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Anhalt-Bitterfeld Anhalt-Bitterfeld: Brandts Futter für hungrige Schüler

Von sylke hermann 18.01.2012, 17:37

aken/MZ. - "Wir nehmen mal den Paso Doble, Amon", schlägt Dieter Brandt seinem jungen Schüler vor. Amon Specht ist ein stiller Blondschopf mit einer außergewöhnlichen musischen Begabung, findet sein Lehrer. Deshalb bestellt er den gelehrigen Burschen auch häufiger ein als viele andere, meist zweimal in der Woche - und gern zum Einzelunterricht.

Wie an diesem Abend in einem uncharmanten Kellerraum der Akener Elbeschule. Um 18 Uhr hat Amon schon eine halbe Stunde Unterricht absolviert. Brandt, der mit der Musikschule Fröhlich in vielen Schulen des Altkreises Köthen zu Hause ist und Kindern, aber auch Erwachsenen, das Akkordeonspiel beibringt, ist wieder begeistert. "Amon braucht eine Menge Futter. Er lernt die Stücke in einem rasenden Tempo", schwärmt er und wendet sich ihm zu.

"Das ist so schnell, Amon, da reichen die Finger nicht. Sieh her, nimm am besten die ganze Hand." Der Neunjährige und der Diplom-Musiklehrer sitzen sich gegenüber und trommeln immer schneller auf die Tasten ein. Noch ein bisschen schneller. "Wie weit soll ich spielen", will der Kleine wissen. "Bis ich halt sage."

Der Paso Doble á la Brandt sei eigentlich nichts für Anfänger. Aber Amon macht das richtig gut. Die eigene Kreation seines Lehrers gelingt ihm gut.

Dieter Brandt ist seit 1993 als Musikschule Fröhlich unterwegs. Deren Markenzeichen ist das Akkordeon. Alle hier spielen Akkordeon. Die Jungen und die Älteren auch. Durch Zufall sei er auf das Unterrichtskonzept aufmerksam geworden. "Damals dachte ich, das ist genau das Richtige. Da kannst du dir was aufbauen." Lehrer wollte er nicht mehr sein. Seinen Schülern etwas beibringen schon.

Der heute 61-Jährige geht direkt an die Schulen, stellt sich und das Fröhlich-Konzept vor, sucht nach Räumen für den Akkordeonunterricht und eine passende Uhrzeit dazu. Es funktioniert. Konzept und Lehrer kommen an. Brandt, der rund 80 Schüler unterrichtet, ist jeden Tag unterwegs. Meist nachmittags und in den Abendstunden.

Amon trommelt immer noch eifrig den Brandtschen Paso Doble. Und der Regen trommelt mit. Nicht zu überhören. Die Leitungen verlaufen quer durch das Zimmer, und draußen schüttet es.

Lisa Haustein (13) ist jetzt da und setzt sich zu ihrer Freundin Antonia Niemann (12). Gleich neben Amon, der immer noch übt. Die beiden Teenager hätten sich eine Menge zu erzählen, fangen an zu tuscheln, während sie ihre Instrumente auspacken, den Notenständer zurecht rücken - bis Dieter Brandt dazwischen funkt. "Jetzt hört mal auf zu quatschen; es geht los." Die Feuerwerksmusik von Händel soll gefestigt werden. "Den Rhythmus habt ihr drauf?", will er wissen. Es scheint so. Die Mädels nicken und legen los. Amon ist fertig und packt ein.

Dieter Brandt unterbricht seine beiden Schülerinnen: "Es muss jeder Ton richtig klar kommen. Ich spiel euch das noch mal vor." Es müsse klingen, als würde man Nägel einschlagen. Viele Nägel. Brandt fängt an. Lisa und Antonia steigen ein. "Nein, nein, stopp. Das gefällt mir nicht." Nochmal. "Jawoll. Besser. Das kriegen wir hin." Die Zuversicht wächst. "Weihnachten spielen wir das astrein." Beim großen Adventskonzert im Akener Schützenhaus. Letztes Jahr saßen 400 Leute im Publikum.

Die Tür zum Proberaum geht auf. Die Uhr darüber zeigt, dass es erst 18.23 Uhr ist. Zwei Frauen treten ein. Zu früh. "Guten Abend!" "Könnt ihr kurz noch draußen warten bis es halb ist", bittet Brandt. Lisa und Antonia sollen schnell noch ein neues Stück anspielen: "Candles at the Lake", heißt es und Brandt erklärt ihnen, dass man sich 2012 der englischen Musik widmen werde. "Probiert es mal. Es wird euch nicht gleich gelingen", kündigt Brandt vorsorglich an, und er soll recht behalten. Die Dreiergriffe haben es in sich.

Schluss für Lisa und Antonia. Es ist halb. Die anderen warten schon. "So, rein mit euch", ruft der Akkordeonlehrer. Einer nach dem anderen tritt ein. Die Stimmung ist fröhlich, man lacht, erzählt miteinander, ruckt die Instrumente und einige die Lesebrille zurecht. Bis alle sitzen, vergehen ein paar Minuten. Dieter Brandt, der aus Dessau-Mosigkau kommt, dauert das zu lange: "Wir fangen an." "Was spielen wir denn, Dieter?" "Ruhe jetzt, wir haben viel zu tun." Und dann sagt er doch noch, was gespielt wird: Es ist "Das Geisterschloss". "Ein etwas komisches Stück", gibt er zu. Später wird einer den Erzähler geben, während das Orchester spielt und Blitz und Donner und prasselnden Regen, ja, sogar Katzengejammer, darstellen muss. Alles mit dem Akkordeon.

Dieter Brandt bekommt sein erstes Akkordeon mit fünf. Er lernt schnell, kann sich viele Melodien merken und später sogar sämtliche Beethoven-Sinfonien nachspielen, ohne Notenblatt. Sein Großvater, der blind ist, spürt, dass sein Enkel begabt ist und kauft ihm ein Klavier. Vom Akkordeon lässt Brandt trotzdem nicht. Irgendwann beginnt er, Musikstücke neu zu interpretieren. Etwa 40 sind es schon. Der Paso Doble zum Beispiel.

"Bei Dieter Brandt", findet Horst Räbiger, "ist alles perfekt." Er sei immer schon "mit dem Akkordeon zugange gewesen". Räbiger kommt wie Brandt aus Mosigkau. Er ist der älteste seiner Schüler. 76 Jahre. "Ich habe gemerkt, dass ich vieles vergesse. Die Musik hat mir geholfen, mir wieder mehr Dinge zu merken", freut er sich. Deshalb fährt er einmal die Woche nach Aken, wo es an diesem Abend immer noch gespenstisch zugeht. Die Erwachsenen-Gruppe mit Räbiger freundet sich mit dem "Geisterschloss" an. Allmählich.

Zum Neujahrsempfang am Freitagabend in Aken müssen sie es nicht spielen. Es bleibt also noch Zeit zum Proben.

Der Regen hat aufgehört. Der Wind geht noch. Leise. Jetzt, um 19 Uhr, gibt die Musik den Ton an.