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Einladung von Kegelclub Einladung von Kegelclub: So reisten Köthener Schüler nach Mauerfall erstmals in die BRD

Von Matthias Bartl 07.10.2019, 12:42
Gruppenbild von der Reise nach Iserlohn: Für Lehrer wie Schüler war die Fahrt auf Einladung des Kegelclubs „Hölzchen“ ein Erlebnis.
Gruppenbild von der Reise nach Iserlohn: Für Lehrer wie Schüler war die Fahrt auf Einladung des Kegelclubs „Hölzchen“ ein Erlebnis. Huhnholz

Köthen - Auch wenn die Geschichte schon fast 30 Jahre zurückliegt, ist Manfred Huhnholz davon immer noch berührt. „Da war so viel Freundlichkeit, so viel Unterstützung“, sagt der 76-Jährige, der in Köthen vor allem als Handwerksmeister bekannt ist, der als Ofenbauer manchem eine warme Stube verschafft hat. Die Episode aus der Wendezeit jedoch, an die sich Huhnholz heute noch mit Dankbarkeit erinnert, hatte nichts oder nur wenig mit seiner Profession zu tun – dafür aber viel mit Schülern, mit Lehrern und mit einer in die Jugendzeit zurückreichenden Freundschaft.

Die Manfred Huhnholz mit Günter Glauch verbindet. Glauchs Familie führte vor Jahrzehnten eine Drogerie in der Leipziger Straße, wo auch Huhnholz’ Vorfahren ihre Firma hatten. Günter Glauch war lange vor dem Mauerbau in den Westen Deutschlands gegangen, hatte in Iserlohn eine Apotheke betrieben, war in der Stadt im Sauerland zu einer bekannten Persönlichkeit geworden.

„Und wir haben auch in DDR-Zeiten immer Kontakt gehalten“, sagt Manfred Huhnholz. Der sich daher auch nicht wunderte, als er kurz nach dem Fall der Mauer einen Anruf von seinem alten Freund bekam. Das Thema, um das es dabei ging, war aber schon ungewöhnlich: Glauch, der Mitglied im Iserlohner Kegelclub „Hölzchen“ war, unterbreitete das Angebot, dass der Verein, in dem zahlreiche Honoratioren der Stadt Mitglied waren, gern eine Schulklasse nach Iserlohn einladen würde, „damit die Schüler die Bundesrepublik besser kennenlernen könnten“. Es sollten Schüler aus der 9. oder 10. Klasse sein, so Huhnholz.

Für eine Schülerreise den Namen der Schule Völkerfreundschaft wörtlich genommen

Da traf es sich gut, dass Huhnholz’ Frau Elke selbst als Lehrerin an der damaligen POS „Völkerfreundschaft“ arbeitete und deren Direktor Gerhard Wawrzyniak für den Vorschlag aus Iserlohn gewinnen konnte. Die Intentionen des Besuchs hatte Glauch in einem Brief den DDR-Oberstudienrat noch einmal klar unterstrichen: „Gerade der Name Ihrer Schule verpflichtet uns alle nicht nur über Völkerfreundschaft zu sprechen, sondern mit dem Kennen und Erleben im eigenen deutschen Volk aus dem Inneren zu beginnen und praktizieren. Nur aus der Souveränität und Selbstsicherheit des eigenen Volkes kann schließlich die völkerverbindende Freundschaft nach außen getragen werden.“

Die Vorbereitungen für den Besuch, die Vorbereitungen des umfassenden Programms, zogen sich dann zwar noch einige Monate hin, aber am 12. Mai 1990 war es dann soweit: Mehr als 20 Kinder und vier Erwachsene setzten sich in Köthen in den D446 und fuhren über Schwerte nach Bestwig, wo die Gäste aus Köthen im Freizeitpark „Fort Fun“ - dessen Teilhaber einer der Kegler war - kostenloses Quartier für die nächsten Tage fanden. Eine Woche blieb man in Iserlohn und Umgebung, „wir sind wirklich von allen Seiten regelrecht begeistert empfangen worden und mussten uns um nichts kümmern“.

Jeder der Schüler habe von den Gastgebern in Iserloh Geld zur eigenen Verfügung bekommen

Auch nicht um die Finanzierung des Besuchs, der ja zu einer Zeit erfolgte, als im Osten noch die DDR-Mark galt (offiziell wenigstens) und die meisten ihr Begrüßungsgeld schon angelegt hatten – mehr oder weniger sinnvoll. „Wir haben nicht einen Pfennig bezahlen müssen“, sagt der Köthener Huhnholz.

Mehr noch: Jeder der Schüler habe von den Gastgebern auch noch Geld zur eigenen Verfügung bekommen, „30 oder 50 Mark pro Kopf, ich weiß es nicht mehr genau“. Jeder Schüler konnte individuell entscheiden, wofür er das Geld ausgab. „McDonalds oder Chinese oder gespart – wir wissen es nicht“, sagt Elke Huhnholz. Was sie aber noch genau weiß, ist, wie beeindruckt die Erwachsenen vom Westen waren – besonders Direktor Wawrzyniak, der auch mitgefahren war, habe sich völlig erschlagen gezeigt; auch von den offenen Armen, mit denen man empfangen worden sei.

Tatsächlich wurden die zwei Dutzend Köthener „wie Staatsgäste behandelt“. Ein Empfang im Rathaus gehörte ebenso zum Programm wie ein Abstecher nach Bonn, wo man den Bundestag besuchte sowie das Bundespresseamt und in der Vertretung des Landes Nordrhein-Westfalen durch Bundesratsminister Günter Einert begrüßt wurde.

Unvergesslich sei auch die Schifffahrt auf dem Rhein geblieben

Unvergesslich sei auch die Schifffahrt auf dem Rhein geblieben – und für den Handwerker Huhnholz die Besichtigung des Berufsschulzentrums in Iserlohn, wo verschiedene Handwerksberufe ausgebildet wurden. „Das war eine hochmoderne Einrichtung, wie wir sie noch nicht gesehen hatten, mit unzähligen theoretischen und praktischen Möglichkeiten.“

Die Schüler, die ja teilweise vor dem Schritt in die Lehre standen, erhielten hier wertvolle Informationen über den Weg ins Berufsleben auf der westlichen Seite Deutschlands, der bald auch für den Osten Gültigkeit erhalten würde. Und natürlich war das Besuchsprogramm nicht nur informativ und lehrreich, sondern auch unterhaltend – vom Erlebnistag im Freizeitpark bis zum Besuch eines Schaubergwerks und zum gemeinsamen Kegelabend. Besonders bemerkenswert sei auch gewesen, dass man einen Teil der Zeit in Iserlohn in der Truppendienstlichen Fachschule der Hülsmann-Kaserne übernachtet habe, sagt Manfred Huhnholz. Das sei wohl das erste Mal gewesen, dass DDR-Bürger in der Bundeswehr-Kaserne schlafen durften. „Und ein Schreiben vom damaligen Verteidigungsminister Stoltenberg gab es dazu auch.“

„Es stand buchstäblich jeden Tag ein Artikel über uns in der Iserlohner Kreiszeitung“

Ohnehin war der Besuch der Köthener in Iserlohn eine Angelegenheit, die großes öffentliches Interesse hervorgerufen habe. „Es stand buchstäblich jeden Tag ein Artikel über uns in der Iserlohner Kreiszeitung“, sagt Manfred Huhnholz, der sich viele der Beiträge bis heute aufgehoben hat.

In Köthen dagegen sei der Besuch in Iserlohn überhaupt nicht erwähnt worden – und ein wenig will der Ofenbaumeister im Ruhestand dieses Manko mit dem Gespräch fast 30 Jahre später wenigstens ein bisschen ausgleichen. „Wie gesagt, es war eine beeindruckende Woche“, sagt er - beeindruckend durch den materiellen Glanz des Westens, den die Besucher so noch nicht erlebt hatten. Noch beeindruckender sei aber gewesen, „wie man uns mit offenen Armen empfangen und alles mit uns geteilt hat, obwohl das für alle ja irgendwie exotisch war, obwohl wir ja in der deutlichen Mehrheit Fremde waren.“

Nur eben sein Kontakt mit Günter Glauch habe zuvor schon bestanden und er besteht auch heute noch. Der frühere Inhaber der Turmapotheke in Iserlohn, „der alles 100-prozentig perfekt organisiert hat“, ist mittlerweile 86 Jahre alt – und denkt genauso gern wie Manfred Huhnholz an die Woche im Mai 1990 zurück. (mz)

Artikel in einer Iserlohner Zeitung.
Artikel in einer Iserlohner Zeitung.
Iserlohner Kreisanzeiger und Zeitung