Erinnerung Erinnerung: Kreisspiele bei Tante Linddorf

Köthen/MZ - Brigitte Fritsche, Jahrgang 1927, gehört zu den alteingesessenen Köthenern, die im Kindesalter bereits einen Kindergarten besucht haben, was damals noch nicht so weit verbreitet war wie heute. Der evangelische Kindergarten in der Bärteichpromenade, der 2001 den Namen „Guter Hirte“ erhielt, feierte in diesem Jahr seinen 84. Geburtstag und ist damit der älteste noch existierende Kindergarten in Köthen.
Das Grundstück in der Bärteichpromenade 16 wurde 1929 von einem Trägerverein erworben, der die Tradition der Fröbel'schen Kindergarten und Bildungsanstalt für Kindergärtnerinnen in Cöthen/Anhalt fortführte. Der Köthener Geschäftsmann Wilhelm Schulze, genannt Eisen-Schulze, hatte an dieser Stelle bereits früher eine bauliche Erweiterung zum Zwecke des Kindergartenunterrichts vorgenommen, wie aus der Festschrift des Kindergarten von 2009 zu entnehmen ist.
"Ich habe mich dort sehr wohlgefühlt"
Der „Gute Hirte“ befindet seit 1945 in Trägerschaft der evangelischen Kirchgemeinde Sankt Jakob. In der Festschrift, die anlässlich des 80. Jubiläums erschienen ist, hat die heute 86-Jährige Brigitte Fritsche ein Foto entdeckt, auf dem sie sich wiedererkannt hat. Es zeigt sie und eine Freundin aus Kindertagen zusammen mit anderen Kindern und Erzieherinnen. „Das ist Tante Linddorf“, erinnert sich die Köthenerin beim Anblick des Fotos. Dora Linddorf war von 1929 bis 1933 die erste Leiterin des Kindergartens. Ihr folgte 1933 Charlotte Steuer.
So wie ihre Freundinnen wurde Brigitte Fritsche, eine geborene Samuel, von ihrer Mutter morgens in die Kindereinrichtung gebracht, wo sie bis zum Mittag blieb. Erinnern kann sie sich nur noch an die Kreisspiele, mit denen sie dort beschäftigt wurden. Auch in dieser Hinsicht hat sich bis heute viel verändert. „Ich habe mich dort sehr wohlgefühlt“, sagt Brigitte Fritsche. Kein Wunder also, dass sie später auch ihre eigenen Kinder im evangelischen Kindergarten in der Bärteichpromenade anmeldete.
Aus ihren Kindertagen weiß Brigitte Fritsche noch, dass die Eltern oft beim Brezelbäcker eingekauft haben. Auch an die Köthener Gastrich-Buden und die Würstchenbude von Nante Valtix kann sie sich, wie viele aus ihrer Generation, noch sehr lebhaft erinnern.
Aufgewachsen ist die Köthenerin in der Feldstraße. In der Nummer 13 betrieben ihre Eltern, Rudolf und Margarate Samuel, eine Schmiede, die sie bereits vom Großvater übernommen hatten. Hier wurden die Pferde der vielen Köthener Bauern und der umliegenden Orte beschlagen. Irgendwann habe es dann für den Vater nicht mehr genügend Arbeit gegeben, erinnert sich Brigitte Fritsche. Denn es fuhren immer mehr Autos in den Köthener Straßen. Also sah sich der Vater nach einer neuen Arbeit um und fand sie in der Mälzerei Wrede in der Dr.-Krause-Straße. In die Villa Wrede zog nach 1945 der Bertolt-Brecht-Club ein.
Nach dem Ende des zweiten Weltkrieges wurde der Vater von den Russen abgeholt, schildert die Tochter. Drei Jahre sei er in Buchenwald gewesen und krank wieder gekommen.
Brigitte Fritsche hat in Danzig ihr Pflichtjahr gemacht und nach der Rückkehr nach Köthen unter anderem als Sprechstundenhilfe beim Köthener Frauenarzt Dr. Heinz Presser gearbeitet. Presser wurde später Chefarzt am Köthener Krankenhaus. 1969 verstarb er bei einem Unglücksfall.
"Mit dem Koffer voller Geld sind wir regelmäßig mit dem Bus nach Gröbzig gefahren"
1947 hat Brigitte Samuel ihren Mann Werner Fritsche geheiratet, der von Beruf Lokführer war. Ihr Traum war es, Zahntechnikerin zu werden. Doch daraus sei leider nichts geworden, erzählt sie. Nach ihrer Tätigkeit als Sprechstundenhilfe fing sie bei bei Sozialversicherung (SVK) der DDR in der Köthener Weintraubenstraße an. An jedem ersten bis vierten eines Monats zahlte sie die Rente an Bürger im Landkreis Köthen aus. Damals gab es das Geld noch bar auf die Hand. Die Überweisung auf ein Konto, wie das nach der Wende für jeden Bürger zur Pflicht wurde, war damals noch nicht üblich. Also fuhren Fritsche und ihre Kolleginnen auch über Land. „Mit dem Koffer voller Geld sind wir zum Beispiel regelmäßig mit dem Bus nach Gröbzig gefahren“, erzählt sie. Das sei heute kaum vorstellbar. Damals habe man sich aber nichts weiter dabei gedacht. Die Rente wurde im Gröbziger Bürgermeisteramt ausgezahlt. Bis zur politischen Wende hat die Köthenerin bei der SVK in Köthen gearbeitet. Ihren Lebensabend verbringt die Brigitte Fritsche im Awo-Seniorenheim „Haus Sonne“ in der Anhaltischen Straße, wo sie seit dem Frühjahr 2013 lebt.
