Besuch bei unbekannten Bekannten
KÖTHEN/MZ. - 120 Besucher hatten sich dazu am Samstagmorgen auf dem Friedhof in der Maxdorfer Straße eingefunden.
"Es hat sich einiges getan", begrüßte Stadtführer Bernd Westphal die Besucher und verwies auf die bisherigen Sanierungsarbeiten an den alten Grabstätten. Die nötigen finanziellen Mittel flossen aus dem Erlös der Begleithefte zu den Rundgängen. Im vergangenen Jahr waren 1120 Euro zusammengekommen. "Wir haben etwas bewegt", freute sich der Stadtführer. Auch dieses Mal konnten die Gäste eine Verschriftlichung der Vorträge für drei Euro erwerben.
Bernd Westphal hob hervor, dass die Friedhofsführungen ein wichtiger Beitrag seien, um die historisch wertvollen Grabstätten und die darin bestatteten Persönlichkeiten vor dem Vergessen zu bewahren. Monatelang hatten Stadtführer und Mitarbeiter des Stadtarchives recherchiert, um den Teilnehmern der Friedhofsführung einen Rundgang mit allerhand Wissenswertem zu bieten. Im Mittelpunkt standen Hoteliers, Handwerker, Kaufleute und Künstler aus der Bachstadt.
"Hier ist ein Beispiel dafür, dass sich einiges auf dem Friedhof getan hat", bemerkte Simone Scholdra vom Verein für Anhaltische Landeskunde und deutete auf das Grab der Familie von Wülcknitz. Eigentlich habe sie ihre Ausführungen damit beginnen wollen, dass die Stätte einer dringenden Säuberung bedürfe. Mittlerweile ist das Grab jedoch von Unkraut befreit.
Bei der Familie von Wülcknitz handelt es sich um ein altadliges anhaltisches Geschlecht. Über ihren Stammsitz in Groß- und Kleinwülknitz hinaus besaßen sie Güter in der Mark Brandenburg. Die männlichen Familienmitglieder dienten im preußischen Heer. Adalbert von Wülcknitz (1820-1917) war königlich preußischer Oberst und Rittergutsbesitzer in Bernburg. Sein Vater Hans Georg von Wülknitz (1775-1846) war Major in der preußischen Armee.
Eine weitere Station des zweistündigen Rundganges war das Grab des Zigarrenfabrikanten Friedrich Westram (1837-1913). "Anfang des 19. Jahrhunderts gehörte die Zigarrenherstellung zu den bedeutendsten Köthener Industriezweigen", erläuterte Matthias Freundel, Mitglied im Verein für Anhaltische Landeskunde. 1862 hatte Friedrich Westram mit der Zigarrenfabrikation und dem Großhandel mit Zigarren, Streichhölzern, Rauch-, Kau- sowie Schnupftabak begonnen. Das Absatzgebiet des Fabrikanten erstreckte sich über das gesamte Kaiserreich, wie Westram selbst immer wieder stolz betont hatte.
Die Zigarrenfabrik befand sich zunächst in der Leipziger Straße 4, später dann in der Leipziger Straße 33. Nach dem Tod von Friedrich Westram übernahmen dessen Söhne Otto und Arno die Firma, konnten aber nicht an den wirtschaftlichen Erfolg ihres Vaters anknüpfen. Die Zeit war von Inflation und Nachkriegswirren geprägt. Das Konkursverfahren des Unternehmens zog sich von 1926 bis 1932. Alle Rettungsversuche scheiterten. 1933 wurde die Firma Westram aufgelöst.
Einem seinerzeit bedeutenden Unternehmen stand auch Friedrich Thriesethau (1832-1884) vor. Er gründete die Mälzerei "Thriesethau & Comp.", die 1875 ihren Betrieb auf dem Industriegelände "An der Eisenbahn" aufnahm. Als Firmenpartner holte sich Thriesethau verschiedene Unternehmer mit ins Boot. Zu Beginn waren vier Angestellte in der Mälzerei beschäftigt. Der geschäftliche Erfolg zwang zur personellen und räumlichen Expansion. Weitere Mitarbeiter wurden eingestellt, neue Grundstücke erworben und bebaut.
Auch wenn das Unternehmen mit der jährlichen Verarbeitungskapazität der Mälzerei Wrede nicht mithalten konnte, genügte es, um wirtschaftlich zu arbeiten. 1910 wurden 10 000 Zentner Gerste verarbeitet. Im Folgejahr war es drei Mal so viel. Die Qualität des erzeugten Malzes war ausgezeichnet. Nach dem Tod von Friedrich Thriesethau wurde das Unternehmen verkauft. Später fiel die Mälzerei einem Brand zum Opfer und musste abgerissen werden.
"Es gibt noch genug, um Sie nächstes Jahr wieder hierher zu locken", verabschiedete sich Bernd Westphal von den Besuchern. Über das rege Interesse der Leute an der Geschichte war er auch dieses Mal sehr erfreut. Für das kommende Jahr planen die Mitglieder des Vereins für Anhaltische Landeskunde erneut eine Friedhofsführung. Gitta Westphal will sich das nicht entgehen lassen. "Es ist sehr interessant", lobte sie.