Berufung in Missbrauchsprozess aus dem Südlichen Anhalt Psychologe bewertet Aussagetüchtigkeit des Mädchens
Der Psychologe Steffen Dauer schätzt die Aussagetüchtigkeit des Mädchens ein, das im Sommer 2016 sexuell missbraucht worden sein soll.
Südliches Anhalt/Dessau - Am Ende seiner Ausführungen steht ein entscheidender Satz: „Früher hätte man gesagt: Die Zeugin wirkte glaubwürdig“, sagt Dr. Steffen Dauer. Der Psychologe und Psychotherapeut ist an diesem Tag im Landgericht in Dessau als Sachverständiger geladen. Er soll die Aussagetüchtigkeit, -gültigkeit und -qualität der Aussagen des vermeintlichen Missbrauchsopfers einschätzen.
Fortgesetzt wird der Prozess gegen einen damals 63-jährigen Mann aus dem Südlichen Anhalt, dem vorgeworfen wird, im Sommer 2016 ein zehn oder elf Jahre altes Mädchen sexuell missbraucht zu haben. Das Amtsgericht in Köthen hatte ihn im Mai 2020 zu einem Jahr und sechs Monaten auf Bewährung verurteilt. Der Angeklagte bestreitet den Vorwurf und legte Berufung gegen das Urteil ein.
Bei seinem Gutachten im Mai 2019 habe das Mädchen keine Anzeichen von Schizophrenie oder Halluzinationen gezeigt
Aussagen sollte Steffen Dauer bereits am zurückliegenden Prozesstag. Weil da jedoch herausgekommen ist, dass sich das Mädchen inzwischen in psychischer Behandlung befindet, wollte er zunächst klären, warum der Aufenthalt nötig ist. Das ist inzwischen passiert.
Der Befund der Klinik macht den Sachverständigen stutzig. Bei seinem Gutachten im Mai 2019 habe das Mädchen keine Anzeichen von Schizophrenie oder Halluzinationen gezeigt, sagt er. Jetzt sei davon die Rede, dass es Stimmen höre und Kreaturen sehe. Ob sich das auf Träume beziehe, geht für Steffen Dauer nicht aus dem Befund hervor. Diese Frage soll bis zum nächsten Verhandlungstag geklärt werden.
An der Aussagetüchtigkeit des Mädchens hat der Psychologe und Psychotherapeut keine Zweifel. Er schätze die Aussage als zuverlässig und belastbar ein.
Keine Hinweise auf suggestive Einflüsse anderer Personen noch auf ein Streben nach Aufmerksamkeit oder Rachefantasien
Bei der Aussagegültigkeit kommt er darauf zu sprechen, dass zwischen der vermeintlichen Tat und der Aussage bei der Polizei zwei Jahre liegen. „Es gibt keinerlei Bezug zwischen dem Zeitabstand und der Erlebnisbegründetheit der Angaben“, macht er deutlich und beruft sich dabei auf eine Untersuchung, die genau das zeigte. Er erkenne weder Hinweise auf suggestive Einflüsse anderer Personen noch auf ein Streben nach Aufmerksamkeit oder Rachefantasien.
Zur Aussagequalität sagt er: „Der Vergleich der Angaben, die die Zeugin in verschiedenen Befragungssituationen gemacht hat, hat ein hohes Maß an relativer Konstanz aufgewiesen.“ Zum Vergleich: Von einer absoluten Konstanz würde bei übereinstimmenden Formulierungen gesprochen werden. Dann müsse von einer auswendig gelernten Zeugenaussage ausgegangen werden. Bei der Zeugin sei das nicht der Fall. Ihre Aussagen würden daher eine relative Konstanz aufweisen.
Der Angeklagte soll das Mädchen zuerst am Bauch, anschließend im Intimbereich berührt haben
Der Sachverständige bezieht sich dabei auf drei Befragungssituationen: die Befragung bei der Polizei, die richterliche Vernehmung am Amtsgericht in Köthen, das Gespräch mit ihm. „Es ist ein relativ geschlossener Handlungsablauf“, sagt er.
Zum Vorwurf: Der Angeklagte soll das Mädchen zuerst am Bauch, anschließend im Intimbereich berührt haben. Die Schilderungen seien in allen Befragungssituationen übereinstimmend gewesen, sagt Steffen Dauer, in keiner Weise klischeehaft oder widersprüchlich und auch nicht auswendig gelernt. Der Sachverständige sieht keine Merkmale für Lügenkonstruktionen.
Der Prozess wird am 19. April fortgesetzt. (mz/Stefanie Greiner)