Leben mit der Mühle
Weißandt-Gölzau/MZ. - Am 23. März waren es genau 50 Jahre her, als Göricke seine Meisterprüfung erfolgreich bestanden hatte und in die Handwerksrolle als Müllermeister eingetragen wurde.
"Ich hatte eigentlich keine Wahl", blickt Göricke zurück. Schon sein Großvater und der Vater waren Müller. Was anderes als Müller konnte aus ihm werden. Bereut hat er diesen beruflichen Werdegang aber nicht. "Es gab schöne und es gab schwere Zeiten."
1934 wurde die Mühle in Weißandt-Gölzau gebaut. Im März war erster Spatenstich - "damals wurde alles noch mit der Hand ausgeschachtet". Im August des selben Jahres kam Martin Göricke zur Welt, wurde quasi in die neue Mühle hineingeboren. Und er nahm sein Schicksal an: "1949 begann ich meine Lehre bei Meister Freigang in Löbejün. Zu ihm habe ich heute noch gute Kontakte." Ein Zuckerschlecken war die bis 1952 dauernde Lehrzeit aber nicht. "Von Acht-Stunden-Tag war damals keine Rede." Von 7 Uhr früh bis 18 Uhr wurde gearbeitet. "Es gab nur die Mühle. Kam ich mal vom Fußball angehumpelt, war der Meister wenig begeistert."
Zur Berufsschule ist Göricke von Gölzau aus mit dem Fahrrad nach Könnern gefahren. In Wieskau schloss sich ein Bäckerlehrling an. Bäcker, Müller und Fleischer hatten damals den selben Unterricht, der Lehrer war Bäckermeister. "Das letzte halbe Jahr ging ich dann nach Halle." Das war eine richtige Fachschule.
Nach dem Lehrabschluss ging Martin Göricke zunächst wieder nach Hause. Bis Anfang 1953: "Da wollte ich mir auch mal etwas anderes angucken." Also zog er nach Dorndorf in der Rhön und arbeitete in einer Wassermühle. Und schon hatte er telefonisch eine Stelle in einer großen Mühle in Neustadt / Dosse fest gemacht. "Eigentlich wollte ich nach Potsdam. Wegen der Nähe zu Westberlin. Doch daraus wurde nichts, dort war keine Stelle frei." Dann erreicht ihn aber eine Nachricht von zu Hause: Der Geselle hatte gekündigt, wurde Neulehrer. "Das war kein Wunder, damals wurde nicht viel verdient, die Gesellen bekamen richtige Hungerlöhne." Für Göricke war dies das Ende der Reisen, um verschiedene Mühlen kennen zu lernen. Seit 1953 arbeitete er im Gölzauer Familienbetrieb.
Dann aber stand zeitweise sogar die Existenz des Familienbetriebes auf dem Spiel: Görickes Vater, der damalige Mühleninhaber, wurde am 22. April 1955 wegen unbefugten Waffenbesitzes (Jagdwaffen) inhaftiert. "Die Mühle wurde sofort dicht gemacht." Und man versuchte gleichzeitig, ihn wegen Wirtschaftsvergehens zu enteignen. "Nach dreitägiger intensiver Überprüfung aller Geschäftsbewegungen und Kontrolle der Warenbestände konnten keine Unregelmäßigkeiten festgestellt werden."
Ein viertel Jahr arbeitete Martin Göricke bei seinem Großvater Wilhelm in der nahe gelegenen Windmühle. "Ab Juli bekam mein Großvater dann die Gewerbegenehmigung für die geschlossene Mühle. Er hatte seinen Namen hergegeben, damit es weiter gehen konnte." Immerhin war der Großvater damals bereits 80 Jahre alt.
Im Februar 1956 reiste Göricke nach Altenstein in Thüringen zum Meisterlehrgang. In dieser Zeit verstarb sein Großvater. Nach sechs Wochen legte Göricke seine Meisterprüfung ab. "Am 1. April 1956 bekam ich dann die Gewerbegenehmigung für die Mühle und konnte loslegen."
Das war aber nicht einfach. Denn damals wurde das Mahlgut - Weizen und Roggen - kontingentiert. Nach der erzwungenen Mühlenschließung wurden die Kontingente auf benachbarte Mühlen verteilt - immerhin gab es damals 13 Mühlen im Landkreis. "Die Müller waren aber so anständig, das Kontingent zurück zu geben." Allerdings nicht alles: "Ich fing damals mit 43 Tonnen im Quartal an."
Das Geschäft wurde aber schwieriger - denn mit dem Sterben der Backbetriebe im Landkreis kam auch das Sterben der Mühlen. Inzwischen gibt es nur noch zwei Mühlen - neben der in Gölzau noch eine in Elsnigk. Außerdem wurde den Mühlen zu DDR-Zeiten das Weizengeschäft entzogen - die Saalemühlen in Bernburg wurden damit bedacht. In den 60er Jahren sollten die privaten Mühlen in der Mischfutterindustrie zusammengefasst werden. Göricke blieb standhaft und lieber selbstständig. Was sich als richtig heraus stellte, denn die hochtrabenden Pläne zur Neustrukturierung der Lagerwirtschaft und zum Bau von großen Mühlenwerken ließen Engpässe aufkommen, die den privaten Mühlen Luft zum Atmen brachten. Sogar langfristige Verträge waren später möglich - der letzte lief von 1986 bis 1990 über den damaligen Leitbetrieb, die Getreidewirtschaft Halle. Verträge gab es auch mit der Konsum-Bäckerei in Coswig.
Halt und Hilfe fand Martin Göricke in seiner Familie. Für seine inzwischen verstorbene Frau und die Kinder sei es nicht immer einfach gewesen. "Ich hatte aber eine sehr einsichtige, gute Frau. Wir haben sehr viel gemeinsam geschaffen." Nach dem Tod des Vaters musste seine Frau auch in der Mühle mithelfen. "Wenn ich unterwegs war, Getreide zu holen, dann konnte die Mühle nicht einfach abgestellt werden."
Nach der Wende brachen alle alten Strukturen zusammen, Vertragspartner wurden abgewickelt, die Leute kauften zunächst nur Brot aus dem Westen. Wer bestehen wollte, musste investieren. "Zu DDR-Zeiten hatten wir noch keine lose Getreideannahme." Damals wurde ausschließlich in Säcken geliefert und abgeholt. Also wurde in die lose Annahme investiert und das hat sich bis heute ausgezahlt. Außerdem war es wichtig, sich nach der Wende ein zweites Standbein zu schaffen. "Im Januar 1990 hatte ich die Genehmigung für den Futtermittelhandel beantragt und auch sofort erhalten."
Martin Göricke hatte natürlich auch noch ein Leben außerhalb der Mühle. "Ich habe in der Freiwilligen Feuerwehr Dienst getan, war zehn Jahre lang Wehrleiter in Weißandt-Gölzau." Jedes Jahr wurde Urlaub gemacht.
Göricke war 50 Jahre Müllermeister in zwei so verschiedenen Gesellschaftsordnungen wie die der ehemaligen DDR und der heutigen Bundesrepublik. "So unterschiedlich diese Gesellschaftsordnungen sind, so unterschiedlich waren auch die Probleme, mit denen ich fertig werden musste."
Ruhestand heißt für Göricke nicht Nichtstun. "So lange ich noch gebraucht werde, will ich in der Mühle mitarbeiten", sagt Göricke. Reich werden konnte man als Müller nicht, blickt er zurück. "Wir haben aber immer unser Auskommen gehabt."