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Geld für Duschen vor TV-Bericht freigegeben Besuch bei Familie Ritter in Köthen: Gelder für Duschen vor Stern-TV-Bericht freigegeben

Von Matthias Bartl und Steffen Brachert 12.10.2017, 08:04
Anfang 2016 gab es in der Obdachlosenunterkunft eine Reinigungsaktion von freiwilligen Helfern. Schon damals gab es viel zu tun, um „Grund“ in einige der Wohnräume zu bringen. Inzwischen sind viele Zimmer „verwohnt“.
Anfang 2016 gab es in der Obdachlosenunterkunft eine Reinigungsaktion von freiwilligen Helfern. Schon damals gab es viel zu tun, um „Grund“ in einige der Wohnräume zu bringen. Inzwischen sind viele Zimmer „verwohnt“. Heiko Rebsch

Köthen - Fast wären beide Termine zeitlich zusammengefallen: Der fast schon obligatorische Besuch von Stern TV bei der Köthener Familie Ritter in der Obdachlosenunterkunft der Stadt - und die Sitzung des Stadtrates, auf der beschlossen wurde, die Haushaltsmittel für bauliche Verbesserungen an ebendieser Unterkunft freizugeben.

Der Stadtrat hat dies am 26. September erledigt - 160.000 Euro stehen damit zur Verfügung. Stern TV hat am Mittwochabend vergangener Woche mal wieder über die Ritters berichtet und das Thema diskutieren lassen.

Ein Knackpunkt dabei: Warum hat es seit dem letzten Besuch keine Besserung hinsichtlich der Unterbringung gegeben? Die Debatte darüber und über die Familie allgemein setzte sich anschließend im Internet fort. Die Schwankungsbreiten liegen zwischen Abscheu und Mitleid.

Stadtverwaltung Köthen bei Familie Ritter nicht gut angesehen

Karin Ritter, inzwischen 63 Jahre alt und Mutter von sechs Kindern, fordert in dem fast 13 Minuten langen Bericht eine neue Wohnung. Sie habe keine Mietschulden. „Warum kriege ich keine Wohnung?“ Stern TV schaute sich für die Reportage wieder ausgiebig in der reichlich verwahrlosten Köthener Obdachlosenunterkunft in der Augustenstraße um, sprach auch mit zwei anderen Bewohnern.

Deutlich wurde in dem Beitrag auch, dass die Stadtverwaltung bei Ritters kein sonderlich großes Vertrauen zu genießen scheint. Ebenso deutlich war auch der Versuch der Reporterin, einen kleinen Skandal zu produzieren: Ritters wurden zu Asylbewerbern und zum Wahlergebnis befragt.

Familie Ritter in Köthen: CDU-Stadtrat Georg Heeg stellte sich den Fragen von Stern TV

Die Großfamilie lieferte verlässlich. Und vorhersehbar: Stern TV berichtet seit 23 Jahren über die Köthener Großfamilie - und damit über „einen Kreislauf aus Verwahrlosung, Alkoholsucht, Fremdenhass und krimineller Karriere“, wie der Sender selbst die Sendung unter der Überschrift „Chancenlos seit Generationen“ ankündigt. Bekannt wurden Ritters, weil schon die Kinder den Hitlergruß im Fernsehen zeigten, ihre Schlange nannte die Familie einst „Hitler“.

Die nach Deutschland gekommenen Flüchtlinge liefen 2015 unter der Rubrik „Viechzeug“. Dass laut Ritters bei der jüngsten Bundestagswahl „Ferkel“ gewählt wurde, überrascht nur noch Leute, die nicht das Kreuz hatten, dem Thema seit Jahren folgen zu müssen.

Bleibt die Frage nach dem, was Verwaltung und Stadtrat machen können. CDU-Fraktionschef Georg Heeg war - wie schon vor zwei Jahren - der einzige Stadtrat, der sich den Fragen der Stern TV stellte. Und auch freimütig zugab: „Ich selbst gehörte zu denen, die gesagt haben: Langsam. Schafft erst mal ein Konzept her, wie dieses Haus grundsätzlich geführt wird. Eine solche Untersuchung hat stattgefunden. Es hat Gespräche gegeben mit verschiedenen Betreibern.“

Familie Ritter in Köthen: Stadt sucht neuen Betreiber für die Obdachlosenunterkunft

Erfolglos, muss man hinzusetzen. Weder die Malteser noch zwei andere, in Köthen eher unbekannte interessierte Betreibern namens Campanet und Human Care konnten letzten Endes Angebote vorlegen, die für die Stadt akzeptabel gewesen wären - bisher jedenfalls. Die Stadt muss allein weitermachen.

Dabei hätte sich die Kommune den Ärger mit Sicherheit gern von der Backe geputzt. Mit der obdachlosen Familie gibt es seit mehr als zwei Jahrzehnten immer wieder Reibereien - und damit sind nicht die von Stern TV erwähnten 99 Polizeieinsätze allein in den zurückliegenden drei Jahren gemeint.

Was damit gemeint ist, lässt sich in dem umfangreichen Papier nachlesen, das die Verwaltung dem Stadtrat zur Hauptausschusssitzung vorgelegt hatte und in dem nicht nur die strategischen Zukunftsüberlegungen zu dem Objekt fixiert sind, sondern auch die Widrigkeiten nüchtern aufgelistet wurden.

Sauberkeit ist ein großes Problem in der Augustenstraße 63

Zum Beispiel, dass die Reinigung der Toiletten drei Mal in der Woche durch ein von der Stadt beauftragtes Unternehmen erfolgt. Dahingegen müssen Unterkünfte und Treppen von den Bewohnern selbst gereinigt werden. Das allerdings „erfolgt nur äußerst selten“, wird konstatiert.

Einige Unterkünfte in dem 2013 neu bezogenen Objekt seien „verwohnt“ - von Obdachlosigkeit bedrohte Personen in diese Unterkünfte einzuweisen, sei derzeit nicht zumutbar.

Wie es läuft, wird an anderer Stelle deutlich. Die Eingewiesenen sehen sich als Mieter und nicht als untergebrachte Obdachlose, hat die Stadt festgestellt. „Es werden Forderungen gestellt, die selbst ein Vermieter in einem Mietshaus nicht umsetzten kann oder muss“, etwa die Beschäftigung einer eingewiesenen Person als Hausmeister für das Objekt.

Familie Ritter in Köthen: Handwerker werden von Bewohnern der Obdachlosenunterkunft bedroht

Die zu zahlende Obdachlosengebühr werde als Miete bezeichnet - und als unverschämt hoch. Es komme immer wieder zu unerlaubter Tierhaltung. Rauchmelder werden entfernt und entsorgt. Altes Mobiliar werde auf Hof oder Gehweg entsorgt.

Städtisch gebundene Firmen, die mit Reparatur- und Ausbesserungsarbeiten beauftragt sind, werden verbal angegriffen oder bedroht. Einige Firmen betreten das Objekt nur noch in Begleitung eines Mitarbeiters des Ordnungsamtes.

Vor einigen Jahren sei es noch üblich gewesen, dass städtische Sachbearbeiter zwei- bis dreimal pro Woche in der Obdachlosenunterkunft nach dem Rechten gesehen haben. „Um die Polizei als Begleitschutz nicht übermäßig zu beanspruchen und aus Gründen des Eigenschutzes wird seit Jahren vermehrt auf diese regelmäßigen Kontrollen verzichtet.“

Wohnort von Familie Ritter in Köthen: Einbau von Duschen eine Forderung des Gesundheitsamtes des Landkreises

Unabhängig von all den Querelen weiß man auch in der Stadt, dass bauliche Veränderungen notwendig sind. Der Einbau der Duschen ist nicht zuletzt eine Forderung des Gesundheitsamtes des Landkreises. „Wir werden drei Duschen installieren“, sagt Baudezernentin Ina Rauer, „eine für Frauen, zwei für Männer.“

Sie geht davon aus, dass jetzt, wo die Mittel frei sind, die Einbauarbeiten in diesem Jahr ausgeschrieben werden, so dass der Einbau im ersten Halbjahr 2018 erfolgen wird. Mal schauen, wann Stern TV sich das ansieht ... (mz)

2013 war die Augustenstraße 63 als Unterkunft für Obdachlose hergerichtet worden. 110.000 Euro wurden in die Beseitigung von Brandschäden investiert, 22.000 Euro in die Zimmer. Das Foto zeigt Stadträte bei der Besichtigung nach Fertigstellung des Objektes.
2013 war die Augustenstraße 63 als Unterkunft für Obdachlose hergerichtet worden. 110.000 Euro wurden in die Beseitigung von Brandschäden investiert, 22.000 Euro in die Zimmer. Das Foto zeigt Stadträte bei der Besichtigung nach Fertigstellung des Objektes.
Heiko Rebsch