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Bogenbauer aus Aken Bogenbauer aus Aken: Tischlermeister bietet Replikate in ganz Europa an

Von claus Blumstengel 15.05.2013, 18:20
Thomas Roye probiert einen neuen Bogen aus.
Thomas Roye probiert einen neuen Bogen aus. Heiko Rebsch Lizenz

Aken/MZ - Zu denen, die besonders sehnsüchtig darauf gewartet haben, dass die Temperaturen endlich dauerhaft über null Grad steigen, gehört zweifellos Tischlermeister Thomas Roye aus Aken.

Ostermarkt im Schnee

Warum eigentlich? Ein Tischler arbeitet doch für gewöhnlich in seiner warmen Werkstatt. Auch Thomas Roye hat natürlich eine, im ehemaligen Forsthaus Olberg in der Dessauer Landstraße. Doch Roye ist ein besonderer Tischler und oft im Freien anzutreffen, auf Mittelalter-Märkten in ganz Deutschland, in Polen, Frankreich, Holland und Belgien, wo er gedrechselte Schalen, Teller, hölzerne Übungsdolche, Tabakpfeifen und seine Spezialität - Pfeile und Bogen - anbietet. Aber wenn dann ein Ostermarkt wie der vorige im Kloster Chorin zu einem Wintermarkt mutiert, so ist das für die Handwerker und Darsteller ein hartes Brot. „Fünf Tage lang fiel Schnee und statt 16 000 Besuchern wie sonst kamen nur 6 000“, bedauert der Tischlermeister. Umso mehr freut er sich nun auf die etwa 25 Märkte, auf denen er in diesem Jahr noch seinen Stand aufbauen wird.

Wer seine Werkstatt betritt, dem fallen zuerst die Regale mit unzähligen Werkzeugen auf, die man eher in einem Museum als in einer heutigen Tischlerei vermuten würde: Zieheisen, Stecheisen, 60 verschiedene Hobel, Schraubzwingen, eine Böttgerfügebank, Tischleräxte, Breitbeile ...

Dabei hat Thomas Roye in Dessau einmal Bautischler gelernt, hat mit Maschinen Fenster, Türen und Treppen angefertigt. In diesem Fach hat er auch seinen Meister gemacht und wurde bald Lehrausbilder. „Da konnte ich endlich wieder etwas von Hand bauen“, erzählt er. Lehrlinge lernen ihr Handwerk schließlich von der Pike auf. Gleich nach der Wende erwarb er noch den Abschluss als Handwerksmeister und wurde 2005 Lehrausbilder für Lernbehinderte. Hier entdeckte er seine Vorliebe für kunstvoll gedrechselte Holzarbeiten und alte Techniken. „Ich musste mir ja immer etwas Interessantes einfallen lassen, um meine Lehrlinge für diesen Beruf zu begeistern“, blickt der Tischlermeister zurück. Da kam ihm sein Interesse an mittelalterlicher Tischlerei zugute. Das hatte er schon 1987 bei der 750-Jahr-Feier von Dessau entdeckt, als er das erste Mal in seinem Leben einen Mittelaltermarkt erlebte.

Bald schaffte er sich eine Tret-Drechselbank an. Und als nach der Wende in der Dessauer Marienkirche der kunsthandwerkliche Weihnachtsmarkt ins Leben gerufen wurde, war Thomas Roye mit dabei. In Geschichtsbüchern, in Museen und auf Mittelaltermärkten holte er sich Anregungen, besuchte Drechselkurse im Erzgebirge und in Österreich und baute nach historischen Vorbildern Pavese und Tartsche (Holz-Schilde), Schalen und anderen hölzernen Hausrat, die sowohl bei den Besuchern, als auch unter den Händlern ihre Käufer fanden. Oft darf er in Museen Exponate vermessen und revanchiert sich dafür mit einem originalgetreuen Replikat (Nachbau).

Zu seiner heutigen Spezialität - dem Bogenbau - kam Roye nach dem Hochwasser 2002. Da waren im überschwemmten Luisium etwa 100 Eiben eingegangen. Der Tischlermeister kaufte das preiswerte Holz - und überlegte erst anschließend, was man denn daraus machen könnte. Aus Eibe werden Bogen gebaut, erfuhr er und ging flugs nochmal in die Lehre - diesmal bei einem Bogenbauer.

Mit seinem damals noch nebenbei ausgeübten Handwerk wurde Thomas Roye derart erfolgreich, dass er Ende 2005 den Schritt in die Selbstständigkeit wagte. Der heute 52-Jährige kaufte das ehemalige Forsthaus Olberg in Aken, das schon zwei Jahre leer gestanden hatte und arg heruntergekommen war.

Heute findet er für seine Pfeile und die um die zwei Meter langen Bogen Abnehmer unter Mittelalterfans in ganz Deutschland. Immerhin gibt es jedes Jahr zehn bundesweite Turniere im traditionellen Bogenschießen. „Seit 40 Jahren ist das Interesse daran ungebrochen“, weiß Thomas Roye.

Kein Bogen verlässt seine Werkstatt, ohne dass er mit ihm selbst geschossen hat. Auch die mit Gänse- oder Truthahnfedern ausgestatteten Pfeile sucht er für jeden Bogen sorgfältig aus.

Zwischen den Mittelaltermärkten restauriert Roye historische Türen und Möbel, und hat gerade nach einem Fund in einen Grab den Stuhl eines Königs originalgetreu nachgebaut.

Doch der Lehrmeister in ihm lässt sich nicht gänzlich verdrängen. So leitet Thomas Roye an der Kreisvolkshochschule in Dessau Kurse im Bogenbauen. Der nächste beginnt im Mai. Auch in Köthen und Bernburg möchte er das anbieten.

Schritt nicht bereut

Den Schritt in die Selbstständigkeit hat er nicht bereut. Klar, als Bautischler habe man ein geregeltes Einkommen und sei vom Wetter unabhängig, blickt Roye zurück. „Aber jetzt habe ich meine Freiheit. Die Bedingung: Ich muss etwas tun und mich rühren.“ Für seine Kunden müsse er sich immer wieder Neues einfallen lassen, Geschichtsbücher wälzen und ständig weiter lernen. „Und ich lerne auf den Märkten viele interessante Leute kennen, habe inzwischen Freunde in ganz Deutschland“, schwärmt Thomas Roye von seinem Beruf. Seinen Sohn Matthias hat er längst mit seiner Leidenschaft für Holz angesteckt. Der ist - natürlich - auch Tischler.