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Alles auf Anfang Alles auf Anfang: Ein 46-jähriger Akener krempelt sein Berufsleben um und wird Steinmetz

Von Sylke Hermann 12.01.2017, 12:45
Der 46-jährige Ralph Greifenhahn aus Halle hat eine Ausbildung zum Steinmetz begonnen.
Der 46-jährige Ralph Greifenhahn aus Halle hat eine Ausbildung zum Steinmetz begonnen. S. Rebsch

Aken - Er hatte fünf Jahre lang gesucht. Radio, Fernsehen, Internet, Zeitung. Mehr, ist Andreas Gaedke überzeugt, geht nicht. Und doch blieb er glücklos. Offenbar will niemand Steinmetz werden.

Die Bewerber sind rar, aber vor allem sind sie schlecht, resümiert der Akener Steinmetz- und Steinbildhauermeister mit eigenem Betrieb seine intensive Suche nach einem Azubi. Er war drauf und dran, sich mit der Misere zu arrangieren. Bis Ralph Greifenhahn zur Tür hereinkam.

Nur ein Monat Altersunterschied zwischen Lehrling und Meister

Im Oktober hat der seine Lehre bei Andreas Gaedke aufgenommen. Mit 46 Jahren. Dass sein Chef nur einen Monat älter ist, stört ihn und stört auch den Meister überhaupt nicht. Was zählt, ist der Wille. „Ich wollte schon immer Steinmetz werden“, versichert Ralph Greifenhahn und sieht zu seinem Chef hinüber. Beide müssen schmunzeln.

„Das wollen sie alle“, sind Gaedkes Erfahrungen. Genauso wie sie Autoschlosser, Elektriker oder Bäcker werden wollen, wenn sich ihnen die Chance bietet. Bei Ralph Greifenhahn stellt sich die Situation aber etwas anders dar: „Ich wollte wirklich schon immer Steinmetz werden“, versichert er nochmals.

Viele Umwege aus der Not heraus

Früher sollte er keine Chance erhalten, sich seinen Traum zu erfüllen und als Bildhauer zu arbeiten. Zwei Studienplätze alle zwei Jahre und 400 Bewerbungen. Greifenhahn wäre immer einer unter sehr vielen gewesen. Aus der Not heraus, erzählt er heute, habe er einfach etwas anderes gelernt: Baufacharbeiter mit Abitur. Später entschließt er sich doch zu studieren, Sprachwissenschaften; aber er bricht ab.

Er jobbt im Musikarchiv eines Radiosenders, er arbeitet in Berlin am Theater und hilft, Plastiken zu erstellen, er verkauft fair gehandelte Produkte und Naturtextilien, er präsentiert auf Mittelaltermärkten das Schmiedehandwerk, was er sich selbst beigebracht habe, „und dann bin ich zufällig Tätowierer geworden“.

Zwischendurch aus Zufall Tätowierer

Ralph Greifenhahn muss selbst darüber lachen, wie kurios sich dieser Lebenslauf anhört, sein Lebenslauf. „Mich haben ein paar Leute gefragt, ob ich etwas für sie zeichnen kann.“ Natürlich kann er das, aber er ahnt nicht, dass sich diese Zeichnungen bald auf Armen und anderen Körperteilen wiederfinden sollten. Das Tätowieren erlernt er, indem er es ausprobiert, an sich selbst. Ach, richtig: Einen Abschluss als Mediendesigner hat Andreas Gaedkes neuer Azubi auch noch.

Jetzt, mit 46, fängt der beruflich noch einmal von vorn an. Zur Freude seines Ausbilders. „Ich wollte jemanden, der weiß, was er will“, sagt Gaedke. Außerdem habe er durchaus einen gewissen Reiz verspürt, diesen Burschen auszubilden. Ja, er sei überrascht gewesen, dass jemand in dem Alter nochmal eine Ausbildung absolvieren will: „Aber warum eigentlich nicht?“

Mit 46 nochmal zurück auf Los

Streng genommen ist es gar keine Ausbildung, sondern eine Umschulung. Zwei Jahre dauert sie. Doch trotz seines Alters muss Ralph Greifenhahn alles von der Pike auf erlernen. Sein Übungsstück: ein großer, mehr oder weniger unförmiger Sandstein-Block, den es über Monate in Form zu bringen gilt. „Daran merkt man, ob jemand Ausdauer hat“, weiß Andreas Gaedke.

Aber im Grunde geht es auch darum, ein Gefühl für das Material zu bekommen, den Umgang mit den Werkzeugen zu erlernen. Prell- oder Sprengeisen für die groben Kanten, Spitzeisen, Knüpfel, Zahneisen, Zwergspitz, Scharriereisen – damit, erzählt Andreas Gaedke, hätte man im alten Ägypten schon die Pyramiden errichtet; „es sind die dieselben Werkzeuge wie damals“. Und Ralph Greifenhahn lernt nun, damit umzugehen. Er ist froh, diese Chance zu bekommen. „Das ist schon ein kleiner Traum von mir.“

Irgendwann, erzählt er, habe er das Thema abgehakt. Und doch sollte sein Traum noch nicht ausgeträumt sein.

Ein Traum geht in Erfüllung

Ralph Greifenhahn empfindet die ersten Monate seiner Ausbildung rückblickend als sehr abwechslungsreich und freut sich auf das, was noch kommt. Ob Restaurierungen, Bildhauerarbeiten oder Grabsteine. „Es macht einfach Spaß“, betont er und strahlt. Ansonsten hätte er schon während des Praktikums etwas gesagt, das der Hallenser in Andreas Gaedkes Betrieb vor der Umschulung absolviert hatte.

Im Umkreis von 50 Kilometern, sagt der Akener, gibt es nur zwei Betriebe, die Steinmetze ausbilden. Und nur drei Steinmetzgesellen seien im vergangenen Jahr in ganz Sachsen-Anhalt freigesprochen worden.

Umso glücklicher ist Steinmetzmeister Andreas Gaedke mit Ralph Greifenhahn jemanden gefunden zu haben, der es ernst meint, der wirklich Steinmetz werden will – und „gewisse Grundvoraussetzungen“ erfüllt: schreiben und rechnen können, ein wenig geschickt sein und zuverlässig. Viel mehr erwartet Andreas Gaedke von einem angehenden Azubi gar nicht.

Für den Steinmetz-Meister war der Lehrling ein Glücksgriff

Dennoch sah er sich mehrfach enttäuscht. „Katastrophal“, fasst er das Erlebte zusammen. Was aber viel schlimmer sein dürfte: „Es will sich niemand mehr die Hände schmutzig machen; das Handwerk stirbt aus.“

Deshalb wird Andreas Gaedke auch nicht müde, für seinen Beruf zu werben und emsig weiter zu suchen. Nach Azubis oder Praktikanten. Bestenfalls bildet der Akener Betrieb dann parallel zwei angehende Fachkräfte aus. „Warum nicht?“ Der Handwerksmeister hätte kein Problem damit, aber er vermutet, dass es ein Traum bleiben wird. (mz)