geht, was einer Patientin helfen könnte, sondern auch um die Regeln der Bürokratie. „Ja, seitdem habe ich Ärger mit den Krankenkassen“, sagt die 55-Jährige.
Als die Krankheit erkannt wurde, war die Köthenerin bei der AOK Sachsen-Anhalt versichert. Zunächst schlug ihre Ärztin die sogenannte EMDA-Behandlung vor. Dabei wird ein Mittel direkt in die Blase gespritzt. Die AOK erklärte sich schließlich auch bereit, die Kosten für diese Behandlung zu tragen.
„Aber meine Ärztin sagte mir, das Schreiben der AOK reiche nicht aus. Sie wüsste nicht, wie sie die Behandlung so abrechnen sollte“, erinnert sich Plahl. Was genau das Problem an dieser Stelle war, lässt sich nicht mehr klären. AOK-Sprecher Sascha Kirmess antwortete der MZ, woran die Verordnung des Mittels scheiterte, entziehe sich seiner Kenntnis.
Behandlung mit Uropol kostet 800 Euro im Jahr
Doch es gab noch ein weiteres Mittel, das Gisela Plahl Linderung verschaffen könnte: Uropol. Es wird mittels Katheter in die Blase gebracht und soll dort eine Art Schutzschicht an der Blasenwand bilden. Dafür habe sie zunächst ein Privatrezept bekommen, erinnert sich die Köthenerin. „Das kostete damals 800 Euro im Jahr - sehr viel Geld für mich. Ich hatte die Hoffnung, dass die Kasse für Uropol zahlt.“
Doch die AOK lehnt ab. Mit einer Begründung, die Gisela Plahl in den folgenden Monaten noch oft wird lesen müssen: Bei Uropol handele es sich um ein „nicht verschreibungs- und apothekenpflichtiges Medizinprodukt“ - und kein Arzneimittel.
Was aber ist der Unterschied? „Der Unterschied zwischen Arzneimittel und Medizinprodukt liegt in der Regel nicht unbedingt in der stofflichen Struktur begründet, sondern in der Wirkweise. Während Arzneimittel pharmakologische Wirkungen auf bzw. im Körper entfalten, haben Medizinprodukte diese Wirkung nicht“, führt Sascha Kirmess von der AOK aus. Allerdings werden trotzdem auch manche Medizinprodukte von den Kassen bezahlt. Welche das sind, legt ein Bundesausschuss fest. Und zu Gisela Plahls Pech steht Uropol nicht auf dessen Liste.
Gisela Plahl schreibt das Gesundheitsministerium an
Die 55-Jährige will sich damit nicht zufriedengeben. Sie geht in Widerspruch, schreibt das Gesundheitsministerium an und startet eine Petition. Allerdings vergeblich. Schließlich wechselt Gisela Plahl die Krankenkasse, geht zur KKH. Doch auch sie zahlt für Uropol nicht, gilt doch für sie die selbe Liste des Bundesausschusses.
Um in der Zwischenzeit mit ihrer Krankheit zurecht zu kommen, nimmt die Köthenerin Schmerzmittel - mit verheerenden Folgen. „Ich war im Endeffekt abhängig davon“, sagt sie heute. Die Mittel hätten kaum gegen die Beschwerden geholfen, dennoch habe sie den Drang verspürt, immer noch mehr zu nehmen- die Entwöhnung sei sehr schwer gewesen.
Umso mehr verärgert Gisela Plahl, was sie schließlich in einem Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDK) zu ihrem Fall lesen muss. Die KKH hat den Dienst beauftragt, eine Sozialmedizinische Stellungnahme zu verfassen, nachdem Plahl in Widerspruch gegen die Ablehnung gegangen war.
Das Ergebnis: Die Kasse müsse Uropol nicht bezahlen, stattdessen solle Plahl doch eine Schmerztherapie machen. „Das hatte ich doch gerade hinter mir! Außerdem hat mich für diese Stellungnahme niemand untersucht. Keiner hat sich die Mühe gemacht, mich zu fragen, wie es mir geht. Sie hatten nur Unterlagen aus der Uniklinik, die schon ein Jahr alt waren.“ Und noch dazu schlecht leserlich, wie aus den MDK-Unterlagen hervorgeht.
Rettung durch „Elmiron“?
Mandy Paraskewopulos-Ostwald, Pressesprecherin des MDK Sachsen-Anhalt, erklärt auf MZ-Nachfrage, niemand bezweifle, dass die Diagnose in Plahls Fall zutreffe und sie unter der Krankheit leide. Deshalb und um der Patientin eine weitere Untersuchung zu ersparen, habe man sie nicht noch einmal zum Arzt gebeten. Uropol habe nicht empfohlen werden können, da es sich um ein arzneimittelähnliches Medizinprodukt handele. Die Empfehlung der Schmerztherapie sei bei Plahls Vorgeschichte dennoch sinnvoll, schließlich gebe es verschiedene Schmerzmittel.
Und nun? Gisela Plahl bekommt seit kurzem ein anderes Mittel. Es heißt „Elmiron“ und ist schon seit den 1990er Jahren in den USA erhältlich. „Hier in Deutschland kriegt man es aber erst seit Ende 2017“, so die 55-Jährige. Seit sie die Tabletten nimmt, geht es ihr viel besser. Einige Monate soll sie es noch mit diesem Medikament versuchen, dann wird in einer neuen Untersuchung festgestellt, ob sich etwas verändert hat. Und: Dieses Medikament zahlt ihre Kasse.
„Es ist allerdings sehr teuer mit knapp 660 Euro im Monat. Uropol könnte auch helfen und wäre viel günstiger.“ Damit könnte letzten Endes das Geld aller Beitragszahler gespart werden, findet sie. Aber an der Zweiteilung Arzneimittel - Medizinprodukt und der Ausschuss-Liste scheint kein Weg vorbei zuführen. (mz)
Interstitielle Zystis wird auch Chronisches Blasenschmerzsyndrom genannt. Es stellt sich laut der Webseite canephron.de zunächst dar wie eine Reihe von Blasenentzündungen. Betroffene haben Schmerzen und müssen in Extremfällen bis zu 100 mal am Tag auf die Toilette.
Man nimmt an, dass bei interstitieller Zystis die Schutzschicht der Schleimhaut in der Blase durchlässiger ist als bei Nichtbetroffenen. Normalerweise wird der Körper durch die Blasenschleimhaut vom Urin geschützt. Wenn diese nun aber geschädigt ist, können Bestandteile aus dem Urin in tiefere Schichten der Blasenwand eindringen. Vor allem das im Urin enthaltende Kalium steht im Verdacht, das Gewebe zu reizen und in der Blasenwand Schwellungen auszulösen. Es kommt in der Folge zu einer chronischen Entzündung. Was genau die Ursache dieser Krankheit ist, ist den Experten bislang noch nicht bekannt.
Besteht der Verdacht auf eine interstitielle Zystis, wird in vielen Fällen eine Blasenspiegelung vorgenommen, um die Diagnose zu erhärten. Die Blasenspiegelung zeigt dann eventuell Einrisse der Blasenschleimhaut mit Blutungen. Wird die Blase bei dieser Spiegelung durch eine Kochsalzlösung gedehnt, entstehen punktförmige Schleimhautblutungen. Sie sind typisch für interstitielle Zystis.