Tot in der eigenen Wohnung Tot in der eigenen Wohnung in Köthen: Waren die zwei einsam Verstorbenen nur Einzelfälle?

Köthen - War das ein Zufall? Oder steckt ein grundlegendes Problem dahinter? Auch Polizisten und Feuerwehrmänner sind sich uneins, ob es mittlerweile häufiger als noch vor einigen Jahren vorkommt, dass ein älterer Mensch erst Tage nach seinem Tod in seiner Wohnung aufgefunden wird.
In der vergangenen Woche hatten Feuerwehr, Polizei und Rettungsdienst in Köthen zwei solcher Einsätze: Am Dienstag waren sie in die Straße Katharinenbogen gerufen worden, am Mittwoch in die Anhaltische Straße. In beiden Wohnungen fanden sie jeweils einen toten allein stehenden Mann, jeweils Jahrgang 1950. Bei dem Mann in der Anhaltischen Straße muss erst eine Obduktion die Identität und die Todesursache sicher klären - er war schon stark verwest.
Nirgendwo gibt es regionale Statistiken, die erfassen, wie häufig wo tote ältere Menschen erst nach Tagen aufgefunden werden, weil sie am Ende ihres Lebens mit niemandem mehr Umgang hatten. Statistisch lässt sich lediglich die Überalterung der Gesellschaft im Landkreis belegen - so kommen im Schnitt auf jede Geburt im Landkreis mehr als zwei Beerdigungen - ein klares Zeichen für die Überalterung der Bevölkerung. Aber Einsamkeit? Schwer messbar.
Ist nur die mediale Aufmerksamkeit für einsam Verstorbene höher als in der Vergangenheit?
„Dass es zu den einsam Verstorbenen keine Statistik gibt, ist schon fast wieder erstaunlich“, sagt Ralf Köbernick, der Sprecher der Kanzler von Pfau'sche Stiftung, die auch Pflege- und Hospizdienste anbietet - und deren Mitarbeiter somit viel mit Senioren zu tun haben. Köbernik jedenfalls glaubt nicht, dass die Vereinsamung von Alten heute häufiger ist als früher. „Es wird nur mehr wahrgenommen“ - unter anderem, weil aus seiner Sicht die Medien solche „krassen Beispiele“ wie aus der vergangenen Woche in Köthen aufgriffen.
Über den konkreten Fall hat bislang nur die MZ berichtet. „Medien greifen solche Fälle auf, und wenn man sie dann liest, merkten viele, dass sie auch nicht besser im Umgang mit ihrem Umfeld sind“, sagt der Sprecher, der dann doch einräumt: Aus der Arbeit seiner Kollegen erfahre er, dass bei Geburtstagen im Alter die Töchter und Söhne „gar nicht mehr so oft da“ seien.
Über Geburtstage von alten Menschen weiß Horst Leischner einiges zu berichten. Der Pfarrer der Köthener Jakobsgemeinde wechselt sich mit seinen Amtskollegen ab, wenn es um die Besuche der Jubilare geht. Ab dem 70. Geburtstag kommen die Pfarrer an runden Geburtstagen, ab dem 85. Geburtstag jedes Jahr. „Wenn ich den alten Menschen zum Geburtstag gratuliere, erlebe ich schon, dass manche isoliert sind. Von den Verwandten, aber auch von der Nachbarschaft“, sagt Leischner.
Oft sei es so, dass die Kinder der Geburtstagskinder deutschlandweit verstreut sind
„Manchmal habe ich in den letzten Jahren das Gefühl, dass ich wohl der einzige bin, der zum Geburtstag kommt, um zu gratulieren. Man nimmt ja wahr, ob das Beziehungsgeflecht intakt ist oder nicht.“ Oft sei es so, dass die Kinder der Geburtstagskinder deutschlandweit verstreut sind und für kurze Zeit, etwa zu Geburtstagfeiern, oft nicht vorbeikommen könnten.
Leischner berichtet von einem aktuellen Vorfall: In einigen Wochen leitet er eine Trauerfeier für einen Menschen, der schon viele Monate tot ist. Der „betagte Mann“, so Leischner, starb in Köthen. Monatelang hat es offenbar kein Verwandter mitbekommen. Der Mann sei anonym bestattet worden. Monate nach dem Tod des Mannes steht Pfarrer Leischner mit einer Cousine aus Süddeutschland in Kontakt.
In Köthent gebe es laut OB Hauschild viele Möglichkeiten für aktive Alte
„Das Thema Vereinsamung alter Menschen war bisher in Köthen kein Thema“, sagt Köthens Oberbürgermeister Bernd Hauschild. In der Stadt gebe es viele Möglichkeiten für aktive Alte. Wenn er jemandem zum Geburtstag gratuliere, träfe er solche Fälle an Vereinsamung nicht an. Der OB besucht Jubilare ab dem 90. Geburtstag - auf Wunsch des Geburtstagskindes oder der Angehörigen. Offen bleibt die Frage: Wer den OB einlädt, hat der nicht meistens ein intaktes Umfeld?
Über Möglichkeiten wie einen Alarmknopf in Notfällen, mit dem Fachkräfte alarmiert werden können, müsse man womöglich häufiger nachdenken, so Hauschild. (mz)