Heimatgeschichte aus Scheuder Heimatgeschichte aus Scheuder: Pfarrer, Künstler, Attentäter aus Scheuder

Scheuder - Die Geschichte einer Stadt oder eines Dorfes ist immer mit den Schicksalen ihrer Einwohner verbunden. Sie wird aber auch oft von Menschen mit geprägt, die in irgendeiner Weise mit dem Ort in Berührung kamen. So trifft dies auch für Scheuder zu. Wer waren zum Beispiel Emanuel Cläpius, Christian Stein, Wilhelm Hoff und Karl Eduard Nobiling? Wer kennt diese Namen überhaupt noch? Und was verbindet diese Männer mit Scheuder? Dazu muss man in der Chronik ein Stück zurückblättern.
Emanuel Cläpius
Als Emanuel Cläpius nach Scheuder kam, ahnte er sicher nicht, dass dies seine letzte Reise war. Denn in Scheuder ereilte ihn der Tod. Emanuel Cläpius wurde 25. August 1676 in Dessau geboren und erwarb im Jahr 1706 in Dessau das Bürgerrecht. Er heiratete im Mai 1723 in Dessau Johanne Wilhelmine Womrath.
Deren Vater, Johann Conrad Womrath war von 1691 bis 1714 Pfarrer an der Marienkirche und Superintendent in Dessau. Sein Sohn Johann Peter wirkte von 1708 bis zu seinem Tod als Pfarrer in Quellendorf. Johanne Wilhelmine verstarb am 20. Februar 1724 bei der Geburt des Sohnes Leopold Ludwig.
Emanuel Cläpius reiste in der Funktion eines Fürstlich Anhaltischen Hofrates in Dessau im November 1732 nach Scheuder. Dort verstarb er am 25. November 1732 in Folge eines Schlaganfalls. In der Dorfkirche Scheuder kündet ein auffällig reich verzierter Grabstein von diesem Ereignis.
Christian Stein
Bekannter als Emanuel Cläpius dürfte dagegen Pfarrer Christian Stein ("Pfarrer der Armen") sein, zumindest seit ihm zum Gedenken eine Steintafel an der Scheuderschen Kirche angebracht worden ist. Christian Stein wurde am 14. Dezember 1809 als Sohn eines Huf- und Waffenschmiedes in Dessau geboren, wo er auch 1887 verstarb. In Dessau besuchte er die Hauptschule und studierte später Theologie in Jena. Dem Studium schloss sich unter anderem eine Anstellung als Erzieher, Lehrer und Inspektor am Gymnasium Francisceum in Zerbst an.
Sein Weg führte ihn schließlich im Jahr 1846 nach Scheuder. Mit Antritt der dortigen Pfarrstelle lernte er Rechtlosigkeit und Armut der Tagelöhner kennen. In seinem Denken und Handeln wurde Christian Stein durch den Ausbruch der Revolution 1848 beeinflusst. So trat er verstärkt für die Rechte der einfachen Dörfler ein und fand Kontakt zur Arbeiterbewegung in Dessau.
Neben weiteren Schriften verfasste er wohl auch sein bedeutsamstes Werk: „Die Geschichte der Deutschen Bauernkriege, für das Volk erzählt“. In dieser Schrift vermittelt er den Bauern und Landarbeitern die Kenntnisse über ihr Recht auf den Boden. Das stand im offenen Widerspruch zur obrigkeitlichen Geschichtsdarstellung, was ihm den Vorwurf des Hochverrats einbrachte.
Um der Verfolgung zu entgehen, hielt sich Christian Stein in der anhalt-köthenschen Kolonie Askania Nova in der Ukraine auf. Von dort zurückgekehrt, leistete er öffentliche Abbitte und konnte als Geistlicher bleiben. Christian Stein stiftete daraufhin eine „Sühneglocke“, die sich noch heute in der Kirche von Scheuder befindet. Die Stelle als Pfarrer in Scheuder führte Christian Stein bis 1856 aus.
Auf der nächsten Seite lesen Sie, was Wilhelm Hoff und Rudolph Nobiling mit Scheuder verbindet.
Wilhelm Hoff
Ob sich Christian Stein und Wilhelm Hoff kannten? Möglich ist dies, denn in den achtzehnhundertfünfziger Jahren war auch Wilhelm Hoff in Scheuder tätig.
Geboren wurde Wilhelm Hoff am 31. Januar 1813 in Dohndorf. Er arbeitete einige Jahre als Orgelbauer und als Tischler bei Adolph Zuberbier in Dessau. Schließlich eröffnete er zusammen mit dem von Zerbst nach Dessau verzogenen August Römer ab 1844 eine Orgelbauwerkstatt in Dessau, die bald in den alleinigen Besitz von Hoff überging. Seine eigene Werkstatt als Orgelbauer betrieb er bis 1860. Diese existierte parallel zu der von Zuberbier, dessen Werkstatt dann aber in fünfter Generation 1880 zu Ende ging. Erst 48 Jahre alt, verstarb Wilhelm Hoff im Februar 1861 in Dessau.
Hoff baute vorwiegend einmanualige Orgeln. Es existieren nur sehr wenige zweimanualige Instrumente mit maximal 20 Registern. Insgesamt sind etwa 14 bis 16 neue Orgeln von ihm bekannt. Ansonsten gibt es einige Orgeln vorwiegend in Anhalt, die Hoff repariert oder umgebaut hat.
Eine der von Wilhelm Hoff neu gebauten Orgeln ist die in der Kirche Scheuder. Sie ist bis zum Ersten Weltkrieg größtenteils unverändert geblieben. Allerdings wurden auch von dieser Orgel die Zinn-Prospektpfeifen für Kriegszwecke abgebaut. Die Orgel in Scheuder wird von Fachleuten als erhaltenswert eingestuft als wertvolles Dokument der Orgelromantik.
Rudolph Nobiling
Wilhelm Hoff war bereits verstorben, als im Juli 1861 das erste von insgesamt vier Attentaten auf Kaiser Wilhelm I. verübt wurde. Den dritten Anschlag auf das Leben des Kaisers verübte Dr. Karl Eduard Nobiling.
Dieser wurde am 10. April 1848, dem Jahr der Märzrevolution, in der Domäne Kollnow bei Birnbaum in der Provinz Posen geboren. Sein Vater war dort Domänenpächter und so lag es nah, dass Karl Eduard Landwirtschaft studierte und seinen Doktor auf diesem Wissensgebiet ablegte.
Am 2. Juni 1878 griff Karl Eduard Nobiling in die deutsche Geschichte ein. Er schoss mit einem Schrotgewehr aus dem Fenster des Hauses „Unter den Linden Nr. 18“ in Berlin mehrfach auf den in einer Kutsche vorbeifahrenden 81-jährigen Kaiser. Er wurde lebensgefährlich an Armen, Rücken und Kopf verletzt. Wilhelm I. überlebte nur dank seines dicken Mantels und seiner Pickelhaube. Passanten überwältigten Nobiling, der versuchte, sich selbst zu erschießen.
Nobiling erliegt später seinen Verletzungen im Gefängniskrankenhaus, bevor ihm der Prozess gemacht werden kann. Dieses und ein zweites Attentat im Jahr 1878 nahm Reichskanzler Otto von Bismarck zum Anlass, um sein Sozialistengesetz im Reichstag durchzusetzen.
Nun wird man fragen: Wo ist hier die Verbindung zu Scheuder? Sie existiert in Gestalt von Rudolph Nobiling. Dieser war ein Mitglied der Familie des Attentäters und bewirtschaftete zu dieser Zeit die Domäne in Scheuder. Nach Bekanntwerden des Attentates schrieb Rudolph Nobiling im Namen der Familie ein Bittgesuch an den Kaiser.
Da der Name Nobiling nunmehr für alle Zeiten geächtet und verdammt sei, wollte man diesen ablegen und einen anderen Namen führen dürfen. Der Kaiser gewährte dieses Ersuchen mit der Führung des Namens „Edeling“. Seitdem blieb die Domäne bis zur Enteignung 1945 im Besitz der Familie Edeling. (mz)
