Viel mehr als nur elf Bände «Sissi»
CÖSITZ/MZ. - Denn Diana Brandt ist als eine von vier Cösitzer "Lesezeichen" zwar eine begeisterte Bücherleserin und eine begeisterte Hobby-Bibliothekarin, aber allwissend ist sie deshalb noch nicht. Und die präzise Zahl der Bücher, die man sich in Cösitz ausleihen kann, ist ohnehin nur für neugierige Journalisten interessant.
Netter Nachmittag
Für die Öffentlichkeit viel lohnenswerter ist das Engagement, das Diana, Anna Grothe, Franziska Müller und Johanna Berg seit fast fünf Jahren aufbringen, um den Cösitzern eine Bibliothek zu bieten. Und manchmal noch mehr: Am Sonntag hatten die "Lesezeichen" zu einem netten Nachmittag in ihr Büchergewölbe eingeladen, zu Kaffee und Kuchen und zu einer Lesung, für die Anna Grothe verantwortlich zeichnete. Und wer wollte, konnte auf dem Weg über ein Sparschwein die "Lesezeichen" auch finanziell unterstützen. "Wir dürfen ja kein Geld nehmen, wir sind kein Verein, sondern eine rein private Initiative", sagt Anna Grothe. Die Einnahmen fließen schnurstracks in die Bücherei, denn die vier Mädels wollen ihren Lesern auch mal neuere Werke anbieten, nicht nur modernes Antiquariat. "Da fahren wir dann meist zu Thalia und gucken, was es am Schnäppchentisch gibt."
Die Veranstaltung am Sonntag war durchaus gut besucht, vor allem von einer reputierlichen Damenriege, die es sich gemütlich machte und auch an Lob für die eifrigen Mädchen nicht sparte. "Das ist toll, was sie hier auf die Beine gestellt haben", sagte eine der Frauen und die anderen nickten unisono.
Der Ausgangspunkt für den "Ort des Buches" war der Ärger darüber, dass der Bücherbus eingestellt wurde, der regelmäßig auch nach Cösitz gekommen war. Die jugendlichen Leserinnen Anna und Johanna, Franziska und Diana nahmen dies als Anlass für ihre Aktion. "Wir hatten gehört, dass in der alten Dorfbibliothek noch Bücher waren und haben so ein bisschen rumgesponnen, man könnte ja selbst eine Bücherei aufmachen. Und dann haben wir uns gesagt: Warum eigentlich nicht?" Die Eltern waren begeistert, mancher im Gemeinderat war erst skeptisch, mittlerweile jedoch haben die "Lesezeichen" längst bewiesen, dass es kein Strohfeuer ist, das sie antreibt. Im Gegenteil: Inzwischen sind aus den Schülerinnen Studentinnen und Auszubildende geworden. Die Arbeit in der Bücherei - geöffnet ist an jedem Donnerstag von 18 bis 19 Uhr - haben sie aber dennoch nicht aufgegeben, obschon die Zeit knapper geworden ist. Anna Grothe hat ihre Vorlesungen in Magdeburg extra so gelegt, "dass ich Donnerstag immer hier sein kann". "Wir sehen zu", so Franziska Müller, die in Halle den Beruf einer Bestattungsfachkraft erlernt, "dass immer eine oder zwei von uns da sind."
Immerhin will man die durchaus vorhandene Stammleserschaft nicht verprellen. Kinder und Jugendlichen machen das Gros der "Lesezeichen"-Kundschaft aus, aber auch Erwachsene finden den Weg in die Welt der Literatur. Die Nachfrage ist saisonbedingt und ein bisschen unabschätzbar. "Manchmal", sagt Diana Brandt, die in Köthen Biomedizinische Technik studiert, "kommen zehn Leute auf einen Schlag, dann wieder lässt sich wochenlang kaum einer blicken." Im Sommer stünde das Lesen nicht so hoch im Kurs, "da haben die Leute im Garten zu tun", dafür ist der Winter Lesezeit. Und bei Veranstaltungen könne man sich gar nicht beklagen, "da sind immer viele Leute da".
Was auch eine Anerkennung dafür ist, wie die "Lesezeichen" sich darum bemühen, dem Geschmack des Publikums auf der Spur zu bleiben. Man hat extra ein Eckchen für Bücher in altdeutscher Schrift installiert, und für eine ältere Leserin hat man sich extra um die "Sissi"-Reihe gekümmert. Und alle elf Bände besorgt.
Von Harry Potter bis Franz Kafka
Die "Lesezeichen" sind nicht nur Freizeit-Bibliothekarinnen, sondern auch selbst "Bücherwürmer". Anna liest derzeit Vampirgeschichten in "Twilight", Franziska outet sich als "Harry Potter"-Fan und Diana hat "Tore der Welt" von Ken Follett am Wickel. Wer jetzt das Faible für Puschkin, Tolstoi und Fontane vermisst - Freund Rico Meier aus Merzien weiß, dass man in der Cösitzer Bücherei auch die Weltliteratur bekommt. Franz Kafkas "Prozeß" zum Beispiel. Und anderes mehr: 3434 Bücher warten auf Leser.