Professorin hält Scheu vor Informatik für unbegründet
KÖTHEN/MZ. - Weil Ursula Fissgus aber für Wunder nicht zuständig ist, kann sie nur in kleinen Schritten an diesem Bild arbeiten. Das tut die lebhafte, aufgeschlossene Frau am besten durch das eigene Beispiel. Mit ihrer Promotion auf dem Gebiet der Informatik hat sie unter Beweis gestellt, dass es die angebliche Männerdomäne nicht gibt. Dieser Tage wurde sie zudem zur ersten weiblichen Dekanin der Hochschule Anhalt in Köthen gewählt. "Es soll aber früher schon eine Gründungsdekanin gegeben haben", schränkt sie ein.
Die 53-jährige Hallenserin macht keinesfalls den Eindruck des introvertierten Computerfreaks, der seine Zeit am liebsten abgeschottet im stillen Kämmerlein verbringt. Sie ist auch keine Professorin, die ihre Studenten zu reinen Technokraten ausbilden möchte. Ursula Fissgus sagt: "Ein Informatiker muss auch über kommunikative Fähigkeiten verfügen." Zum Beispiel bei der Software-Entwicklung. Der Informatiker müsse im Gespräch mit dem Kunden genau ergründen, was dieser braucht, um exakt die Lösung anzubieten, die den Bedürfnissen des Kunden entspricht. "Dafür bringen Frauen die besten Fähigkeiten mit", ist Fissgus überzeugt. Wer sich nur im Fachjargon ausdrückt, der könne nicht sicher gehen, dass der Kunde am Ende versteht, wozu er Ja sagt. Das versucht sie auch ihren Studenten zu vermitteln.
In Köthen hat die Wissenschaftlerin 2001, nach erfolgreicher Promotion an der Uni in Halle, die Stelle gefunden, die ihr zusagte: "Hier wurde jemand für die Software-Technik und -Lokalisierung gesucht. Das war genau das, was ich zuvor in der Industrie gemacht habe, obwohl ich mit dem Begriff nicht gleich etwas anzufangen wusste", gesteht sie.
Ursula Fissgus ist 1957 in Siebenbürgen, im heutigen Rumänien, geboren und hat dort auch ihr Abitur gemacht. Aufgewachsen ist sie dreisprachig, mit Rumänisch, Ungarisch und Deutsch. Später lernte sie noch Französisch und Englisch. "Das strukturierte Denken habe ich von meinem Vater, der war Bergbauingenieur", sagt sie. Die Liebe zur Mathematik und zum Tüfteln habe sie schon als Kind entdeckt.
1977 kam ihre Familie als Spätaussiedler nach Saarbrücken im Saarland. "Da habe ich mein Abitur noch einmal machen müssen, um die Hochschulreife zu erlangen." Informatik und Mathematik hat sie bei Professor Günter Hotz studiert. Einem der Pioniere der Informatik in Deutschland. Nach dem Studium wechselte sie in die Industrie. In eine Firma, die von Studenten gegründet wurde und Software entwickelt hat. Zum Beispiel für Veröffentlichungen der Europäischen Union. "Es kam darauf an, die Software in alle Sprachen der EU zu übertragen. Auch die Suchmaschinen für das europäische Amtsblatt galt es mehrsprachig zu programmieren, ebenso elektronische Kataloge.
Unterbrochen hat Ursula Fissgus ihre berufliche Karriere wegen der beiden Kinder. Ihr Mann, mit dem sie zusammen studiert hat, wurde in den 90er Jahren als Professor an die Uni Halle berufen. "Nein, wir sprechen zu Hause nicht nur über Informatik", nimmt die Professorin schmunzelnd die Antwort auf eine nahe liegende Frage vorweg.
Als sie nach der Elternzeit wieder in ihren Beruf einsteigen wollte, war das zunächst schwierig. "Ich war überqualifiziert. Und da habe ich mir gedacht, wenn schon überqualifiziert, dann richtig, und habe mit der Promotion noch eins draufgesetzt." - "Es ging um die Softwareentwicklung für Parallelrechner", erklärt Ursula Fissgus das Thema ihrer Arbeit. Ermöglicht wurde ihr die Promotion über eine Drittmittelstelle an der Uni Halle. Parallel dazu hat sie sich an verschiedenen Hochschulen beworben, darunter in Köthen.
"Hier habe ich sehr gute Bedingungen vorgefunden, vor allem, was die technische Ausstattung anbelangt. Leider haben wir aber zu wenig Studenten", bedauert die Professorin und sieht eine Ursache dafür in dem falschen Bild, das Außenstehende von diesem Fach haben. Durch "Tage der offenen Tür" und den "Girlsday", den Ursula Fissgus an der Hochschule maßgeblich mit aus der Taufe gehoben hat, soll sich das ändern. In der Hoffnung, mehr junge Leute und auch Frauen für ein Informatik-Studium zu begeistern. Die Anregung zum Girlsday hat sie aus der Fachgruppe Frauenarbeit und Informatik der Gesellschaft für Informatik mitgebracht, in der sie Mitglied ist.
"Die Informatik hat viele kreative Seiten, wenn man nur an die Software-Entwicklung denkt", wirbt die Köthener Professorin. "Da muss man immer wieder über den Tellerrand gucken, keine Lösung gleicht der anderen." Natürlich sei es auch ein schweres Studium, und man sollte es nur wählen, wenn man Spaß an Mathematik und am Knobeln hat. Wer glaubt, es gehe nur ums Spiele-Programmieren, werde enttäuscht.
Leider ist die Abbrecherquote sehr hoch. Das bringt die Professorin aber nicht mit der Einführung der Bachelor- und Master-Studiengänge in Zusammenhang, an der sie mit beteiligt war. Wenn auch eine gewisse "Verschulung" des Studiums nicht zu übersehen sei. Da wünscht sie sich mehr Flexibilität. Die Beherrschung des Grundwerkzeugs, ergänzt durch Praxiserfahrungen, hält sie für die richtige Mischung.
Auch darauf, wie man eine noch breitere Öffentlichkeit für die Informatik begeistern kann, hat Ursula Fissgus eine Antwort: "Mit einfachen Benutzeroberflächen." Nicht so wie bei den Fahrkartenautomaten der Deutschen Bahn, nennt sie ein gegenteiliges Beispiel. "Man sollte Lösungen immer aus der Sicht des Anwenders entwickeln", rät sie.
Als frisch gewählte Dekanin hat Professorin Ursula Fissgus nun auch eine Menge Schreibtischarbeit hinzu bekommen. Zu ihren Aufgaben gehören die Organisation der Finanzen und der Lehre ebenso wie die Beantwortung der Frage: "Wie wollen wir uns als Fachbereich aufstellen?" Dass sie auch künftig überwiegend mit Männern an einem Tisch sitzen wird, um solche Fragen zu erörtern, "das bin ich ja gewöhnt" , sagt sie. Immerhin ist aber die Besetzung des Dekanats mit Prodekan Prof. Stefan Schlechtweg-Dorendorf, Studiendekanin und Prof. Uta Seewald-Heeg und dem Vorsitzenden des Prüfungsausschusses, Prof. Gunther Schwenzfeger, nahezu ausgeglichen.
Und womit beschäftigt sich eine Informatikerin in ihrer Freizeit? Ursula Fissgus antwortet mit einem Schmunzeln. "Meine Hobbys sind sehr weiblich: Stricken und Gartenarbeit."