Anhalt-Bitterfeld Anhalt-Bitterfeld: Pension Hildebrandt ist ein Hotel für Pferde
merzien/MZ. - Aus der Straße der DSF (Deutsch-Sowjetische Freundschaft) nach links in die Straße der Thälmann-Pioniere abbiegen - und bald ist sie erreicht, die Pension Hildebrandt, das Merziener Hotel für Pferde. Betrieben wird sie von Arno Hildebrandt. Früher war der heute 59-Jährige selbst ein aktiver Pferdesportler, nahm an Turnieren teil.
Es ist 17 Uhr. Draußen ist es nasskalt. In der Pension - das ist ein länglicher Stall mit einem breiten Gang und Boxen links und rechts - ist es ebenfalls kalt, aber trocken und gemütlich. Die Luft riecht leicht nach Pferdedung. Es ist aber nicht unangenehm, zumal auch noch eine Duftnote vom frischen Heu deutlich wahrzunehmen ist.
Arno Hildebrandt ist ein gelernter Dreher, war zu DDR-Zeiten bei Drehmaschinen Köthen tätig. Nach der Wende ereilte ihn das gleiche Schicksal wie viele andere Ossis: Betrieb dicht, arbeitslos. Jammern, resignieren? Hildebrandt tat es nicht, sondern beschloss, sein Hobby, Pferde, zu seinem Beruf zu machen.
Wie der Zufall es wollte, stand just zu dieser Zeit der Hof der ehemaligen LPG zum Verkauf. Die Treuhand forderte Interessenten zur Abgabe von Geboten auf. "Sechs Bewerber gab es, darunter auch Wessis", erinnert sich Hildebrandt. Sein Gebot war nicht das höchste. Doch er bekam den Hof, weil sein Konzept, hier eine Pferdepension zu eröffnen, die Treuhand überzeugt habe. Rund 70 000 Quadratmeter groß ist der Hof, plus weitere 25 Hektar Grünfläche, auf der Heu geerntet wird.
Rund 30 Tiere werden gegenwärtig in der Pension rund um die Uhr betreut. Vor allem von Pferdeliebhabern, die einen Beruf ausüben und sich nur in der Freizeit um ihr Pferd kümmern können. Oder privat keine räumliche Möglichkeit haben, ein Pferd zu halten. 180 Euro pro Monat zahlen sie dafür, für neue Kunden erhöht Arno Hildebrandt den Preis jetzt auf 200 Euro. In der Pension ist noch Platz.
Aber auch eigene Pferde der Familie Hildebrandt stehen hier. Immerhin ist der Sohn Jens (29) ein aktiver Pferdesportler, nimmt oft an Turnieren in der Region und darüber hinaus teil. Jens und seine Sandra (26), ebenfalls eine Pferdebegeisterte, helfen im Stall mit. Arno Hildebrandt nennt sie Schwiegertochter, obwohl Jens und Sandra noch nicht verheiratet sind. Kennengelernt haben sich die beiden jungen Menschen bereits vor zehn Jahren, wobei auch hier Pferde mit im Spiel waren: bei einem Reitturnier.
Es hat aber noch eine Zeit lang gedauert, bis sie ein Paar wurden: "Jens war zu schüchtern", lacht die junge Frau. Von der Familie Hildebrandt ist nur Arnos Ehefrau Eva selten im Stall zu sehen. Paradox: Sie hat eine Allergie gegen Pferde, wie andere Menschen auf Katzen.
Es ist kurz vor 17.30, und im Stall ist es mittlerweile deutlich lebhafter geworden. Einige Pferdebesitzer sind gekommen, um sich mit ihren Tieren zu beschäftigen. Wie zum Beispiel Christine Henze aus Maxdorf (64) mit ihrem 18-jährigen Enkel Daniel Gretzinger. Sie kümmern sich um ihr 14-jähriges Pferd Ravenna.
"Ein eigenes Pferd zu besitzen, war mein Traum noch zu DDR-Zeiten", berichtet die Maxdorferin. "Damals war es aber nicht möglich." Jetzt haben sie sogar zwei Pferde, denn Daniel reite auch gern, und das seit seinem neunten Lebensjahr - in einem Verein.
Mit zwei eigenen Pferden haben es die Oma und der Enkel nun ganz bequem. "Wir reiten oft zusammen", sagt Christine Henze. Da sie keine Möglichkeit haben, die Pferde in ihrem Wohnort unterzubringen, nutzen sie die Pension Hildebrandt.
Am anderen Ende des Ganges hat sich eine kleine Menschengruppe um ein Pferd versammelt. "Die Tierärztin ist heute da", erklärt Arno Hildebrandt. Yvonne Schmidt arbeitet in einer tierärztlichen Leipziger Gemeinschaftspraxis und ist sozusagen deren Außenstelle in Köthen. "Wir kümmern uns hauptsächlich um Pferde", sagt sie.
Die Tiermedizinerin ist ein regelmäßiger Gast in der Merziener Pferdepension. Die Tiere müssen schließlich geimpft und auch bei Erkrankungen behandelt werden. "Manchmal sind das Atemwegsbeschwerden", weiß Yvonne Schmidt. "Oder eine Allergie: Pferde haben auch Allergien - auf bestimmte Futtermittel oder wie Menschen auf Pollen."
Ein Pferdebesitzer bittet Jens Hildebrandt um Hilfe: Bei seinem Tier ist vorne links ein Hufeisen abgegangen. Sekunden später steht das Pferd auf drei Beinen, der Huf wird vom Besitzer hochgehalten, Jens Hildebrandt hält das Eisen dran und schlägt Nägel hinein. Sechs Stück müssen es sein. Ein Nagel zeigt sich störrisch, das Pferd wird unruhig. Arno Hildebrandt eilt zu Hilfe, und bald ist alles im Lot.
Die Stunde ist um, die Uhr zeigt 18. "Warte, ich zeige dir noch unsere Reithalle und das Vereinszimmer", schlägt Arno Hildebrandt vor. Die Reithalle ist eine provisorische, es ist eine große Landwirtschaftsscheune, in der auch Heu gelagert wird. Geht es nach Hildebrandt, wird bald direkt neben dem jetzigen Stall eine richtige Reithalle gebaut. Dann könnten hier vielleicht auch Turniere stattfinden. Auch zwei Kutschen zeigt der Pensionsbesitzer noch: Pferdefahrsport ist ebenfalls seine Leidenschaft.
Dann noch ein Blick ins Vereinszimmer. Hier steht ein langer Tisch, in einem Kamin lodert Feuer. Hier treffen sich die 30 Mitglieder des Merziener Reit- und Fahrvereins - auch heute, aber erst eine Stunde später. Einige von ihnen haben ihre Tiere im "Pferdehotel Hildebrandt" stehen.
"Im nächsten Jahr feiern wir ein Doppeljubiläum", teilt Hildebrandt zum Abschied mit. "Zehn Jahre Pension und mein Sechzigstes."