Ein ergreifender Einsatz Raymond Schulz und seine Helfer haben Spendenvon Köthen nach Ahrweiler gebracht
Sie wollen die Menschen aber auch langfristig unterstützen.

Köthen/Ahrweiler/MZ - Hilflos irrt der alte Mann umher. Verzweifelt auf der Suche nach ein paar Gummistiefeln. Ihm ist nichts geblieben - außer den Sachen, die er trägt.
Es sind Bilder wie dieses, die Raymond Schulz wohl nie vergessen wird. Bilder des Verlustes, der Trauer. Bilder unvorstellbarer Zerstörung. Der Leiter der Kontaktstelle „Humanitäre Hilfe“ sitzt in seiner Spendenannahme in Köthen. Er sieht mitgenommen aus. In der Nacht ist er zurückgekehrt aus Ahrweiler. Einer Stadt, die in großen Teilen zerstört ist. Von Wassermassen, die alles mitgerissen haben. 120 Menschen sind gestorben, unzählige werden noch vermisst. Unrat und Trümmer stapeln sich. Vor einigen Tagen hat das große Aufräumen begonnen. „Die Menschen haben alles verloren“, sagt der Helfer.
Raymond Schulz ist hochwassererfahren
1989 war er schon einmal in Ahrweiler. In dieser Stadt im Norden von Rheinland-Pfalz. Er war damals beim Jugendrotkreuz, machte bei einem Austausch mit. „Aus einer hübschen Stadt ist ein Trümmerhaufen geworden.“

Raymond Schulz ist hochwassererfahren. 2002 und 2013 das Elbhochwasser. 2014 die Balkanflut. 2016 das Hochwasser in Simbach und Schwäbisch-Gmünd. Doch so schlimm diese Katastrophen auch waren, das jüngste Hochwasser in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen hatte ganz andere Ausmaße. Es war noch heftiger, noch tödlicher.
Am Dienstagnachmittag startete Raymond Schulz mit seinen Helfern Sebastian Scholz, Thierno Diallo und Julian Miethig in Köthen
Am Dienstagnachmittag startete Raymond Schulz mit seinen Helfern Sebastian Scholz, Thierno Diallo und Julian Miethig in Köthen. Fahrzeuge und Anhänger voll beladen mit Spenden. Sie kamen Stunden später im rund 500 Kilometer entfernten Flutgebiet an. Nach seinem letzten Hochwassereinsatz hatte sich der Vorsitzende des Deutschen Fördervereins für Sanitätswesen eigentlich geschworen, nicht noch einmal zu einer solch kräftezehrenden Unternehmung aufzubrechen. Mit seinen knapp 60 Jahren und auch nicht mehr ganz topfit. Und doch setzte Raymond Schulz auch dieses Mal wieder alle Hebel in Bewegung. Er sammelte Spenden, koordinierte Helfer und sorgte letztlich dafür, dass die Hilfe dort ankommt, wo sie gebraucht wird.
Er zieht sein Handy aus der Tasche und zeigt ein Foto. Im Hintergrund eine Tafel, im Vordergrund stapeln sich die Überreste eines Fensters, Holzbalken, ein Tisch, Stühle. Das war mal ein Klassenraum. Ob hier jemals wieder unterrichtet werden kann, ist ungewiss. An der Wand hängt eine Uhr. Fünf vor zwölf sind die Zeiger stehengeblieben, dann war der Strom weg. Fünf vor zwölf. Für Raymond Schulz, der auch an diesem Tag den Schutzengel bei sich hat, den Akener ihm geschenkt haben, irgendwie ein Zeichen.
Es wird Jahre dauern, um die Stadt wieder aufzubauen
„Ich habe die Bilder im Fernsehen gesehen“, sagt er. Zerstörte Häuser, übereinander gestapelte Autos, weggerissene Straßen. Bilder, die auch aus der Ferne schwer zu ertragen seien. In der Realität ist der Anblick aber noch erdrückender. „Man weiß einfach nicht, wo man anfangen soll. Jede helfende Hand wird gebraucht.“
Es wird Jahre dauern, um die Stadt wieder aufzubauen. Und selbst wenn die Spuren des Hochwassers in Ahrweiler irgendwann verschwunden sind, die Wunden bei den Menschen werden bleiben. Die Wunden über den Verlust ihrer Existenz. Die Wunden über den Tod von Familienangehörigen, Freunden und Nachbarn. Raymond Schulz hat von furchtbaren Schicksalen erfahren. Geschichten, die auch ihn, der schon so viel Leid gesehen hat, mitnehmen.
„Die Welle der Hilfsbereitschaft ist riesig“, sagt der Köthener. In der kommenden Woche will er ins Hochwassergebiet zurückkehren. Einige Kilometer von Ahrweiler entfernt gibt es eine Firma für Gebäudereinigung und Hausmeisterservice. Deren Chefin koordiniert Helfer vor Ort. Der Anlaufpunkt für Raymond Schulz und seine Helfer. Hier fühlte er sich von Anfang an willkommen.
Er will Helfer vermitteln, Patenschaften zu Familien, Vereinen und Firmen
Über die Akuthilfe hinaus will er mit seiner Kontaktstelle „Humanitäre Hilfe“ auch kontinuierlich weitermachen. Für die nächsten zwei Jahre mindestens. Er will Helfer vermitteln, Patenschaften zu Familien, Vereinen und Firmen. In seiner Sanitätsschule in Köthen will Raymond Schulz eine Wandtafel aufstellen - mit Hilfsangeboten und Hilfsgesuchen. Alles notiert auf Zetteln. Denn wie schnell moderne Medien versagen können, haben das Hochwasser und seine Folgen gezeigt.
Die Tür zur Sanitätsschule in Köthen geht auf. Eine junge Frau kommt herein. Sie will helfen, hat das Auto voll mit Spenden. Raymond Schulz vermittelt ihr den Kontakt zu seiner Ansprechpartnerin vor Ort. Sie macht sich auf den Weg nach Ahrweiler. Es ist die Rolle des Vermittlers, in der der Köthener sich sieht.