Linke in Anhalt-Bitterfeld Linke in Anhalt-Bitterfeld: "Kümmerer"-Partei in der Krise

Köthen - Wenn man Vorsitzender der Linken in Anhalt-Bitterfeld werden will, muss man auch schwierige Fragen beantworten können, zum Beispiel danach, wie man eigentlich zur Gründung der EU und zur Gründung des Deutschen Reiches durch Bismarck stehe. Diese von oben verordneten Gründungen seien immerhin für Krieg und Elend verantwortlich, machte der Frager die Sinnhaftigkeit seines Einwurfs geltend. Matthias Schütz aus Libehna, am Sonnabend auf der Mitgliedervollversammlung der Partei einziger Kandidat für den kreislichen Chefposten, fand, obschon ihm die Überraschung ins Gesicht geschrieben stand, eine unverbindlich-befriedigende Antwort auf die Frage: Die Linke sei die einzige Friedenspartei in Deutschland, dazu stehe er.
Matthias Schütz ist neuer Chef der Linken in Anhalt-Bitterfeld. Schütz ist 32 Jahre alt, ledig und kinderlos. Parlamentarische Erfahrungen hat der Mann aus Libehna im Ortschaftsrat ebenso gesammelt wie im Gemeinderat des Südlichen Anhalt. Seit vier Jahren arbeitet Schütz, der als Teamleiter bei Policoat in Gölzau seine Brötchen verdient, im Kreisvorstand der Linken mit.
Der neue Kreisvorstand besteht neben ihm aus Bettina Kutz, Renate Kühl, Roswitha Scharfen, Viola Rosenkranz, Petra Weiher, Annett Czychi, Anke Nielebock, Andreas Bergemann, Marko Roye sowie Schatzmeister Jürgen Morbach. Der Kreisverband der Linken besteht derzeit aus 243 Mitgliedern. (mb)
Partei in der Krise
Die kleine Episode lässt erahnen, dass es Schütz in seiner neuen Funktion in vieler Hinsicht nicht leicht haben wird. Es geht nicht nur darum, die Partei aus einer Talsohle herauszuholen, die sich trotz des Wahlerfolges von Christina Buchheim (WK 22) am 13. März besonders drastisch manifestiert hatte, sondern auch darum, die innerparteilichen Querelen wenn schon nicht zu beenden, so doch zu minimieren. Denn nicht nur im Rechenschaftsbericht des seit Jahren amtierenden Kreisvorsitzenden Frank Ressel, der nicht einmal mehr für den Kreisvorstand kandidierte, auch in der Diskussion wurde deutlich, dass auch in der Linken landsmannschaftliche Abgrenzungen noch lange nicht überwunden sind.
Darüber kann auch das Wahlergebnis von Schütz nicht hinwegtäuschen, der immerhin 45 von 50 möglichen Stimmen auf sich vereinen konnte. Jenseits dieser Wahl steckt die Partei in einer Krise. Das zeigt sich schon daran, dass die Linke in Anhalt-Bitterfeld binnen drei Jahren 20 Prozent ihrer Mitglieder verloren hat, wie Ressel kundtat. Darunter befinden sich auch Austritte von Leuten, die mit dem Agieren der Partei in Stadt und Kreis nicht zufrieden waren. Ressel beklagte auch die „innere Verfasstheit“ der Linken: Wie gehe man miteinander um, wie höre man einander zu? Er gebe dem neuen Kreisvorstand mit auf den Weg, die atmosphärischen Störungen zu beseitigen und die Zusammenarbeit neu zu organisieren.
Dilemma-Bündnis mit der AfD
Dass es damit im Argen liegt, zeigte sich zum Beispiel an dem Dilemma im Gemeinderat von Muldestausee, wo sich die Linke plötzlich in einer Fraktion mit AfD-Vertretern wiederfand und ihre eigenen Mandatsträger nicht dazu brachte, diese Fraktion aufzukündigen. Man habe, klagte Ressel, auf diese Weise dazu beigetragen, die AfD hoffähig zu machen.
Dass die Wahlergebnisse der AfD auf der Mitgliederversammlung der Linken eine Rolle spielen würden, war abzusehen - nicht zuletzt deswegen, weil die Genossen von der Frage umgetrieben werden: Warum haben so viele Nichtwähler AfD gewählt? Und dazu passend: Was ist aus dem Anspruch geworden, die einzig wahre „Kümmerer-Partei“ zu sein?
Antworten darauf gab es noch nicht, dafür aber Deutungen und Streit darüber. Ressel, dessen nüchtern-analytischer Rechenschaftsbericht durchaus nicht nur Beifall fand, hatte es genau ausgerechnet und damit noch mehr Salz in die Wunden gestreut: Man habe in den vier Landtagswahlkreisen, die überwiegend oder komplett zum Landkreis Anhalt-Bitterfeld gehören, im Vergleich zur Wahl 2011 zwischen 34 und 42 Prozent der Wähler verloren. „Der Wahlkampf war für die Katz“, erregte sich einer der Anwesenden. „Wir haben den Kampf auf der Straße verloren“, stellte korrelierend der gescheiterte Direktkandidat Gerald Grünert (WK 23) fest, der nach dem desaströsen Wahlergebnis auch die Kampagnenfähigkeit der Linken in Gefahr sah - „wir haben in vielen Orten nun keine Strukturen mehr, weil die Wahlkreisbüros nicht mehr existieren“.
Vertrauensverlust beim Wähler, Ärger über die Listenaufstellung, die nun vor allem Magdeburger und Hallesche Linke ins Parlament gebracht hat, Mangel an politischer Bildung, das von-Wahlen-gehetzt-Sein - im Verlaufe der Debatte tat sich buchstäblich eine Baustelle nach der anderen für die Linken auf, verstärkt vom Ärger darüber, nun nicht einmal mehr die größte Oppositionspartei zu sein. Das derzeitige Geschehen in Magdeburg kommentierte man denn auch lieber sarkastisch: „Da verlieren drei, tun sich zusammen und schon sind sie die Gewinner“. Für einen ganz alten Genossen war die Frage, wer denn nun eigentlich die Wahl gewonnen habe, ohnehin immer falsch beantwortet worden. „Das war das Großkapital, der Klassengegner, die AfD ist nur dessen verlängerter Arm.“ Matthias Schütz hat wirklich viel Arbeit vor sich. (mz)