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Köthen900 Köthen900: Gretchen auf dem Acker

Von Matthias Bartl 18.05.2014, 19:05
Hedwig Hoffmann und ihr Sohn Uwe und Familie wohnen heute in dem Haus, das Ruth Maria Kubitscheks Vater einst gebaut hat.
Hedwig Hoffmann und ihr Sohn Uwe und Familie wohnen heute in dem Haus, das Ruth Maria Kubitscheks Vater einst gebaut hat. heiko rebsch Lizenz

Köthen/Trinum/MZ - Manche Dinge ändern sich, manche nicht. Der Koppelweg in Trinum ist eine ganz ruhige Gegend, zumal dort, wo der Weg quasi ins Grün ausläuft. So ist es heute - und so war es schon vor fast 70 Jahren. Da war das Haus, das heute die Bezeichnung Koppelweg 12 trägt, das Wohnhaus einer Familie, die von den Nachkriegswirren aus ihrer nordböhmischen Heimat vertrieben worden war. Und ein Mitglied der Familie, die längst wieder aus dem Dorf verzogen ist, kehrte am zurückliegenden Wochenende auf den Spuren der Vergangenheit zurück: Ruth Maria Kubitschek - Schauspielerin, Autorin, Malerin.

Die im Koppelweg des Jahres 2014 versonnen stehen bleibt und um sich blickt: „Früher war hier ein Zwetschgengarten“, erinnert sie sich und sagt lächelnd: „Heute habe ich auch wieder einen Zwetschgengarten.“ Ihr Vater, Anton, von Ruth Maria Kubitschek nur „Papa“ genannt, hatte in Trinum 40 Morgen Neubauernland bekommen und am Rand des Ortes, ein gutes Stück von den anderen Gehöften, ein einfaches Haus gebaut, nachdem die Familie erst einige Zeit zusammen mit anderen Flüchtlingen im ehemaligen Gutshaus des Ortes gewohnt hatte. Anton Kubitschek war zwar Diplom-Kaufmann und hatte sich die Landwirtschaft nur autodidaktisch erschlossen, aber immerhin so, dass er im Ort die Vereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe (VdgB) leitete und von vielen um Rat gefragt wurde, „nachdem man erst über ihn gelacht hatte“, erinnert sich seine berühmte Tochter.

"Lieber als in die Schule"

Die zwar gern mit dem Vater aufs Feld ging („Lieber als in die Schule“), aber doch nicht in der Landwirtschaft bleiben wollte. Ruth Maria Kubitscheks Leidenschaft war schon in den Trinumer Mädchenjahren die Schauspielerei. Da geht die Erinnerung zurück an Elfentänze mit anderen Mädels im Trinumer Wäldchen und an den großen Tanzsaal im Gasthof, wo eine erste Bühne lockte. Erinnerung daran, dass sie einst Bäuerinnen beim Rübenverziehen eine Theateraufführung bot. „De Bäuerinnen haben gesagt: Ruth, wir hacken deine Reihe mit und du spielst uns was vor.“ So kam das Gretchen aus dem „Faust“ auf den Trinumer Rübenacker. In Bernburg fand sie eine Lehrerin, die ihr das Sprechen für die Bühne beibrachte - der Weg in diese „Schule“ war weit, eine lange Fahrt mit dem Rad, eine Kanne Milch als Bezahlung am Lenker.

Ruth Maria Kubitschek war weit davon entfernt, mit goldenen Löffeln im Mund aufzuwachsen - vielmehr auf ehemaligen Soldatenbetten aus dem Köthener Fliegerhorst und handgestopften Strohsäcken. Die damals 14-Jährige war 1945 allein von Bartelsdorf bei Komotau über das Erzgebirge gewandert bis nach Annaberg und von dort per Zug nach Halle zu Bekannten gefahren. Die Familie war erst später nachgekommen, sie hatte sich mit ihr in Leipzig getroffen und die Odyssee endete erst in Köthen - „wir sind von Leipzig losgefahren und hatten uns entschieden, dort aus der Bahn zu steigen, wo es uns gefallen würde. Und als wir in Köthen ankamen, sagte meine Mutter, die Klavier spielte: In Köthen ist Bach ausgestiegen, hier steigen wir auch aus.“

Sie sei Köthen heute noch dankbar, wie freundlich ihre Familie hier aufgenommen wurde. Der Bürgermeister, vermutlich war es Franz Elstermann, habe nicht nur für Unterkunft gesorgt, sondern der jungen Ruth gleich Arbeit und damit ein wenn auch kleines Einkommen verschafft: Sie wurde bei der Ausgabe von Lebensmittelkarten beschäftigt. Erst wohnte man auf dem Fliegerhorst, später im Lachsfang 9.

Viel wichtiger aber war, dass es in Köthen ein „wunderschönes Theater“ gab, wo Ruth Maria oft zu finden war und sich mit der etwa sechs Jahre älteren Schauspielerin Linde Sommer befreundete. Mit der sie, so kreuzen sich Wege, 1959 im DEFA-Film „Senta auf Abwegen“ gemeinsam spielte. Für Linde Sommer war es der erste Filmauftritt, für Ruth Maria Kubitschek (fast) der letzte in der DDR. 1959 blieb sie nach einem Theaterengagement in der BRD. „Papa“ Anton, der längst die „Schnauze voll“ hatte von dem Weg, den die Landwirtschaft in der DDR gehen sollte, war ihr 1958 samt Familie vorausgegangen.