Köthen Köthen: Esse fällt ins Bett
Köthen/MZ. - Die drei Huptöne waren im Kohlgartenweg kaum verhallt, als ein Knall das Terrain am Rand von Köthen kurz durchschüttelte - und der Schornstein auf dem Märka-Gelände nahezu in Zeitlupe aus der Vertikalen und in voller 45-Meter-Länge auf den Boden stürzte. Eine leichte Erschütterung, ein paar Staubwolken, dann war alles vorbei. Manch Klepziger, der nicht pünktlich 13.45 Uhr mit seiner Kamera aus dem Haus gekommen war, konnte sich nur noch von Nachbarn erzählen lassen, welchen Schnappschuss fürs Familienalbum er verpasst hatte.
Köthen hat zwar größere Schornsteine gehabt, aber mittlerweile gibt es in der Silhouette der Stadt nicht mehr allzuviele von den einstigen Industrie-Essen. Wenn eine von ihnen gesprengt wird, ist das daher immer ein Ereignis. Der Schornstein auf dem Gelände der früheren Getreidewirtschaft (jetzt Märka) südlich der Merziener Straße war schon seit Jahren nicht mehr benötigt worden. Stefan Speer, Märka-Regionalleiter für Sachsen-Anhalt, aber auch andere Bereiche der neuen Bundesländer, kann sich jedenfalls nicht daran erinnern, dass die Esse einmal geraucht hat. "Zu meinen Zeiten nicht mehr", sagt er. Für Stefan Speer ist der Schornstein kein Zeichen prosperierender Wirtschaft mehr gewesen, sondern "ein Bauwerk ohne Funktion", ja mehr noch: ein Ärgernis. "Wir haben durch die Sprengung eine Gefahrenquelle beseitigt", stellt der Märka-Regionalleiter fest und hängt an: "Das war der Wunsch der Stadt und auch aus der Nachbarschaft hatte es Bedenken wegen des Schornsteins gegeben." Freilich: Wackelig sei der Riese durchaus nicht gewesen, und wenn er bei Sturm auch mal Ziegel verloren haben sollte, dann konnte dadurch eigentlich keiner geschädigt werden. Andererseits ist die Märka-eigene Industriebrache an der Peripherie von Klepzig zwar umzäunt, aber auch "relativ frei zugänglich", wie Speer konstatiert. Kurzum: Man wollte kein Risiko eingehen.
Und gab die Spregung in Auftrag. Eine Aufgabe für die Thüringer Sprenggesellschaft in Kaulsdorf und ihren Sprengmeister Karl-Heinz Bühring. Bühring, ein untersetzter Mittfünfziger in Arbeitszeug und Helm, macht nicht viel Worte um seinen Job. "Zwei Tage" habe man gebraucht, um alles zu erledigen. Einen Tag zur Vorbereitung, einen Tag zum Sprengen. Pfeilschlitze hat Bühring in das Mauerwerk gesägt, 40 Löcher für den Sprengstoff gebohrt. Wieviel Sprengstoff man für so einen Schornstein benötigt, bemisst sich nach Mauerwerkstärke und Umfang. "Das ist schnell berechnet." Er habe doch, so die Reporterfrage, mehr Sprengstoff eingeplant, als benötigt wurde. Das, sagt Bühring und fasst den Frager genauer ins Visier, mache man immer so - "ich nehme doch nicht zu wenig mit und fahre dann nochmal los, neuen Sprengstoff holen." Sechs Kilo haben aber für die Märka-Esse ausgereicht. Sempex? Bühring blinzelt in die Sonne. "Wir haben", sagt er gemessen, "gelatinösen Sprengstoff Eurodyn 30 genommen."
Und 150 Kubikmeter Schutt dafür bekommen. Wie der Schornstein gefallen ist, genau in das berechnete Bett, stimmt Bühring wohlwollend. "Wichtig ist, dass rundherum nix kaputtgegangen ist." Obschon das Märka-Gelände einen eher ödliegenden Eindruck macht, durfte die Esse auch wirklich nur in eine einzige Richtung fallen - und möglichst ohne große Abweichung nach links: Dort nämlich stehen die hübschen gepflegten Einfamilienhäuser im Kohlgartenweg, und in der Ackerstraße. Dass dorthin nicht mal der Staub so recht hingekommen ist, zeigt, dass das Sprengduo aus Thüringen alles richtig gemacht hat.
Das sagt auch Renald Jabs. Der Gewerbeobersinspektor hat im Auftrag des Landesamtes für Verbraucherschutz die Vorgänge in Klepzig kontrolliert. "Alles in ordnung", sagt er knapp. Jabs muss es wissen - er hat selbst die Lizenz zum Sprengen.