Köthen Köthen: Heilende Liebesperlen
KÖTHEN/MZ. - Zum Beispiel, wenn es um die Verwendung von Liebesperlen geht, wie man bei der Eröffnung der Ausstellung "Homöopathie in der DDR" in der Köthener Wallstraße erfahren konnte, worauf später zurückzukommen sein wird.
Homöopathie sei in der DDR ein völlig abwegiges Thema gewesen, sagt Christoph Laurentius, Leiter der Bibliotheken des Deutschen Zentralvereins homöopathischer Ärzte (DZVhÄ), homöopathischer Arzt in Berlin und Köthen, der gemeinsam mit Sabine Radtke von der Europäischen Bibliothek für Homöopathie die Ausstellung initiiert und vorbereitet hat. Bereits 2009, als die Bibliothek eingeweiht wurde, hatte Laurentius die Idee, an dieser Stelle eine solche Ausstellung zu zeigen. Und es erwies sich als glücklicher Umstand, dass zum einen in zeitlich engem Zusammenhang Anne Nierade ihre Dissertation zur Homöopathie in der DDR vorlegte und die Bibliothek den Nachlass der Familie Preß aus Nordhausen erhielt. Gerade letzteres war ein Kristallisationspunkt für die Ausstellung, wurde sie durch die Exponate aus dem Preßschen Nachlass in ihrer Breite und vor allen Alltagsorientiertheit überhaupt erst möglich.
Matthias Preß war zur Eröffnung selbst erschienen, was sich als Gewinn für die Veranstaltung erwies, denn Preß - von Beruf Elektronik-Ingenieur - konnte aus eigenem familiären Erleben das Wirken der Homöopathie im "Untergrund" oder vielmehr im privaten, der staatlichen Kontrolle entzogenen Bereich beschreiben. Als in den 60-er Jahren der letzte homöopathische Arzt in Nordhausen seine Praxis schloss, so Preß, habe Preß' Vater zu ihm gesagt: "Bevor sie zumachen, müssen Sie mir alles beibringen." Damit habe es angefangen, sagt Preß, der als Baby nach einer Impfung unter einem gefährlichen Ekzem gelitten hatte und feststellt: "Ich lebe heute durch die Homöopathie." Zwar sei es DDR-Ideologie gewesen, die Homöopathie als Kurpfuscherei und "Schabernack" zu diffamieren, "es soll nicht sein", aber ausrotten konnte man die Homöopathie denn doch nicht. Sie überlebte in vielen privaten Wohnzimmern. Und nur dank der Beharrlichkeit einzelner. In der Familie Preß wurde beispielsweise homöopathische Literatur Seite für Seite abfotografiert und in Buchdeckel gebunden. "Da wurden aus ursprünglich einem Band schnell fünf", erinnert sich Preß an Widrigkeiten des dickeren Fotopapiers.
Bunt gefärbte Zuckerkugeln
Und wenn man auf das Thema "Homöopathische Arzneimittel in der DDR" kommt, die es im eigentlichen Sinne nicht gab, schon gar nicht zu kaufen, immerhin wollten die Machthaber die Homöopathie einfach ausbluten lassen, wenn man also dieses Thema aufgreift, dann ist man wieder bei den Liebesperlen. Liebesperlen waren nicht - wie man angesichts des Namens denken könnte - Aphrodisiaka östlichen Zuschnitts, sondern kleine Kugeln aus bunt gefärbtem Zucker, die sich die Dreikäsehochs aus kleinen Plastfläschchen in den Mund schütteten, wo sie süßen Geschmack entfalteten. Manchmal freilich hatte man den Eindruck - wie bei vielen Dingen in der DDR -, dass die Liebesperlen nicht immer erhältlich waren.
Globuli im Plastfläschchen
Ein Umstand, der an den Homöopathen zwischen Kap Arkona und Bad Brambach gelegen haben könnte. Zwar gab es offiziell keinen Arzt, der nach der homöopathischen Methodik und Lehre Kranke zu heilen versuchte, aber dennoch gab es Menschen, die - privat - homöopathische Medikamente erstellten und Freunden und Bekannten zum Zwecke der Heilung von verschiedenen Leiden zukommen ließen. Die Liebesperlen dienten dabei als Globuli, als Träger für die in die x-te Potenz verdünnten Arzneimittel. Der Zucker als Substanz war dafür bestens geeignet, die Perlen wurden einfach mit der Arzneiflüssigkeit getränkt und der Patient erhielt - auf den ersten Blick - einfach ein Fläschchen mit Liebesperlen. "Wenn man sich in der DDR der Homöopathie widmen wollte, benötigte man Erfindergeist", unterstreicht Matthias Preß im MZ-Gespräch. Beispiele dafür finden sich in der Ausstellung nicht wenige, wie auch Beweise für die staatlichen Versuche, die Homöopathie ins Abseits zu stellen. Man wird als Besucher, zumal als einer, der in der DDR aufgewachsen ist, manch faszinierende Erkenntnis aus der Ausstellung mitnehmen.
Die Ausstellung "Aus einem verschwundenen Land - Homöopathie in der DDR" ist in der Europäischen Bibliothek für Homöopathie, Wallstraße 48 in Köthen, bis zum 10. November 2012 zu sehen. Die Bibliothek ist Montag und Mittwoch von 14 bis 18 Uhr, Dienstag und Donnerstag von 11 bis 14 Uhr und jeden ersten Samstag im Monat von 10 bis 12 Uhr geöffnet.