Ex-Kriminalist Norbert Postler Ex-Kriminalist Norbert Postler: Er hat die Schattenseiten der Region gesehen

Köthen - 2008 hat Norbert Postlers zweites Leben begonnen. Und zwar mit einer Warnung seines damaligen Chefs. „Organisieren Sie Ihren Vorruhestand, hat er zu mir gesagt“, erinnert sich Postler. „Einmal ist alles tapeziert. Der Garten ist schnell umgegraben. Was dann?“
Norbert Postler schreibt über die Polizeigeschichte seiner Heimatstadt
Was dann? Da hatte der scheidende Kriminalist Postler einen Plan. Postler, historisch ebenso interessiert wie beschlagen, hatte sich vorgenommen, über die Polizeigeschichte seiner Heimatstadt Köthen zu schreiben.
Zu der er selbst gehört. Womit wir auf Postlers erstes Leben gekommen sind. Das bringt ihn als Schüler in die Marktschule, später auf die Penne. Und es bringt ihn zur Chemie - zweimal gewinnt der EOS-Schüler die Chemie-Kreisolympiade und wird Chemielaborant im Akener Magnesitwerk. Letzteres ist möglich, weil es in der DDR einige Jahre eine Kopplung von Abitur und Berufsausbildung an der EOS gibt.
Chemie war irgendwann langweilig
Für Postler ist das Magnesitwerk wegweisend. Weg-weisend - weg von der Chemie. „Das war langweilig“, sagt er heute. „Ich habe da ganz schnell meine Liebe zur Chemie verloren.“ Aber was studieren?
Der Schüler hatte im Studienführer etwas von einer Sektion Kriminalistik an der Humboldt-Universität in Berlin gelesen - und klopfte beim Volkspolizeikreisamt an, um sich genauer zu informieren.
Postler wird auf den Boden geholt. Von wegen Studium. „Erst mal musste ich zur Armee, anderthalb Jahre bei der Bepo in Halle. Aber dann hatte ich Glück.“ Er kommt zwar immer noch nicht zum Studium, aber es hat sich bei der Kripo ein Engpass aufgetan, der dazu führt, dass der Jungspund Postler gleich zur K gehen kann, ohne Streife zu laufen.
Am Anfang Fahrraddiebstähle bearbeitet
„Am Anfang habe ich Fahrraddiebstähle bearbeitet. Aufklärungsquote: ein Prozent“, denkt Postler zurück. Zum Einarbeiten ist das gerade recht. Einen „Bärenführer“ hat Postler auch - so werden ältere Genossen genannt, die die Jüngeren unter ihre Fittiche nehmen.
Postlers „Bärenführer“ ist Oberleutnant Becker, „von dem habe ich viel gelernt“, sagt Postler und erinnert sich an eine Episode, wie Becker in der Mitropa, beliebter Treff Köthener Ganoven, einen gesuchten Strolch namens „Mampi“ einkassierte. „Der hatte uns schon gesehen, als wir in der Tür standen und rief: Sie suchen wohl jemanden? Becker ging hin, ließ seinen Blick durch den Raum schweifen und sagte: Ja, aber der ist nicht da. Weißte was, Mampi, dann kommst du mit uns mit. Der hat noch im Kreisamt gedacht, das war nur ein blöder Zufall.“
Norbert Postler war zwei Jahre beim Kriminaldauerdienst
Mit solchen und ähnlichen Geschichten kann Postler abendfüllende Programme bestreiten. Allerdings solche, bei dem Heiterkeit nur in Spurenelementen vorkommt. Dazu hat der Kriminalist zu viel von den Schattenseiten der Gesellschaft gesehen. Zum Beispiel, als er zwei Jahre lang beim Kriminaldauerdienst (KDD) in Halle arbeitet.
Damals ist er bei der Truppe, die den legendären Kreuzworträtselfall knackt. „Halle war die schönste Zeit als Kriminalist. Da habe ich das meiste zum ersten Angriff gelernt.“ Sein Studium hat Norbert Postler da längst abgeschlossen; fünf Jahre direkt in Berlin, eine beinharte Sache. Am Ende ist Postler Diplom-Kriminalist, Leutnant und EDV-Experte.
In Dessau war Norbert Postler K3-Leiter
Nach dem KDD führt der berufliche Weg Postler weg vom Tatort und hin zum Schreibtisch. In Dessau hat er als K3-Leiter 25 Leute zu führen, später ist er Kripo-Chef in Köthen. „Das war keine leichte Zeit, immerhin hatte ich dort als Junge angefangen und kam als Chef zurück.“
In der Wendezeit hat Postler mit der Polizei schon abgeschlossen. „Ich hatte bereits einen Vorvertrag mit einem Sicherheitsdienst, für den ich Leiter der ostdeutschen Niederlassung werden sollte.“ Es kommt anders: Postler bleibt Polizist, aus dem Hauptmann wird ein Kriminalhauptkommissar. Einer, der die Polizei in Dessau mit aufbaut.
Norbert Postler hat das Bitterfelder Saunakartell auffliegen lassen
Zunächst als Kripochef für Wittenberg, später als Leiter des Wirtschaftskommissariats. „Eine intellektuelle Tätigkeit“, sagt er, „wir hatten es mit schlauen Tätern zu tun.“ Zum Beispiel dem so genannten Bitterfelder Saunakartell, das sich Millionen in die Taschen schiebt. „Wir haben sie auffliegen lassen“, sagt Postler und lacht. „Aber das Geld war schon weg.“
Jahrelang hat Norbert Postler mit an der Spitze der Dessauer Polizei gestanden, hat den Zentralen Kriminaldienst geleitet mit 100 Leuten, hat sich um Kriminalfälle wie die Geiselnahme in der Windmühlenstraße gekümmert oder um den Mord nach einem Skatabend im „Schwarzen Roß“ oder den Sprengstoffanschlag auf den Köthener Puff „Chez Paul“. Alles spannende Sachen.
2.000 Todesfälle musste Norbert Postler bearbeiten
„Vieles war damals außer Rand und Band.“ Auch Tote gab es nicht wenig. Im Laufe der Jahre, sagt Postler, „sind etwa 2.000 Tote über meinen Tisch gegangen; Mord, Suizid, Unfälle.“ Am schlimmsten seien für ihn tote Kinder gewesen.
Einen vierjährigen Jungen, der in den Einschub eines nicht angeschlossenen Kühlschranks geklettert war und hinter dem die Tür ins Schloss fiel, sieht er nach Jahren noch vor sich. „Der Kleine ist jämmerlich erstickt.“ Wer nicht lerne, solche Momente auszublenden, müsse bald den Dienst quittieren.
Anfang der frühen 2000er geht Postler in den Ruhestand
Irgendwann in den frühen 2000er Jahren ist für Postler Dienstschluss. Wenngleich aus anderem Grund: Die Politik begann, kräftig bei der Polizei einzusparen und bot den alten Haudegen wie Postler die Altersteilzeit an. „Das habe ich persönlich genommen“, sagt Postler, der sich längst nicht als altes Eisen fühlte. Aber dann doch - wie fast alle Leitungskader - geht. In den Ruhestand. Mit 57.
Und mit dem Plan für das zweite Leben. Dazu muss man in Köthen nicht viel sagen, denn die sechsbändige Polizeigeschichte der Jahre 1877 bis 1948, die Postler verfasst hat, ist ein Bestseller geworden. „Dabei hatte ich beim ersten Buch regelrecht Angst, ob das überhaupt jemand lesen wollen würde.“
Das Schreiben sei ihm leichtgefallen, Aktenstudium gehörte sowieso zu seinem Leben - nur wenn altertümliche Handschriften ins Spiel kamen, war der Ermittler ratlos. „Da hat mir die Stadtarchivarin Monika Knof sehr geholfen.“
Norbert Postler fährt leidenschaftlich gerne Ski
Mit der Polizeigeschichte ist Postler, dessen Hobby das Skifahren ist („Die Schwarze Piste. Was sonst?“), durch. Da kommt nichts mehr - die Aktenlage für die DDR-Zeit ist mehr als dünn. Postler hat sich ein neues Recherche- und Schreibgebiet ausgewählt: die Geschichte der Köthener Geschäftswelt.
Auch hier sind die ersten Bücher geschrieben. Und Norbert Postler hat damit sein drittes Leben angefangen. Oder wenigstens sein zweieinhalbtes. (mz)