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Ein halbes Jahrhundert im Betrieb

Von CLAUS BLUMSTENGEL 22.07.2009, 17:11

AKEN/MZ. - Auch Spät- und Nachtschicht fallen für ihn dann aus. 50 Jahre lang hat er im gleichen Betrieb gearbeitet, was heute nicht nur bei Woodward Governor in Aken, sondern deutschlandweit etwas Besonderes sein dürfte. Am Dienstag wurde der Spitzendreher Horst Strätz 65 Jahre alt und geht im August in Rente.

Ein Drittel über 50

"Derzeit ist etwa ein Drittel unserer Belegschaft 50 Jahre und älter", informiert die Leiterin der Personalabteilung von Woodward Governor Germany, Dagmar Neuhäuser. "Wir legen großen Wert auf einen Altersmix", betont sie. Bei der Besetzung offener Positionen sei vor allem wichtig, dass der Mitarbeiter oder die Mitarbeiterin die notwendigen Kenntnisse, Qualifikationen und persönlichen Voraussetzungen mitbringt. "Kommen dann noch einschlägige Berufserfahrungen dazu, um so besser!", stellt die Personalchefin fest. "Die ,alten Hasen' unserer Stammbelegschaft geben gern ihre beruflichen Erfahrungen weiter, indem sie neue Kollegen anlernen und coachen. Wertvolles betriebliches Know-how wird so auch an Azubis vermittelt."

Dieses Engagement würdigt der Woodward-Konzern übrigens weltweit mit Präsenten, die sich langjährige Mitarbeiter bei runden Jubiläen aus einem Katalog aussuchen können. Horst Strätz wurde wie alle Mitarbeiter mit über 25-jähriger Betriebszugehörigkeit außerdem in einer Belegschaftsversammlung geehrt.

Nach der 8. Klasse - die Zehnklassenschule wurde gerade erst eingeführt - hat Horst Strätz 1959 seine Lehrausbildung zum Spitzendreher im damaligen VEB Einspritzgerätewerk Aken begonnen, wie 30 weitere Jungen aus seiner Schule. Mit 880 Beschäftigten war das Werk damals ein recht großer Betrieb. Seinem Vater, der eine Kfz-Werkstatt leitete, war der Berufswunsch des Sohnes recht. "Da bist du wenigstens nicht bei Wind und Wetter draußen, wie auf dem Bau", meinte er.

Bubenstreiche? So recht fällt Horst Strätz dazu nichts ein. "Ich war eigentlich immer strebsam, es war eben eine andere Zeit", blickt er zurück. Eines vor allem blieb ihm von der Lehre im Gedächtnis: Es ging streng zu. Von Präzisionsdrehern werde eine Genauigkeit bis zu einem Hundertstel Millimeter gefordert, erklärt Strätz. Deshalb

habe sein damaliger Lehrobermeister Fritz Junge auch großen Wert auf Ordnung und Disziplin gelegt, um seine Lehrlinge auf den künftigen Beruf vorzubereiten. "Wir haben alles von der Pike auf gelernt - sogar den Drehstahl von Hand zu schmieden und die Werkzeuge zu schärfen", berichtet der angehende Rentner. "Diese Genauigkeit verfolgt mich bis zum letzten Tag", meint der Dreher. "Auch zu Hause ist er sehr genau und ordentlich und verlangt das auch von anderen", bestätigt Ehefrau Roswitha, mit der Horst Strätz seit 44 Jahren verheiratet ist und Tochter Kathrin sowie Sohn Kay großgezogen hat.

Sein Berufswunsch hatte sich als richtig erwiesen. An der Drehmaschine war Horst Strätz in seinem Element. Und er ist auch ein wenig stolz darauf, dass die Teile, die er fertigte, in Dieselmotoren von Lokomotiven und Schiffen in aller Welt zuverlässig ihren Dienst verrichten. 500 DDR-Mark verdiente er am Anfang im Monat, später 700.

Als das Einspritzgerätewerk Anfang der 70er Jahre computergesteuerte Werkzeugmaschinen (CNC) einführte, ließ sich Horst Strätz dafür weiterbilden und hat dann bis 1995 zwei Bearbeitungszentren bedient. Seitdem steht er - ebenfalls in drei Schichten - an der Drehmaschine. Die Schichten hätten ihm all die Jahre nichts ausgemacht, sagt er. "Ich bin Familienmensch und konnte mich so oft auch tagsüber um Frau und Kinder kümmern", erklärt er. Ehefrau Roswitha hat als Friseurin gearbeitet, wechselte dann ins Einspritzgerätewerk, wo sie bis zur Wende gemeinsam mit ihrem Mann tätig war. Sohn Kay hat im gleichen Unternehmen gelernt wie sein Vater und arbeitet dort heute als Schleifer.

Viel Glück gehabt

Die Wende brachte für die Beschäftigten des Einspritzgerätewerkes große Unsicherheit. Absatzmärkte in Osteuropa waren weggebrochen. Die Aufträge gingen drastisch zurück. Hunderte Mitarbeiter wurden entlassen - für die Kleinstadt Aken ein Schock. "Sie haben viele gute Leute entlassen", erinnert sich Strätz an die bedrückende Situation. Warum gerade er unter den 86 Mitarbeitern war, die damals bleiben durften, weiß Horst Strätz nicht. "Ich habe vielleicht einfach nur Glück gehabt", rätselt er.

1993 hat die amerikanische Woodward Governor Company das Einspritzgerätewerk Aken übernommen. Die Woodward Governor Germany GmbH mit Sitz in Aken hat heute 295 Beschäftigte.

Von seinem Ruhestand hat der künftige Rentner Horst Strätz klare Vorstellungen: Die drei Enkel würden ihn schon auf Trab halten. Am Haus gebe es für den handwerklich versierten Mann auch immer etwas zu tun. Und dann werde er sich bestimmt wieder mehr mit seinem Hobby - ferngesteuerten Rennbooten - beschäftigen. Vor vielen Jahren hatte ihn sein Sohn Kay darauf gebracht. Der hatte mit seinen Rennmodellen sogar an einer Weltmeisterschaft teilgenommen, und Vater Horst war DDR-Vizemeister.

Vor einigen Tagen hat Horst Strätz in "seinem Betrieb" Erinnerungsfotos machen lassen. Da steht er an seiner vertrauten Drehmaschine. Auch sein Meister Lothar Knopf, der in dem amerikanischen Unternehmen heute Supervisor genannt wird, ist zu sehen. "40 Jahre haben wir zusammen gearbeitet", sagt Horst Strätz, als er das Foto in den Händen hält, und mag das selbst kaum glauben.