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Tot in der eigenen Wohnung Tot in der eigenen Wohnung: Warum hat die zwei Männer aus Köthen tagelang niemand vermisst?

Von Martin Tröster 19.06.2019, 09:55
Einer der Fundorte: In diesem Häuserblock in der Anhaltischen Straße in Köthen wurde vergangene Woche ein Toter in seiner Wohnung gefunden.
Einer der Fundorte: In diesem Häuserblock in der Anhaltischen Straße in Köthen wurde vergangene Woche ein Toter in seiner Wohnung gefunden. Tröster

Köthen - Auf Klingelzeichen reagierte der Mann schon lange nicht mehr. Wenn in den letzten Wochen überhaupt einmal jemand an seiner Wohnung in der Anhaltischen Straße in Köthen geklingelt hat. Dann aber fiel einer Nachbarin auf, dass sein Briefkasten immer stärker überquoll. Am Mittwoch hat sie die Polizei gerufen. Die Feuerwehr musste die Tür öffnen. Der Mann, Jahrgang 1950, war tot. Die Staatsanwaltschaft ordnete eine Obduktion an. Um herauszufinden, woran er starb. Und um herauszufinden, ob er derjenige ist, auf den die Wohnung gemeldet ist. Er war stark verwest.

Einen Tag zuvor hatte die Feuerwehr schon einmal eine Tür in Köthen aufmachen müssen, in der Straße Katharinenbogen. Auch hinter dieser Tür vermutete jemand eine Tragödie. Auch diesesmal: zurecht. Auch dieser Mann, ebenfalls Jahrgang 1950, war seit mehreren Tagen tot in seiner Wohnung. „Er war aber bei weitem noch nicht so viele Tage tot wie der Mann in der Anhaltischen Straße“, sagt ein Polizeisprecher der MZ.

„Hier im Haus hat keiner etwas mit dem anderen zu tun“

Dort, in dem Haus in der Anhaltischen Straße, sagt jemand, der im selben Haus lebt: „Es hat so unfassbar gestunken, nachdem sie die Leiche weggebracht haben“ Die Person, die nicht in der MZ wiedererkannt werden will, zeigt auf dicke, schwarze Fliegen, die seitdem auf jedem der kleinen Fenster in dem dunklen, schmalen Hausflur krabbeln. Bis in das letzte Stockwerk hinauf. Mit dem Mann habe die Person, die mit der MZ spricht, nicht viel zu schaffen gehabt. „Hier im Haus hat keiner etwas mit dem anderen zu tun.“ Die Wohnung des Toten ist versiegelt.

Auch andere Mieter des Wohnblocks in der Anhaltischen Straße sagen, sie hatten nichts mit dem Mann zu tun gehabt. „Ich habe ihn gesehen, aber geredet haben wir nie“, sagen einige sinngemäß.

Ein Mann aus einem Nachbargebäude erinnert sich deutlich an den Verwesungsgestank. Er konnte ihn aber nicht zuordnen. Es handelt sich wohl um den Gestank in den Tagen nach dem Abtransport der Leiche.

Der verstorbene Mann am Katharinenbogen hatte erhebliche gesundheitliche Probleme

Dass überhaupt jemand dort verstorben war, davon habe er nichts gewusst, sagt der offenbar erstaunte Nachbar Tage nach dem Fund der Leiche. Auf den Gedanken, irgendjemanden zu fragen, woher der Gestank kam, als er ihn roch, oder gar die Polizei zu rufen, weil vielleicht jemandem etwas passiert sein könnte, darauf ist er nicht gekommen, gibt er zu.

Von dem Mann, der tot aus seiner Wohnung am Katharinenbogen geborgen wurde, wusste gegenüber der MZ immerhin eine Nachbarin zu erzählen, dass sie des Öfteren mit ihm gesprochen habe. Er sei ein umgänglicher Mensch gewesen. „Zuletzt ist es ihm aber immer schlechter gegangen“, sagt sie. „In letzter Zeit hatte er keine Lust mehr, sein Fahrrad zu reparieren“, mit dem er immer seine Runden gedreht habe. Der Mann hatte erhebliche gesundheitliche Probleme. Die Nachbarin sagte, er habe Angehörige in der Region.

Yves Kluge war Einsatzleiter des Feuerwehrtrupps, der die Tür zur Wohnung im Katharinenbogen öffnete. Er ist als einziger Wehrmann in die Wohnung gegangen. „Aus Gründen der Pietät“, wie er sagt. Und weil er seinen Kameraden den Anblick ersparen wollte.

Wird jemand allein tot in der Wohnung gefunden, handelt es sich in aller Regel um ältere Menschen

„Früher“, sagt Kluge, seit 15 Jahren Feuerwehrmann, „hatten wir kaum solche Einsätze. Aber die Vereinsamung der Leute, die merkst du schon.“ Werde jemand allein tot in der Wohnung gefunden, handle sich in aller Regel um ältere Menschen, die keine Verwandtschaft mehr haben - oder deren Kinder schon lange weit weg lebten. „Die Leute vereinsamen, manche trösten sich mit Alkohol.“ Wäre das soziale Umfeld ein bisschen stärker, „würde das Leben nicht so dahingleiten“.

Wie oft es in Köthen vorkommt, dass ein mutmaßlich vereinsamter Mensch tot in seiner Wohnung gefunden wird, kann ein Polizeisprecher nicht sagen. Diese Daten seien nicht erhoben. Näheres über die Lebensumstände der beiden Köthener Toten aus der vergangenen Woche sei noch nicht bekannt. Die Tatsache, dass es an zwei aufeinanderfolgenden Tagen jeweils ein seit längerem Verstorbener gefunden wurde, sei Zufall. Das häufe sich derzeit nicht, meint der Polizeisprecher.

Feuerwehrmann Yves Kluge widerspricht: „Es ist heutzutage definitiv häufiger als früher. Vor zehn Jahren kam sowas wirklich nur sehr selten vor.“ Sein Appell: „Die Leute sollen hingucken. Wenn der Briefkasten voll ist, mal an der Tür klopfen. Und keine Angst haben.“ (mz)