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„Manchmal soll es so sein“ Das Lindencafé von Susan Tietz in Köthen ist seit diesem Wochenende Geschichte

Susan Tietz öffnete ihr Lindencafé in Köthen an diesem Wochenende zum letzten Mal und gibt ihre Selbstständigkeit auf - eine Folge der Corona-Pandemie.

Von Sylke Hermann Aktualisiert: 31.05.2021, 15:38
Susan Tietz gibt auf und schließt am Sonntag die Türen ihres Cafés zu.
Susan Tietz gibt auf und schließt am Sonntag die Türen ihres Cafés zu. (Foto: Sylke Hermann)

Köthen - Das Herz schlägt so schnell, dass es ihr fast schon Angst macht. Die Gedanken kreisen. Ihr ist schlecht. Seit Tagen begleitet sie dieses flaue Gefühl in der Magengegend. „Natürlich ist da Wehmut, ganz viel sogar.“ Trotzdem: Susan Tietz schließt am Sonntag die Türen ihres Lindencafés in Köthen zu. Ein Schritt, der ihr unendlich schwerfällt. Eine Entscheidung, von der sie hofft, dass sie richtig ist.

Vor 17 Jahren übernimmt sie das kleine Café, in dem sie zuvor schon ein paar Jahre gearbeitet hatte. Sie ist euphorisch, voller Tatendrang. Das Lindencafé ist „ihr Baby“. Es habe sich immer gut angefühlt, sich hier verwirklichen zu können. „Das war meine Existenz.“

Susan Tietz ist keine gelernte Bäckerin oder Konditorin

Sie ist keine gelernte Bäckerin oder Konditorin. Sie nimmt sich das Handwerk an, stöbert in Büchern und Zeitschriften nach leckeren Ideen, lernt schnell und probiert viel aus. Den Gästen gefällt’s - und vor allem schmeckt es ihnen. „Ich backe wirklich sehr, sehr gerne.“

Zu den Klassikern gehört ihre Stachelbeer-Baiser-Torte. Das Rezept ist aus einem Buch, das ihr Petra Mädge, mit der sie bis zum Frühjahr dieses Jahres im Café zusammenarbeitet, ganz am Anfang geschenkt habe. Susan Tietz zeigt durchaus Respekt vor dieser Herausforderung. „Ich hatte keine Ahnung, wie das funktionieren soll“, zweifelt sie. Inzwischen, möchte man meinen, bäckt sie Baiser-Torten fast im Schlaf. „Die sind der Renner.“ Ihr persönlicher Favorit: die Variante mit roten Johannisbeeren. Trotz der Sahne, die zu einer Baiser-Torte einfach dazugehört. Die Gastronomin mag eigentlich keine Sahne.

Ihr fehle der Mut, daran zu glauben, dass der Aufwärtstrend anhält

Keine Frage, dass es an diesem Wochenende im Lindencafé auch Stachelbeer-Baiser-Torte gibt. Allerdings nur im Außerhausverkauf. Nicht einmal auf der Terrasse der kleinen Lokalität in der Lindenstraße dürfen die Gäste bei ihr Platz nehmen. „Ich hätte dort zweieinhalb Tische“, sagt sie scherzhaft. Das rechne sich einfach nicht.

Obwohl die Gastwirte - dank des Modellversuches in Anhalt-Bitterfeld, wo die Sieben-Tage-Inzidenz inzwischen auf einem sehr niedrigen Niveau liegt - seit gut einer Woche auch ihre Innenräume wieder aufsperren dürften, sofern sie das angemeldet haben, wird Susan Tietz von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch mehr machen. Ihr fehle der Mut, daran zu glauben, dass der Aufwärtstrend anhält. Dass die Normalität tatsächlich zurückkommt.

„Mein Optimismus ist einfach mehr und mehr verloren gegangen“

Außerdem wäre sie gar nicht in der Lage, all die Anforderungen, die an die Öffnung von Lokalen geknüpft sind, zu erfüllen. Schon aus rein organisatorischen Gründen ginge das nicht. Sie ist allein im Café, ihre Mitarbeiterin seit März im Ruhestand.

Und sie müsste sich jeden einzelnen Test zeigen lassen oder beaufsichtigen, den Impfstatus erfragen und kontrollieren, genauso bei den Genesenen. Hinzu käme die Datenerfassung. Gleichzeitig müsste sie sich aber auch um den Café-Betrieb kümmern. „Das schafft man nicht alleine. Ich könnte meinen Gästen gar nicht gerecht werden“, ist sie überzeugt.

„Mein Optimismus“, sagt sie, „ist einfach mehr und mehr verloren gegangen.“ Erst kaum spürbar, doch irgendwann sind die Zweifel dann immer präsenter. Wirtschaftlich seien die vergangenen Monate „eine Katastrophe“ gewesen.

Sie freue sich auch auf den Neuanfang, den sie nun mit Anfang 50 wagt

Als sie ihr Café im Frühjahr 2020 für neun Wochen zumachen muss, sei ihr das schon „wie eine halbe Ewigkeit“ vorgekommen; „jetzt sind es sieben Monate“. Und niemand könne mit Gewissheit sagen, dass im Herbst nicht die nächste Corona-Welle über das Land schwappt und den Gastronomen wieder die Arbeitsgrundlage entzogen wird. Sie fürchtet sich vor diesem Szenario. „Ich möchte einfach nicht mehr mit dieser Ungewissheit leben“, begründet sie ihren Entschluss, jetzt die Selbstständigkeit an den Nagel zu hängen und „ihr Baby“ aufzugeben.

„Natürlich fällt mir diese Entscheidung nicht leicht“, sagt sie. „Das war nicht nur ein Café. Das war für viele Menschen ein Treffpunkt, hier haben sich Freundschaften entwickelt. Ich bin sehr dankbar für diese Zeit.“ Doch sie freue sich auch auf den Neuanfang, den sie nun mit Anfang 50 wagt. Sie wird in einer Köthener Traditionsbäckerei arbeiten - im Verkauf und bei Bedarf auch in der Backstube. „Das war wie ein Sechser im Lotto, dass ich dieses Stellenangebot gesehen habe.“ Und sie ist der Meinung: „Manchmal soll es so sein.“ (mz)