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Feier wird nachgeholt Feier wird nachgeholt: Heute vor 60 Jahren wurde "Modefrisur" Köthen gegründet

Von Sylke Hermann 01.10.2020, 10:43
Mit solcherart Fönen haben Katrin Neuendorf (li.) und Ilona Wachsmuth früher einmal gearbeitet. Die Geräte gehören zur Geschichte der „Modefrisur“ Köthen e. G., die nun schon seit sechs Jahrzehnten besteht.
Mit solcherart Fönen haben Katrin Neuendorf (li.) und Ilona Wachsmuth früher einmal gearbeitet. Die Geräte gehören zur Geschichte der „Modefrisur“ Köthen e. G., die nun schon seit sechs Jahrzehnten besteht. Ute Nicklisch

Köthen - Ausgehen, Kultur erleben, vielleicht ein Musical besuchen, Spaß haben, das Glas erheben - Katrin Neuendorf hatte sich das 60. Jubiläum der „Modefrisur“ Köthen e. G. ein wenig anders vorgestellt. Lebendig, fröhlich, besonders. In Zeiten mit Corona feiern die Vorstandsvorsitzende und ihre Mitarbeiterinnen erst einmal gar nicht. Zumindest nicht an diesem 1. Oktober, am Geburtstag des Unternehmens. „Aber wir holen das nach.“

Im Oktober 1960 schließen sich sechs selbstständige Handwerksmeister in der Stadt zusammen und gründen die PGH „Modefrisur“ Köthen. Sie beschäftigen zwei Meister, 30 Gehilfen, eine Hilfskraft, zehn Lehrlinge. Zum Start zählt die Neugründung 49 Personen. Ende des ersten Jahres sind es schon über 80, die für die PGH arbeiten.

Deren Zahl steigt immer weiter. Bis Ende 1968 mit 155 Mitarbeitern ein vorläufiger Höhepunkt erreicht ist und ein Gewinn von knapp 88.000 Mark erwirtschaftet wird. Volle Auftragsbücher machen diese Entwicklung möglich. In Köthen und dem Altkreis entstehen immer mehr Filialen.

Der günstigste Herrenschnitt kostet damals 90 Pfennige

Ilona Wachsmuth lernt damals in Gröbzig. „Ich wollte unbedingt Friseurin werden.“ Sie arbeitet jetzt 43 Jahre in dem Beruf und ist im Aufsichtsrat der „Modefrisur“. Die Zeiten seien nicht mehr zu vergleichen, erinnert sie sich an ihre Arbeit im Hauptgeschäft in der Schalaunischen Straße in Köthen.

„Wir haben um sechs aufgemacht. Die Kunden kamen mit oder ohne Termin. Teilweise standen schon 20 vor Tür als wir zur Arbeit kamen.“ Bis zu zehn Leute arbeiten pro Schicht im Laden. Die meisten in Vollzeit. „Wir hatten viel mehr Kunden als heute.“ „Aber auch andere Preise“, ergänzt Katrin Neuendorf.

Der günstigste Herrenschnitt kostet damals 90 Pfennige. Fünf Mark fünfzig zahlt die Dame für waschen und legen. Etliche kommen jede Woche in den Salon. Und: „Fast jede Kundin, ob jung oder alt, hat früher eine Dauerwelle bekommen“, weiß Katrin Neuendorf noch, die seit 36 Jahren als Friseurin arbeitet.

Damals wie heute sei ihre Arbeit körperlich anstrengend

In den 80er Jahren wollen dann plötzlich alle Spirallocken - bitteschön luftgetrocknet, damit es recht wild aussieht. Aber es kommen auch Zeiten, wo der Haarschnitt vor allem pflegeleicht sein soll. Hier denkt die Chefin zum Beispiel an die Schüttelfrisur à la Mireille Mathieu. Oder freche Trendfrisuren, die damals „Rocky“ oder „Crazy“ heißen. Seit der Neugründung im Jahr 1991 firmiert der Betrieb als „Modefrisur“ Köthen und ist eine eingetragene Genossenschaft.

Damals wie heute sei ihre Arbeit körperlich anstrengend. Es gebe kaum jemanden, der nicht irgendwann gesundheitliche Probleme bekäme, weiß Katrin Neuendorf. Am häufigsten seien Rückbeschwerden und Nackenschmerzen - beides fast schon eine Berufskrankheit.

Dabei ergeben sich im Laufe der Jahre immer mehr Erleichterungen. Permanent genutzte Arbeitsgeräte wie der Fön zum Beispiel wiegen entschieden weniger als früher und sind leiser geworden. Die Frauen können heute bei der Arbeit auf einem Schneidehocker sitzen und die Haare am Rückwärtswaschbecken waschen. Es bleibt harte Arbeit. Mit Maske, die sie in Corona-Zeiten tragen müssen, um die Übertragung des Virus möglichst einzudämmen, mehr denn je.

Das Corona-Virus habe spürbar Einfluss auf die Arbeit ihrer Angestellten in den zehn Filialen

Katrin Neuendorf, die 1982 ihre Lehre anfängt, nach der Wende mit staatlicher Förderung ihren Meister macht und seit 2015 Vorstandsvorsitzende ist, hätte nicht gedacht, dass die „Modefrisur“ in ihrem 60. Jahr derart durcheinander gewirbelt wird. Das Corona-Virus habe spürbar Einfluss auf die Arbeit ihrer Angestellten in den zehn Filialen - vier davon in Köthen, die anderen in Aken, Edderitz, Görzig, Gröbzig, Radegast und Wulfen. 54 Beschäftigte - alles Frauen - zählt der Betrieb heute, darunter ein Lehrling.

Sie lieben den Kontakt zu ihren Kunden, haben zu vielen persönliche Bindungen aufgebaut

Ilona Wachsmuth sieht seit dem Frühjahr, als das Virus für einige Wochen sogar zur Schließung der Läden führt, nicht nur bei den Arbeitsabläufen Veränderungen, die viel Zeit beanspruchen. Auch das Gespräch mit den Kunden sei zuweilen mühsamer, sagt die 63-Jährige. Weil man sich unter Umständen schwerer versteht.

All das kann den beiden Frauen nicht die Freude an ihrem Traumberuf nehmen. Sie lieben den Kontakt zu ihren Kunden, haben zu vielen persönliche Bindungen aufgebaut. „Es ist schön“, betont Katrin Neuendorf mit großer Dankbarkeit, „dass sie seit Jahren Vertrauen in uns setzen.“ Denn anders als zu Beginn der Firmengeschichte seien volle Auftragsbücher heute nicht mehr selbstverständlich. (mz)

Salon „Zentrum“ am Kugelbrunnen in den 1960er Jahren
Salon „Zentrum“ am Kugelbrunnen in den 1960er Jahren
Repro: Ute Nicklisch